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Warum kommen einem solche Gedanken gerade während einer Bezirksverordnetenversammlung in Berlin-Lichtenberg am 26. April, in der es um »Stasi-Erinnerungskultur« geht? Ein Hauch von Weltgeschichte streifte das Kommunalparlament. Und es versagte kläglich. Es ging um eine Gedenkstätte auf dem Gelände einer ehemaligen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Da sollen Tafeln angebracht werden. Doch keine einzige davon wird an die Verbrechen gegen die DDR gemahnen, derentwegen viele der Untersuchungshäftlinge hier unbestritten inhaftiert waren. Verbrechen? Der Spiegel vom 1. Mai 1971 schrieb zum Beispiel, der Leiter der berüchtigten »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« (KgU) »wollte sich nicht mit politischer Propaganda begnügen, er befahl Sabotageakte. In der Zone begann es zu krachen: KgU-Gruppen vernichteten Transparente der SED mit Phosphor, die Finow-Kanal-Brücke bei Zerpenschleuse wurde beschädigt, Eisenbahnschienen wurden gesprengt.« Hatte die DDR etwa nicht das Recht, sich gegen solche und viele andere Anschläge zu wehren? Und hätte sie die NATO-Devise, den Sozialismus mit allen Mitteln zu bekämpfen, zu Land zu Wasser und in der Luft, einfach überhören sollen? Vor allem die einstigen Verfolgten des Faschismus, die zahlreich am Aufbau der DDR mitwirkten, hatten für solche Töne ein feines Gehör. Sie wollten die NATO daran hindern, nun »das richtige Schwein zu schlachten« – welch passendes Wort Churchills, nachdem sich Hitler ihm als das falsche erwiesen hatte. Mit Sorge blickten sie vor allem auf die BRD, einem Staat voller »Sühnedeutschen«, vor dem Alexander und Margarete Mitscherlich 1967 in ihrem Buch über die »Unfähigkeit zu trauern« warnten: Wenn die Bundesrepublik zu einem politischen Machtfaktor in der Welt würde, »dann könnte von jener Gefahr gesprochen werden, die heute von den Repräsentanten der DDR im Rivalitätsstreit an die Wand gemalt wird. Denn gegen den Wiederholungszwang der Verführbarkeit zu maßlosen aggressiven Ausschweifungen ist hierzulande nur wenig geschehen.« Sollten die Kommunisten nach 1945 das nicht auch so gesehen haben, die doch einst früher als andere gewarnt hatten: Wer Hitler wählt, wählt den Krieg. Sie versuchten, den Auftrag des Potsdamer Abkommens zu erfüllen, den Faschismus mit Stumpf und Stiel auszurotten und zu vernichten und seine Widerauferstehung zu verhindern. »Ausrotten« ist ein hartes Wort, aber genau der Duktus des Potsdamer Abkommens. Und die Kämpfer gegen den Faschismus, eben noch in den KZs, Zuchthäusern oder Strafbataillonen, nahmen nach schweren Mißhandlungen geschwächt oder erkrankt diesen Auftrag auf sich. 50 Millionen Tote standen hinter ihnen. Im Februar 1947 fand in der Sowjetischen Besatzungszone der 1. Kongreß der Antifaschisten statt. Auf 11.000 Fragebögen sollten sie angeben, wo sie indes tätig waren. 994 waren im Polizeidienst, 99 als Polizeichefs. Das war die am häufigsten angegebene Berufsgruppe. Sie taten es aus Verantwortung. Und so wurden mit dem antifaschistischen Kampf auch die ethischen Prinzipien geboren, aus denen sich die neuen Pflichten neuer Macht herleiten lassen, »in den Grenzen der historischen Möglichkeiten« (Rosa Luxemburg). Mehr kann man billig von niemandem erwarten. Aus den Reihen der Antifaschisten wurden im wesentlichen auch die späteren bewaffneten Organe der DDR einschließlich des MfS gebildet, ausgewählt oder geschult. Im Kalten Krieg standen sich nach 1945 bald gigantische Streitkräfte gegen-über, wie sie in Friedenszeiten bis dahin unüblich gewesen waren. Das Gefühl, sich in einer Zwischenkriegszeit zu befinden und nicht in einer Nachkriegszeit, breitete sich aus. Man dürfe, wurde nun entgegengehalten, die Existenz einer Untersuchungshaftanstalt des MfS nicht aus der Logik des Kalten Krieges erklären. Schön gesagt. Und aus der ständigen Gefahr eines heißen? Aus welcher Logik erklärt sich die Heftigkeit der aktuellen Debatten um längst Vergangenes? Aus dem Verdrängungswettbewerb anderer Themen wie Irakkrieg, Sozialraub, Repression und neue faschistische Gefahren in einem neuen Kalten Krieg? »Stasi« war in der Bezirksverordnetenversammlung angekündigt. Die Szene ward zum Tribunal – über den Sozialismus. Doch die Geschichte des MfS oder des Sozialismus ist keine Geschichte außerhalb der Geschichte. Man soll nicht aufrechnen, aber das kann nicht heißen, daß man nicht vergleichen darf. In seltener Häufung hörte man Zurufe wie »kommunistische Drecksau«, »Verbrecher«, »die gehören ins KZ«, »Linksfaschisten« oder »kriminelle Vereinigung«. Was sollte das werden? Pogromgeschrei oder Theaterdonner? Schimpfwörter, die man sonst von Neonazis hört. Und keiner wurde deswegen des Pults oder gar des Saales verwiesen. Wohin soll das führen? Offener Antikommunismus der Versammlungsleitung (gestellt von der PDS-Mehrheit in diesem Stadtbezirk) richtete sich reglementierend gegen alle die, die sich als ehemalige Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden zu den gegen sie vorgebrachten Vorwürfen äußern wollten. Dieser Antikommunismus erwies sich als nicht demokratiefähig, denn er hob die Voraussetzungen der Humanität und Vorurteilsfreiheit, die er als Bedingungen an das geschichtliche Handeln anderer stellte, durch sein eigenes Handeln wieder auf. Erst nachdem alle wichtigen Beschlüsse gefaßt waren (unter anderem soll ein Schild aufgestellt werden, auf dem der »unteren Nazifunktionäre, Mißliebigen und Unschuldigen« gedacht werden soll, die in dem sowjetischen Speziallager einsaßen – also alle »fast unschuldig«), ließ man nach Mitternacht den Anwalt und Autor Friedrich Wolff berichten, zu welchem Gesamtergebnis die Unter- suchung von DDR-Unrecht in ihrer juristischen Aufarbeitung durch die Bundesrepublik geführt hat: »Die in den 25 Urteilen gegen MfS-Mitarbeiter ausgesprochenen Strafen lassen überdies erkennen, daß ein schwerwiegendes Delikt allenfalls in dem einen Fall vorlag, der mit Freiheitsstrafe geahndet wurde.« Folter war nicht darunter. Und nie hatten die Vereinten Nationen oder der Europarat Anlaß, bei der DDR wegen Folter zu intervenieren – ganz im Gegensatz zur Bundesrepublik, wo der Europarat zwischen 1987 und 1989 dreimal wegen der Zustände in den Justizvollzugsanstalten Bremen-Oslebshausen, Berlin-Moabit und Berlin-Tegel vorstellig wurde. Wie schrieben die Mitscherlichs und wie bejubelten die 68er sie deswegen? »Menschen erinnern nicht objektiv. Sie färben Geschichte immer zu ihren Gunsten. Sie leben in einer stilisierten Welt.«
Erschienen in Ossietzky 10/2006 |
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