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Auch Robbie Williams hat das begriffen und singt mittlerweile öfter als jeder andere Popmusiker über Sünden und den Gott der Christenheit, die schließlich auch seine Tonträger kaufen soll. Ich gehörte zu denen, die Böses ahnend vor einem Jahr über die Bild -Schlagzeile »Wir sind Papst« lachten. Heute lache ich nicht mehr, denn die Wirsindpapst-Fraktion der deutschen Gesellschaft will der übergroßen Bevölkerungsmehrheit allen Ernstes vorschreiben, worüber sie nicht zu lachen hat. Beispielsweise über »Popetown«, eine von der British Broadcasting Company (BBC) in Auftrag gegebene Zeichentrickserie, die in England mit Aufführungsverbot belegt wurde und dort seit drei Jahren in Archiven verstaubt. Gestalterisch ist der Zehnteiler als Kombination von Computerszenerien und handgezeichneten Figuren auf der Höhe der Zeit, und mit Matt Lucas und Bob Mortimer weist er zwei sehr talentierte britische Komiker als Sprecher vor. Die Drehbücher sind, BBC -untypisch, recht platt und dünn geraten, satirische Spitzen bleiben rar: In der ersten Folge erfahren wir von einer Biowaffenfirma, die ein Waisenhaus sponsert, Kinder in Rollstühlen werden von verlogenen Medien politisch korrekt als »junge Erwachsene mit erheblichen Gehschwierigkeiten« verhöhnt, und ein jüdisches Papstdouble singt, tanzt und witzelt sich durch den Vatikan. Der eigentliche Papst ist infantil, frech und triebgesteuert, seine Kardinäle sind durchtrieben und selbstsüchtig. Ein harmloser Ulk, der im vergangenen Juli erfolgreich, aber unspektakulär auf dem TV-Festival Cologne Conference lief. Dann kam der Streit um die dänischen Mohammed-Karikaturen und mit ihm die Erkenntnis, daß man mit Religionswitzen die Schlagzeilen erobert. Am 21. März verkündete der krisengeschüttelte Musiksender MTV , er werde als zweiter nach dem neuseeländischen C4 die Serie komplett ausstrahlen. Er bewarb »Popetown« mit einer Anzeigenserie, die unter dem Slogan »Lachen statt rumhängen« einen lachenden, vom Kreuz gestiegenen Christus vor der Glotze zeigt. Diese doppelte Provokation was ist eigentlich blasphemisch an einem wiederauferstandenen Heiland, der herzlich über seine verlogenen Stellvertreter lacht? war für die Wirsindpapst-Fanatiker willkommener Anlaß, einen Kreuzzug gegen den inneren Feind zu führen: Von der Tagesschau über die FAZ bis hin zu Spiegel und Focus beteiligten sich sämtliche Massenmedien an der Diskussion über eine TV-Serie, die keiner kannte und die eigentlich keiner Erwähnung wert ist. Für die Kirche sprach beispielsweise der Fuldaer Bischof eine Boykottdrohung gegen diejenigen Unternehmen aus, die ihre Werbespots auf MTV platzieren. Unter den Politikern gab die umtriebige Erika Steinbach den dümmsten Kommentar ab, indem sie die TV-Serie als »unerträgliche Beleidigung aller Christen« bezeichnete. Edmund Stoiber berief sich auf den Gotteslästerungsparagraphen 166 StGB, der die Störung des öffentlichen Friedens durch blasphemische Akte mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren belegt, und forderte gleichzeitig ein höheres Strafmaß. Und die Seniorenunion der CDU verlangte wie viele ihrer Mitglieder können sich wohl noch an die letzte große Gleichschaltungsaktion in Deutschland erinnern? , MTV die Sendelizenz zu entziehen und eine angeblich ohnehin längst fällige »Bereinigung der Fernsehlandschaft« vorzunehmen. Hinzu kamen noch zahlreiche Internet-Kampagnen wie »Stoppt MTV Popetown« oder »Aktion AntiPopetown.de«, deren Macher sich als »aufgeklärte Christen« bezeichnen. Aufgeklärte Menschen denken anders, oder besser: Aufgeklärte Menschen denken. Der heutige, spukhaft-mittelalterliche Kampf um Blasphemie und Gedankenfreiheit ist ein unerwartetes Echo jener Auseinandersetzungen, die es schon vor über zweieinhalb Jahrhunderten gab. Festgehalten sind sie teils versteckt, teils ganz offen in Diderots, Voltaires, D'Alemberts »Encyclopédie«, die uns auch heute noch Auskunft gibt über die eigentlichen Wurzeln dieses Streits. Zum Humor steht hier: »Die Engländer bedienen sich dieses Wortes, um einen ursprünglichen, ungewöhnlichen & höchst eigenartigen Spott zu bezeichnen.« Zur Beleidigung findet sich der Hinweis: »Das Licht der Wahrheit beleidigt höchstens gewisse Menschen, die Dunkelheit gewohnt sind. Ihnen die Wahrheit vor Augen zu führen heißt, einen Sonnenstrahl ins Nest der Eule zu schicken: Das Licht schmerzt sie in den Augen, so daß sie zu kreischen beginnen.« Die Encyclopédisten wissen von Menschen zu berichten, »deren Leben ein beständiger Mummenschanz ist; sie machen sich innerlich über die Sache lustig, die sie zu verehren scheinen & vor der sie die Menge der Toren, die sie täuschen, die Stirn bis in den Staub beugen lassen.« Diderot definiert: » Glauben heißt von der Wahrheit eines Satzes oder einer Tatsache überzeugt sein, weil man sich nicht die Mühe der Prüfung gemacht hat oder weil man geprüft hat, & zwar schlecht oder gut.« Die römische Kurie ist für Jaucourt »eine Schar von Schmeichlern, die den römischen Päpsten eine Vollkommenheit zuschreiben, die nur Gott besitzt & die er keinem Sterblichen verliehen hat; es sind schließlich Leute, die nichts unterlassen, um die heilige Demut & die apostolische Selbstlosigkeit in eine verwerfliche Selbstsucht & in eine Willkürherrschaft zu verwandeln.« Was wohl die selbsternannten »aufgeklärten Christen« und »Popetown«-Gegner zu solch aufklärerischen Gedanken sagen? Der Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen zeigte sich angesichts des gewaltigen Streits um den Trickfilmpapst »ratlos«: »Kein Mensch, kein Jugendlicher, kein Kind kommt auf die Idee zu glauben: Das ist jetzt wirklich ernsthafte Kirchenkritik.« Damit diese in den Massenmedien gar nicht erst aufkommt, muß bereits eine lächerliche Klamaukserie verboten werden. Daß dies eine für einen aufgeklärten Säkularstaat absurde Diskussion ausgelöst hat, die man gerade wegen ihres Irrwitzes sehr ernst nehmen muß, kann lediglich die Wirsindpapst-Wirrköpfe freuen . Und MTV, dessen Marktanteil bei der werberelevanten Zuschauergruppe während der ersten »Popetown«-Sendung dreimal so hoch war wie sonst. Natürlich kann sich der Sender ab sofort zum Verteidiger der Demokratie verklären und seine Gegner zu Beschützern einer Toleranz, die sie vor allem für sich selbst in Anspruch nehmen. Diderot: »Der verschlagene Mensch hat sich gesagt, daß er immer geschickt genug sein müsse, sich als rechtschaffener Mensch zu zeigen, aber niemals die Dummheit begehen dürfe, ein solcher zu sein.«
Erschienen in Ossietzky 10/2006 |
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