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Als er einmal mit Fritz Kortner überraschend abends zu Besuch kam, fand er ein Kasperletheater vor und improvisierte für Cohens Kinder sofort ein Stück »Verändere die Welt, sie braucht es«. Er selbst spielte den Esel, Kortner den Kasper. Mit Vater Cohen diskutierte er unter anderem über die Idee, die Gewerkschaften zum Garanten künftiger sozialistischer Rechtsstaatlichkeit zu machen: »Wenn ein Mitglied verhaftet wird, braucht er so lange [mit der Polizei; S. K. ] nicht mitzugehen, bis ein andres Mitglied seiner Gewerkschaft, das er nennt, zur Stelle ist und mit ihm geht. Ein Ankläger, der fünf Fälle gegen die Gewerkschaften verloren hat, muß seinen Posten abgeben; ein Verteidiger, der fünf Fälle gegen den Staat gewonnen hat, kann einen Posten im Staatsapparat als Ankläger verlangen.« Die Umstände, unter denen dieser Text entstand, wurden jetzt erst bekannt. Am 29. April wurden Teile des Cohen-Nachlasses einem großen Publikum während einer »Brecht-Nacht« im neuen Gebäude der Akademie der Künste am Pariser Platz vorgestellt. Einige der 140 bisher unbekannten Briefe Brechts und der 220 Briefe an ihn waren in Vitrinen ausgestellt, eine Auswahl wurde in verschiedenen Veranstaltungen gelesen. Es sind Überraschungen dabei. Über manche Aktivitäten Brechts bringen sie wertvolles neues Wissen, beispielsweise über sein bisher nur lückenhaft nachvollziehbares Engagement für das Council for a Democratic Germany, den Verein deutscher Emigranten, der für ein ungeteiltes Deutschland mit der Möglichkeit einer souveränen Innen- und Außenpolitik eintreten wollte. Geleitet wurde das Council von dem Theologen Paul Tillich. Auch Thomas Manns wurde als Mitglied geworben, aber nur für kurze Zeit. Weil er sich von einer in den USA weit verbreiteten Auffassung nicht abbringen ließ, daß »eine halbe Million Deutscher« das nazistische Abenteuer mit dem Leben bezahlen müßte, was das Council für unnötig hielt, zog er seine Unterschrift zurück. Die Briefe erzählen von vielen Niederlagen Brechts, aber auch von seinen schlauen und zähen Versuchen, sein Theater im Nachkriegsdeutschland ganz nach eigenen Vorstellungen aufzubauen. Er war enttäuscht, daß der Dichter Christopher Isherwood es ablehnte, den »Guten Menschen von Sezuan« ins Amerikanische zu übertragen. Weil er in der diesbezüglichen Unterredung immer von »Hilfe« gesprochen hatte, die er als ausländischer Dichter von ihm erwarte, hatte Isherwood ihm Geld angeboten. Brecht schrieb ihm, daß er es nicht brauche, da er über seine Drehbucharbeit an »Hangman also die« finanzielle Reserven für mehrere Stücke gewonnen hatte. Aus einem Brief an die kommunistische Millionärin Ella Winter erfahren wir, daß Brecht nachprüfen lassen wollte, ob ein Cäsar-Roman Thornton Wilders etwas mit seinem eigenen, unvollendet gebliebenen Cäsar-Roman zu tun habe, von dem er ihm erzählt hatte. Im Cohen-Nachlaß findet sich ein Brief Brechts an den Beauftragten für Ausländerkontakte des sowjetischen Schriftstellerverbandes, Apletin, aus dem hervorgeht, daß er schon im August 1945 das Angebot der sowjetischen Besatzungsmacht erhielt, ihn beruflich zu unterstützen, wenn er nach Deutschland zurückkehre. Da Brecht, wäre er im sowjetischen Exil geblieben, sicher bald als Trotzkist liquidiert worden wäre, wundert das auf den ersten Blick. Man muß sich aber vergegenwärtigen, daß Stalin damals noch keinen sozialistischen Separatstaat anvisierte, sondern ein neutralisiertes Deutschland, und daß sich die Siegermächte auf einen gigantischen Kampf um die kulturelle Hegemonie besonders im Nachkriegseuropa in Stellung brachten. Die sowjetische Kulturpolitik in der Besatzungszone war eine andere als die im eigenen Land. Brecht spielte, solange es ging, geschickt auf der Klaviatur unterschiedlicher Interessen der Besatzungsmacht und ihrer aus Moskau heimgekehrten Zöglinge. Diese zielten sofort auf einen Separatstaat, in dem sie den Sozialistischen Realismus sowjetischer Prägung durchzusetzen suchten, in dem Brecht kaum Platz hatte. 1945 versuchte Brecht wiederum bereits die sowjetischen Verantwortlichen dafür einzuspannen, die Aufführung seiner Stücke zu verhindern, bis er selber genügend Einfluß darauf nehmen konnte. Das signalisierte der Besatzungsmacht zwar Bereitschaft zum Zusammenwirken, andererseits aber auch, daß er gar nicht auf sofortige Aufführungen angewiesen war und auch ihr Bedingungen stellen konnte. Tatsächlich kam es damals zum Verbot einer »Dreigroschen-oper«-Aufführung, die Brecht inaktuell fand. Der Brief des sowjetischen Kulturoffiziers Alexander Dymschitz, der das Angebot wiederholte, als Brecht in der Schweiz Zwischenstation machte, galt bisher als verschollen. Nun ist zu lesen, daß darin noch nicht von einem ganzen Theater die Rede war, sondern wieder nur von Unterstützung. Von besonderem Interesse sind etliche Briefe an Helene Weigel. Sie sind voller Liebe, Achtung und Offenheit. Am meisten berührt ein Brief, den Brecht am 11.2.1946 aus New York schrieb, wohin er gereist war, weil er sich um die in eine Nervenklinik eingelieferte Ruth Berlau kümmern mußte. Er schrieb seiner Frau nicht nur ehrlich und ausführlich, wie es seiner Geliebten ging, sondern berichtete auch, wie er lerne, Suppen zu kochen und Geschirr zu spülen. Der Cohen-Nachlaß enthält nicht nur Schriften, sondern auch Pässe und Scheckbücher der Brecht-Familie und auch eine dänische Schreibmaschine, die Berlau gehört haben muß. Ein glücklicher Fund sind die von ihr veranlaßten Schallplattenaufnahmen Charles Laughtons vom Dezember 1947. Laughton erklärte hier dem bereits in die Schweiz abgereisten Brecht, weshalb er und der Darsteller des Andrea für die New Yorker Aufführung des »Galileo« bestimmte Änderungen im Vergleich zur Aufführung in Hollywood eingeführt hatten. Die Brecht-Nacht bot neben anderen Höhepunkten auch elf »private« Kurzfilme aus dem Hause Brecht. Es überrascht vor allem ein junger Brecht im Profil vor dem Fenster seines Ateliers in der Spichernstraße, dessen Profil zeigt, daß er sich nicht alle Haare römerhaft kurz schnitt, sondern am oberen Hinterkopf einen kleinen längeren Wirbel stehenließ, wodurch er zum ersten Berliner Irokesen wurde. Auf einem Foto wiederum ist zu erkennen, daß dieser Wirbel so kräftig war, daß Brecht darauf eine Glühbirne balancieren und gleichzeitig Zigarre rauchen konnte. Schön auch ein Kurzfilm von Ellen Auerbach, der Brecht rezitierend 1936 in London zeigt und für einige Augenblicke neben ihm eine fröhliche Margarete Steffin, die auch rezitieren will, sich aber vor Lachen nur biegen kann.
Erschienen in Ossietzky 10/2006 |
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