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Ein gutes Dutzend davon und ungezählte Texte hat er selbst geschrieben. Sein plötzlicher Tod blieb weitgehend unbeachtet. Die Deutsche Presse-Agentur schluderte eine kurze Pflichtmitteilung, in der Rauter zum »Mitbegründer der Satirezeitschrift konkret « ernannt wurde. Ein Paradebeispiel für die von Rauter beschriebene »Gewalt der Wörter« und die Achtlosigkeit vieler Autoren, deren »Texte sich selbst schreiben, den Autor nur benutzen, um auf das Papier zu kommen«. Der Nachfolger von Ulrike Meinhof als Kolumnist der alten konkret hatte in den Jahren zuvor tatsächlich Satiretexte für Wolfgang Neuss geschrieben. Später kamen Kurzgeschichten, Reisebücher und Romane hinzu. Sein letztes Buch, der erste Teil einer unvollendeten Autobiographie, erschien 2005 unter dem Titel »Leben buchstabieren« im Gollensteinverlag. Seine größten Auflagenerfolge erzielte E. A. Rauter jedoch mit politischer Gebrauchswertliteratur, die in hohen Stückzahlen von Bildungsverantwortlichen des DGB geordert wurde und lange zur Grundausstattung gewerkschaftlicher Kurse gehörte. So verstanden junge Metaller den Weg »Vom Faustkeil zur Fabrik« und Druckerlehrlinge diskutierten mit GEW-Paukern »Wie eine Meinung in einem Kopf entsteht«. IG BAU-Mitgliedern machte er Lust, die Bevormundung durch professionelle Schreiber und ihre Erzieher im Selbstversuch zu überwinden: »Bemühung um besseren Stil ist Bemühung um demokratischere Verhältnisse.« Der in Pflegefamilien und Erziehungsheimen geschulte Autor war ein Radikaler des Wortes. Mit ihm tanzte er, sprengte Konventionen und entfachte Leidenschaften. Besessen von der Aufgabe, »größenwahnsinnig wie ich war, analog zu Marx' ›Kapital‹ ein großes Werk mit dem Titel ›Die Information‹ zu verfassen«, wie er Matthias Altenburg 1985 verriet, saugte Rauter Lügenwörter aus den Zeitungen, die sich vor die Wirklichkeit stellen. In dem kleinen Buch »Vom Umgang mit Wörtern« geißelte er die fruchtlosen Bemühungen linker Wortarbeiter, die ihr Handwerkszeug nicht beherrschen. Dieses Buch kann, analog zum Hauptwerk des Philosophen aus Trier, als erster Band einer zu Lebzeiten nicht abgeschlossenen Arbeit gelten. Abgeschlossen hat er damit sein Engagement für die DKP, die sich manches hätte ersparen können, wenn sie seinen Ratschlägen gefolgt wäre. In den letzten Jahren seines Lebens nutzte er jede Gelegenheit, dem Nachwuchs an Journalistenschulen und Verleger-Akademien zu erklären, warum sie so schlecht schreiben. »Schreiben heißt, sich gegen Wörter stemmen.« Dieser Satz steht am Anfang seiner vor zehn Jahren erschienenen und vergriffenen »Neuen Schule des Schreibens«. Rauter stemmte sich mit den richtigen Wörtern gegen eine bewußtlose Sprache und einen Journalismus, der Ideologie produziert statt Aufklärung. Der die Ohnmacht der Leser voraussetzt und befördert, wenn er das (Klassen-)Interesse nicht entschleiert, das hinter der Information steht. Beinahe jede Woche schrieb Rauter eine medienkritische Kolumne im Internet (»Rauter, ärgere dich nicht!«), deren letzte Ausgabe Nr. 177 am 6. Februar erschien, bevor sich eine unbedeutend erscheinende Sturzverletzung in einen Sterbegrund verwandelte. Rauter hat Menschen beunruhigt, begeistert und gegen sich aufgebracht. Viele haben sich abgewandt. Sie fühlten seine Unduldsamkeit gegen Dummheit und Desinteresse. »Ohne Unerbittlichkeit«, bekannte er im Gespräch mit Matthias Altenburg, »entsteht niemals ein dichter Text, entsteht niemals Kunst.« Ich habe ihn sehr geschätzt. Er war mir Lehrer und Kritiker, väterlicher Freund und Mitstreiter in der von Eckart Spoo 1989 gegründeten »Bürgerinitiative für Sozialismus«. Dabei wollte er das Wort Sozialismus nicht mehr verwenden, sondern besser von Produktionsdemokratie sprechen. Weil es das treffendere Wort für eine Sache ist, die spätestens mit dem Ende der Systemkonkurrenz verloren schien. Dazu gesellte sich eine wieder aus der Mode gekommene Wachstumskritik, die Rauter in dem, wie Hermann Peter Piwitt in seinem Nachruf in konkret richtig feststellte, totgeschwiegenen Buch »Wofür arbeiten wir eigentlich?« entwickelte. Die immer noch aktuelle Provokation darin ist die Forderung nach einer oberen Einkommensgrenze. Solange wir stattdessen darüber reden, ob ein Mindestlohn von 7,50 oder 8 Euro für »die Wirtschaft« noch bezahlbar ist, erzeugen wir den Glauben an die Wettbewerbsdiktatur stets auf neue. Am Ende fiel E. A. Rauter beinahe der Vergessenheit anheim. Der Kulturredakteur einer Ost-West-Wochenzeitung aus Berlin kannte ihn nicht einmal dem Namen nach. Den großen Feuilletons in Hamburg und Frankfurt war sein Leben und Sterben keine Zeile wert. Ausgerechnet die Süddeutsche Zeitung , die ihm so vortrefflich als Studienobjekt für seine Wörterobsession diente, widmete ihm einen kurzen, sympathischen Nachruf. Geschrieben hat ihn ein Praktikant im Feuilleton. Er hätte Rauter, dem Lernenden unter den Lehrenden, vielleicht sogar gefallen: 40 Zeilen, kein Wort zuviel.
Erschienen in Ossietzky 10/2006 |
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