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Neubildung – der GeschichteBodo Ramelow, Bundesvorstandsmitglied der PDS und deren Beauftragter für die Parteineubildung, hat den Ehrenvorsitzenden seiner Partei, Hans Modrow, gerügt, der es gewagt hatte, darauf hinzuweisen, daß für die Mauer zwischen DDR und BRD und die mit ihr verbundenen Scheußlichkeiten »die Verantwortung auf beiden deutschen Seiten« zu suchen sei. Ramelow möchte, daß eine solche Deutung der Geschichte in seiner jetzigen und einer künftigen linken Partei keinen Platz mehr hat. Mal angenommen, daß Ramelow mit seiner Abmahnung nicht nur den Beifall von Medien finden wollte, die sonst der Linkspartei keine Sympathie entgegenbringen, daß er vielmehr allen Ernstes den Mauerbau mitsamt seinen Folgen allein den Politikern der einstigen DDR anlasten will – was machen wir nun mit den historischen Realitäten? Mit denen, die wir westdeutschen »Altlinken«, als die Mauer errichtet wurde, gegen das Propagandagetöse der herrschenden Politik in der Altbundesrepublik öffentlich beim Namen genannt haben: US-ameri-kanische und westdeutsche Staatsmänner waren es, die eine Spaltung des deutschen Territoriums in Gang gesetzt, dem ostdeutschen Staat die Luft abgeschnitten und die innerdeutsche Grenze zementiert haben. Sie waren politisch am Bau der Mauer aufs eifrigste beteiligt. Wenn Ramelow Zeit dazu hat, möge er doch einmal die damaligen Äußerungen des späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann studieren, da ist historisch Erhellendes zu entdecken. Aber vielleicht ist es gar nicht der ostdeutsche PDS-Politiker Hans Modrow, den Ramelow zum Stillschweigen bringen will, sondern es sind »die Trotzkisten«, denen er eins über den Mund geben möchte. Auf die hat er nämlich aus aktuellem Grund einen Rochus, wie man weiß. Und die westdeutschen »Trotzkisten«, heftige Gegner der DDR-Politik, stellten seinerzeit heraus: »Mauerbauer: Ulbricht und Adenauer.« So etwas aber auch – und weiß der Teufel, wird sich Ramelow als Liebhaber des alten Testaments gedacht haben, die Unverfrorenheit solcher Leute vererbt sich weiter, da halten wir uns an das 5. Buch Moses: »Kein Ammoniter oder Moabiter darf in die Gemeinde eintreten, niemals, auch im zehnten Geschlecht noch nicht.« Arno Klönne
Friedwillige vor dem KadiWer die Masse des in jüngster Zeit ermittelten, geordneten und editierten geschichtlichen Materials vor Augen hat und es nicht anders und richtig weiß, möchte in Marburg eine komplette Werkstatt von Herausgebern historischer Dokumente vermuten, die alle auf ein Thema deutscher Vergangenheit konzentriert sind: die geistige und praktische Auseinandersetzung mit dem Faschismus und dem Eintreten für – weltweit – menschenwürdige und friedliche Zustände. Indessen handelt es sich um die Früchte der Arbeit eines Mannes, des Pädagogen und Historikers Friedrich-Martin Balzer, der, eigene Kräfte und Mittel nicht schonend, mit Ausdauer und Leidenschaft sich wieder und wieder vor allem jener Hinterlassenschaft annimmt, von der er sicher ist, daß sie nicht in Vergessenheit geraten darf, zumal er weiß, daß es genügend Interesse gibt, eben das zu bewirken. Für das Gerichtsverfahren gegen herausragende Persönlichkeiten der westdeutschen Friedensbewegung, das nach mehr als siebenjähriger Vorbereitung 1959/1960 vor dem Landgericht in Düsseldorf stattfand, gilt das zweifelsfrei. Der Bundesgerichtshof, dessen Generalbundesanwalt Max Güde den Prozeß verlangte, wollte, die Tücke des Objekts wohl abschätzend, in dem heiklen Verfahren selbst nicht tätig werden. Denn: Gefordert war nicht mehr und nicht weniger, als den Angeklagten anzuhängen, sie wären Agenten Moskaus und Pankows, heimtückisch darauf aus, das ganze herrliche Staatswesen Bundesrepublik zu unterminieren und zu beseitigen. Wie Staatsanwälte und Gericht den Auftrag zu meistern suchten, wie sie die lahmsten Beweise und fragwürdigsten Zeugen einsetzten und zugleich den Angeklagten und ihren Verteidigern faire Aktionsmöglichkeiten zu beschneiden suchten, das liest sich spannender, als sich noch der raffinierteste Tatort anschauen mag. Zum Tatort wurde der Gerichtssaal. Während der 54 Prozeßtage wurden ein paar Wahrheiten über eine Zeit gesagt, an deren Ende wir nicht gekommen sind. Ein Beispiel für viele: »Die Kommunisten von heute sind die Juden von gestern.« Das meinte nicht anmaßend die Gleichsetzung der nazistischen Verfolgungen. Der Satz wies jedoch auf den Versuch hin, wie zuvor die Juden nun, nach Krieg und Holocaust, einzig die Kommunisten als »unser«, der Deutschen, Unglück zu markieren. (Unscharf ist der Satz nur insofern, als er die fernere Vergangenheit verschwimmen läßt, in der die Juden noch glauben konnten, sie würden in der deutschen Gesellschaft des Kaiserreiches und der Weimarer Republik unbehelligt leben können, während die konsequente politische Linke bereits benachteiligt und verfolgt wurde.) Zu den unveralteten Einsichten, die sich aus diesem Band gewinnen lassen, tritt freilich auch ein Gefühl der Wehmut. Unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges, der damals noch zum Erleben der Mehrheit der Europäer gehörte, im Bewußtsein des atomaren Wettrüstens und der aus ihm hervorwachsenden Gefahren, war der Widerstandswille gegen existentielle Drohungen noch lebendig und stark. Wie vielen Personen, die sich damals in der Friedensbewegung regten und hörbar machten, begegnet der Leser! Wie viel ist ihnen dafür zu danken, daß die Menschheit das 20. Jahrhundert ohne einen dritten Weltkrieg überstand! Und wieviel Denkanstöße lassen sich vergleichend für eine ungeschönte Wahrnehmung dieses Jahrhundertbeginns gewinnen, vorausgesetzt, daß da noch ein Rest von Bereitschaft bewahrt ist, sich zu beunruhigen. Kurt Pätzold Friedrich-Martin Balzer (Hg.): »Justizunrecht im Kalten Krieg. Die Kriminalisierung der westdeutschen Friedensbewegung im Düsseldorfer Prozeß 1959/60« mit einer Einleitung von Heinrich Hannover, Papy Rossa Verlag, 380 Seiten, 24
Zu Gast bei FreundenIn der Nacht vom 24. auf den 25. April fand in Hamburg wieder eine Sammel-abschiebung statt. Wie die Ausländerbe-hörde mitteilte, wurden »in bewährter Zusammenarbeit mit der Bundespolizei und weiteren Bundesländern« insgesamt 24 Personen per Charterflug nach Afrika abgeschoben. Die Zielländer waren Guinea, Benin und Togo. Nicht erwähnt wurde in dieser Pressemitteilung, daß Mecklenburg-Vorpommern gerade zwei Wochen zuvor einen sechsmonatigen Abschiebestopp nach Togo beschlossen hatte. Unerwähnt blieb ebenfalls, daß Amnesty International seit Jahren über massive Menschenrechtsverletzungen in Togo berichtet – bis hin zur Ermordung von Oppositionellen. Der togoische Oppositionelle Alassane Mousbaou, der am 31. Januar in seine diktatorisch regierte Heimat abgeschoben worden war, wurde gleich nach seiner Ankunft in Lomé massiv bedroht und lebt seitdem – so bleibt zu hoffen – im Untergrund. Einer der Männer, der in der Nacht auf den 25. April an Bord war, hatte fast ein Jahr lang ehrenamtlich als Alten-pfleger gearbeitet und vor zwei Monaten ein Freiwilliges Soziales Jahr begonnen, als er aus seiner Unterkunft geholt, eingesperrt und abgeschoben wurde. Nachdem er in Benin zwei Tage in Haft verbracht hatte, war es ihm möglich, sich bei UnterstützerInnen in Deutschland zu melden: »Ich bin kaputt!«. Und: »Ich will lieber nicht mehr leben, als in Benin zu bleiben.« Die 24 Flüchtlinge waren während des Abschiebeflugs gefesselt. Allen war ein Helm über den Kopf gezogen worden. Die Polizei behauptet, die Helme dienten dazu, die Gefangenen vor Selbstverletzungen zu bewahren. 1999 war der Sudanese Aamir Ageeb beim Versuch, ihn abzuschieben, in dieser Montur erstickt. Auf dem Hamburger Abschiebeflug wurden die Flüchtlinge von je zwei bis drei Bundespolizisten begleitet. Auch zwei Ärzte machten sich zu Helfern der Abschiebemaschinerie. Mindestens ei-nem der Flüchtlinge verabreichten sie zwangsweise ein Medikament, um ihn ruhigzustellen. Damit begingen sie Kör-perverletzung – entgegen dem von ihnen abgelegten Hippokratischen Eid. Am Abend vor dem Charterflug hat-ten sich etwa 50 Menschen am Flugha-fen eingefunden, um mit Transparenten und Trillerpfeifen gegen die Abschie-bung zu demonstrieren und die Flugha-fenbesucher zu informieren. Nach etwa 20 Minuten beendete die Polizei die Ak-tion, nachdem sie zuvor einen der De-monstranten wegen angeblichen Wider-stands festgenommen hatte. Das Motto der Fußballweltmeister-schaft 2006, mit dem auch Hamburg als Austragungsort wirbt, lautet übrigens »Die Welt zu Gast bei Freunden«. Doch das einzige, was die 24 Gäste aus aller Welt an diesem Abend vom amtlichen Hamburg erfuhren, war ihre brutale Ver-abschiebung. Kirsten Hofmann
Longo Maï»Mag die Utopie den Millionen Menschen, die einen Weg suchen, konkret nichts zu sagen haben, aber noch nie in der Geschichte der Menschheit sei etwas Neues gefunden worden ohne Utopie!« So beschrieben die österreichischen Schriftsteller Maxie und Fred Wander, die sich die DDR als Wahlheimat erkoren hatten, das Selbstverständnis jener Kommune jugendlicher Aussteiger im Süden Frankreichs, die im Jahre 1974 eine Station ihrer »Provenzalischen Reise« bildete. Obwohl die Aussteigerbewegung der 1970er und 80er Jahre längst der Vergangenheit angehört, gibt es Longo Maï immer noch. Eine der Gründerinnen hat jetzt ein Buch über die Geschichte dieses »Netzwerkes Europäischer Kooperativen« geschrieben. Den Anfang machten Jugendliche aus Österreich und der Schweiz, die – ursprünglich aus der marxistischen Linken kommend – nach dem Vorbild der utopischen Sozialisten des 19. Jahrhunderts »Pioniersiedlungen« gründen wollten. Die Basis sollte eine landwirtschaftliche Eigenversorgung bilden, verbunden mit kollektiver Produktion und demokratischer Selbstverwaltung. Vom Eigenversorgungsprinzip nahmen sie bald Abstand: In einer hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaft ist Autarkie einzelner Gemeinden nicht realisierbar. An Kollektivität und Selbstverwaltung hielten sie bis heute fest. Zu den in Südfrankreich, der Schweiz und Kärnten bestehenden Kooperativen kamen nach 1989 sogar neue hinzu – in der westlichen Ukraine und in Mecklenburg/Vorpommern. Wie die Autorin schreibt, hat sich Longo Maï nach über 30 Jahren Existenz nicht zu einer abgeschotteten Zufluchtsstätte weltfremder Sektierer entwickelt, sondern eher zum Knoten im gesamteuropäischen linken Netzwerk. BewohnerInnen von Longo Maï betreiben Zeitschriften und ein Radio, initiieren regelmäßig Informationskampagnen, beteiligen sich aktiv an verschiedenen Bewegungen – gegen Umweltzerstörung, Rassismus, menschenunwürdige Ausbeutung. »Es möge lange dauern!« So etwa kann man das provenzalische Grußwort übersetzen, das diesem Netzwerk linker Kommunen den Namen gab. Dem kann man nur beipflichten. Gerd Bedszent
Beatriz Graf: »Longo Maï - Revolte und Utopie nach '68. Gesellschaftskritik und selbstverwaltetes Leben in den Europäischen Kooperativen«, Thesis Verlag, Egg/Schweiz, 176 Seiten, 18 Euro
Brief aus BrasilienNormalerweise erschüttern bolivianische Erdbeben die Richterskala. Doch diesmal wackelte auch ganz Brasilien. Die Verstaatlichung der Öl- und Gasvorkommen Boliviens – neben seinen Mineralien die Haupteinnahmequelle des Landes – traf die Regierung Lula völlig unvorbereitet. Brasilien bezieht rund 65 Prozent seines Gasbedarfs aus Bolivien, hat dort in acht großen Raffinerien und Verarbeitungsanlagen investiert und sorgt für 24 Prozent der bolivianischen Steuereinnahmen. Der brasilianische Präsident ist neben Venezuelas Hugo Chavez die wichtigste Stütze seines bolivianischen Kollegen Evo Morales. Lula (mit vollem Namen Luiz Inácio Lula da Silva) hatte ungewöhnlich direkt den Wahlkampf von Morales unterstützt und muß sich nun vorwerfen lassen, ideologische und persönliche Motive über die Interessen Brasiliens gestellt zu haben und von seinem Herzbruder Morales völlig demoralisiert worden zu sein. Bolivianisches Militär besetzte am 2. Mai die Anlagen des brasilianischen Öl- und Gaskonzerns »Petrobras« (Aktiengesellschaft mit staatlicher Beteiligung). Dem martialischen Akt waren keinerlei freundschaftliche Konsultationen vorausgegangen. Man befürchtet nun Preiserhöhungen à la »Gasprom« und die Enteignung der »Petrobras«-Anlagen. Die Besorgnis wurde auch durch das eilig anberaumte Treffen der Präsidenten Lula, Morales, Chavez und Kirchner (Argentinien) am 5. Mai nicht beseitigt. Aber trotz aller Kritik und Häme, die ihm entgegenschlugen, rechtfertigte Lula die Entscheidung Boliviens. Kaltes Blut gegenüber den Aufwallungen in den brasilianischen Medien bewahrte auch der Partido Comunista do Brasil, eine der beiden kommunistischen Parteien des Landes. Der vormalige Parteichef und Abgeordnete Aldo Rebelo ist derzeit Präsident des brasilianischen Parlaments. Der Sekretär für Internationale Beziehungen des PC do Brasil, José Reinaldo Carvalho, veröffentlichte folgende Stellungnahme: »Die von Präsident Evo Morales verfügte Nationalisierung der Hydrokarbonat-Reserven war eine mutige und gerechte Entscheidung des Präsidenten unseres Bruderlandes. Sie konstituiert einen historischen Sieg des bolivianischen Volkes, dessen Reichtümer durch viele Jahrzehnte von den neoliberalen Regierungen und vom Imperialismus ausgeraubt wurden. Sie ist eine souveräne Entscheidung im nationalen Interesse Boliviens. Sie wird von den fortschrittlichen Kräften Brasiliens begrüßt und von unserer Regierung respektiert, obwohl sie die kommerziellen Interessen von ›Petrobras‹ berührt. Unsere Diplomatie muß deshalb der Politik Vorrang einräumen sowie der strategischen Bedeutung lateinamerikanischer Solidarität und Integration. Die erfolgreiche Außenpolitik der Regierung des Präsidenten Lula wird Mittel und Wege finden, eventuelle kommerzielle und finanzielle Probleme auszuräumen, die die Entscheidung der bolivianischen Regierung mit sich gebracht hat.« Diejenigen aber, die sich jetzt über Bolivien empören, charakterisierte Carvalho mit dem Hinweis, es seien dieselben, die zugleich den Alca-Pakt, also die von den USA geforderte und vorangetriebene interamerikanische Freihandelszone, verteidigen »und damit den Neokolonialismus und die Unterwerfung Brasiliens unter die Interessen des nordamerikanischen Kolonialismus«. Regierende deutsche Sozialdemokraten, die auf die Entscheidung Boliviens sofort entsetzt reagierten, werden sich durch solche Argumente wohl nicht überzeugen lassen – wenn sie von einem Kommunisten kommen. Wolf Gauer
LektüreEine Entdeckung! Sie ist der amerikanischen Schriftstellerin Susan Sontag zu verdanken, die vor einem Jahrzehnt in London beim Stöbern in einem Kasten mit abgegriffenen Taschenbüchern, den sie vor einem Buchladen stehen sah, auf »Ein Sommer in Baden-Baden« stieß. Der ihr unbekannte Verfasser Leonid Zypkin, so fand sie heraus, war ein russischer Pathologe jüdischer Herkunft, der die stalinistischen Schrecken der dreißiger Jahre und den faschistischen Überfall auf die Sowjetunion überlebt und in seiner Vereinsamung zu schreiben begonnen hatte. Tragisch ist, daß er nie auch nur eine Seite seines Buches über Fjodor Dostojewski in Druck gesehen hat – dabei war ihm, wie Susan Sontag vermerkt, »eines der schönsten, anregendsten und originellsten literarischen Werke des vergangenen Jahrhunderts« gelungen. Schön, anregend, originell – in der Tat! Und mehr. Mir war, als hätte Zypkin, aus dem vollen schöpfend, das Buch mit größter Konzentration in einem Zug geschrieben – was nicht zutrifft. Er hat zwei Jahre dazu gebraucht. Verdichtet, im besten Sinn des Wortes, hat er sein Material in mühseliger Kleinarbeit. Wer sich auf das Geflecht einläßt – das Buch ist ein Geflecht von Gedanken, Beobachtungen, Erinnerungen, Rückblenden, Vorgriffen –, wird Grenzen von Zeit und Raum überfliegen und, der Beschreibung jenes Baden-Badener Sommers folgend, Dostojewski in seiner unbändigen, stets durch seine Spielleidenschaft gefährdeten Liebe zu Anna Grigorjewna erleben, und er wird zudem den russischen Arzt, den Erzähler, nahezu achtzig Jahre nach Dostojewskis Tod auf dessen Spuren den Zug von Moskau nach Leningrad nehmen sehen und erfahren, wie er sich auf der Fahrt derart in die Aufzeichnungen der Anna Grigorjewna über ihre Ehe vertieft, daß ihm Baden-Baden zur Bühne für ein Drama über die zerstörerische Spielsucht eines begnadeten Schriftstellers wird, der das Leben seiner Frau und das eigene zur Hölle macht. Der Arzt wird ein Buch über zwei liebenswerte, tragisch verstrickte Menschen schreiben – und diese beiden, der Mann in seiner Spielsucht, die Frau in ihrer Seelennot, wirken wie von Dostojewski geschaffen... Susan Sontag sagt über Zypkin, er habe »kein dickes Buch geschrieben. Aber eine große Reise gemacht.« So ist es. Walter Kaufmann
Leonid Zypkin: »Ein Sommer in Baden-Baden«, übersetzt von Alfred Frank, Berlin Verlag, 238 Seiten, 19.90
Ukrainischer ZauberJuri Andruchowytschs Roman »Zwölf Ringe« ist in der Bundesrepublik mit vielen – meist begeisterten – Rezensionen bedacht worden, der ukrainische Autor erhielt Preise, zuletzt den Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung 2006. Mich mußte das Buch interessieren – zumal ich in Kiew geboren wurde und mein Vater wie Andru- chowytschs Romanfigur Zumbrunnen als Österreicher sich in eine Ukrainerin verliebt hatte, freilich fast hundert Jahre vorher, auch sonst in unvergleichbarer Konstellation. Woher rühren dann doch meine Schwierigkeiten? Eine Rezensentin (Irmtraud Gutschke) findet nicht zufällig ein »komisches Gefühl von Chaos«; eine andere (Natascha Freundel) schwankt beim Versuch, das Genre zu definieren, zwischen Reise-, Künstler-, Liebes-, Kriminal-, historischem, Science-Fiction- und Schelmenroman. Wenn wir ihn über sein kompositorisches Zentrum zu fassen suchen – mit dem Fotografen Zumbrunnen, seiner ukrainischen Dolmetscherin und Geliebten Pani Roma sowie ihrem Mann, dem Literaten Artur Pepa, der in Zumbrunnens Abenteuer verwickelt wird –, so fehlt uns doch der selten auftauchende Oligarch Warzabytsch, ohne den sich diese und weitere Personen nicht im Berghotel »Auf dem Mond« versammelt hätten. Aber was wäre der Roman ohne den oft zitierten, 1937 verstorbenen Dichter Bohdan-Ihor Antonytsch, der in einem speziellen Kapitel porträtiert wird! Aus seinem Werk stammt der Romantitel »Zwölf Ringe«, mit dem Pani Romas Tochter Kolomeja den Roman zusammennagelt, indem sie Ring um Ring kommentiert: vom »Keuschheitsgürtel« bis zur »Befreiung« von ihrer Jungfräulichkeit. Ohnehin sexgesättigt, beherbergt der Roman auch noch den »rothaarigen Kobold« Magierski, dessen zwei »Puppen / Bräute / Nutten« Lili und Marlen einen Werbe-Clip beleben und die Polizei auf die Spur zweier Ganoven führen, die Zumbrunnen wegen seiner Geldbörse erschlagen haben. Zuletzt kehren sein eingeäscherter Körper und seine Seele auf getrennten Wegen nach Österreich zurück. Auch wenn Olga Martynova in der Zeit zu Recht auf Kritikwürdiges eingegangen ist (unter anderem auf die »zurechtgestutzte Banalität« der »beschriebenen Welt«), amüsant zu lesen ist der Roman doch – geradezu als Beispiel für eine Trivialliteratur, die den Leser seinem Amüsement überläßt. Zu seinen Stärken gehören Landschafts- und Situationsschilderungen, Atmosphärisches, die geistreich genutzte Sprache – auch im Dialog. Doch Andruchowytsch zum Klassiker zu ernennen, ist verfrüht, da haben seit Nikolai Gogol über Taras Schewtschenko, Iwan Franko, Michailo Kozjubynsky hinaus schon andere Autoren aus der Ukraine hohe Anforderungen an Weltverhältnis vorgegeben. Illusionäre Hoffnungen auf »europäische Werte«, für die Andruchowytsch in der BRD offene Tore findet, ersetzen das nicht – zumal angesichts neoliberalen Sozialabbaus und weltweiter militärischer Aktionen. Halten wir dem 1960 Geborenen zugute, daß von ihm noch mehr zu erwarten ist. Leonhard Kossuth
Juri Andruchowytsch: »Zwölf Ringe«. Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr, Suhrkamp Verlag, 307 Seiten, 22,90
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Press-KohlAljonna las im Berliner Kurier (2.5.06) einen Artikel über »Kaiserschmarrn«, der aber von Fußball handelte. »Unten Weißbier, oben Kaiserschmarrn. Ich verstehe die höchstrichterliche Kritik von Franz Beckenbauer an Michael Ballack nicht wirklich«, gesteht der Autor, ARD-Sportschau-Chef Simon. Was der höchstrichterliche Kritiker redet, versteht man oft nicht, was aber Herrn Beckenbauer nicht am Reden hindert. Ballack, wird (laut Simon) »nicht als ganz Großer in die bayerischen Analen eingehen.« Die Analen versteht nun wiederum Aljonna nicht. Sei getröstet, liebe Freundin, Analen haben nichts mit Analyse oder Analerotik zu tun, sondern was mit den Jahren. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 10/2006 |
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