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Fernab der Weltöffentlichkeit – nur noch Al Dschasira und CNN berichten außerhalb Iraks regelmäßig – findet ein Strafverfahren statt, das nach dem Willen seiner Urheber eigentlich welthistorische Bedeutung erhalten sollte. Bei genauer Betrachtung zeichnet sich aber schon ab, daß an dem Prozeß gegen Saddam Hussein, der am 19. Oktober 2005 in Bagdad im Namen der irakischen Regierung vor einem von den USA geschaffenen Sondertribunal begann, nichts historisch zu nennen sein wird außer der Tatsache, daß er ein inszenierter Schauprozeß mit einem vorfabrizierten Ergebnis ist. In diesem Prozeß werden nur 19 Anklagepunkte gegen Hussein verhandelt, die mit einem Massaker in Zusammenhang stehen, bei dem 1982 in dem Dorf Dujail 150 Menschen getötet wurden. Das Massaker war die Reaktion auf einen fehlgeschlagenen Attentatsversuch gegen Hussein, den angebliche Mitglieder der fundamentalistischen Schiiten-Organisation Da'awa – der Partei des heutigen irakischen Ministerpräsidenten Ibrahim al-Jaafari – begangen hatten. Das Massaker von Dujail wurde ausgewählt, weil ein vom Angeklagten persönlich unterzeichnetes Hinrichtungsdekret vorliegen soll und weil es nicht, wie andere Hussein zugeschriebene Verbrechen, vom Westen (namentlich von den USA oder der BRD) ermutigt oder gebilligt worden ist. Zu jenen anderen gehören: die Ermordung von Mitgliedern der irakischen Kommunistischen Partei 1979; die Ermordung Tausender Schiiten in der Vorbereitung auf den Überfall des Irak auf den Iran 1980; der Einsatz vom Westen gelieferter Chemiewaffen gegen iranische Truppen und Zivilisten während des iranisch-irakischen Kriegs von 1980–88; die Pogrome gegen die kurdische Bevölkerung in den späten 1980er Jahren; das Abschlachten von Tausenden Kurden und Schiiten nach dem Golfkrieg von 1991. Der Prozeß gegen Hussein ist bewußt so organisiert worden, daß sich Vorgänge wie im Prozeß gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic vor dem Internationalen Ad-Hoc-Tribunal des UN-Sicherheitsrats in Den Haag nicht wiederholen können. Gegen Milosevic wurden 66 Anklagepunkte wegen Kriegsverbrechen und Völkermord verhandelt, die er angeblich in Kroatien, Bosnien und dem Kosovo begangen haben soll. Bekanntlich hat er den Prozeß dazu genutzt, die Verantwortung der Großmächte für das Schüren ethnischer Konflikte nachzuweisen, die die Region zerrissen haben, und den kriminellen Charakter des NATO-Angriffs von 1999 auf Jugoslawien zu entlarven. Dem Angeklagten gelang es, zahlreiche Zeugen der Anklage im Kreuzverhör entweder als unglaubwürdige Werkzeuge der NATO-Aggression vor der Öffentlichkeit bloßzustellen oder aber zu Zeugen der Verteidigung umzufunktionieren. In Bagdad konnte der ursprünglich von den USA eingesetzte Vorsitzende Richter jedoch nicht verhindern, daß Saddam Hussein sich als rechtmäßiger Präsident des Irak bezeichnete und damit die Legitimität des Gerichts öffentlichkeitswirksam bestritt. Aber durch die enge Auswahl der Anklagepunkte hoffen die USA, zumindest eine Erörterung ihrer Zusammenarbeit mit dem Baath-Regime in den 1980er Jahren zu vermeiden. Dabei könnte Hussein zum Beispiel über die Gespräche berichten, die er 1983 und 1984 mit dem damaligen Gesandten des Präsidenten und heutigen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld geführt hat und die zur amerikanischen Unterstützung des Irak im Krieg gegen den Iran führten. Deshalb scheint das Ergebnis des Prozesses weitgehend vorbestimmt. Der irakische Präsident Jalal Talabani sagte am 6. September 2005 im nationalen Fernsehen, Hussein sei »ein Kriegsverbrecher, der es verdient, zwanzigmal am Tag für seine Verbrechen hingerichtet zu werden« (ein Todesurteil werde er jedoch nicht unterzeichnen), und auch der Regierungschef verlangte kurz vor Beginn einen kurzen Prozeß. Die Folgen sind absehbar: Artikel 30(b) der Statuten des Irakischen Sondertribunals bestimmt, daß ein Todesurteil spätestens dreißig Tage nach Ausschöpfung der Rechtsmittel vollstreckt werden muß. Diese Bestimmungen, bemerkte Human Rights Watch, »können dazu führen, daß eine in mehreren Verfahren angeklagte Person in einem dieser Verfahren angeklagt, verurteilt und hingerichtet wird, bevor die anderen Verfahren abgewickelt worden sind – mit der möglichen Folge, daß Opfer, Zeugen und das irakische Volk insgesamt daran gehindert werden, schlüssig festzustellen, welche Personen für einige der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen der irakischen Geschichte verantwortlich sind. Die Hinrichtung eines verurteilten Gefangenen, während noch andere Prozesse gegen ihn laufen, bedeutet, daß die Beweise für oder gegen ihn hinsichtlich dieser Fälle vielleicht niemals öffentlich zur Sprache kommen werden.« Die Anklage gegen Hussein und andere Baath-Führer ist von Anfang an von einem Verbindungsbüro vorbereitet worden, in dem Anwälte und Berater aus den USA, Großbritannien und Australien mitarbeiten – aus Ländern also, die mit ihrer Teilnahme an der Invasion 2003 und an der Besatzung selbst Kriegsverbrechen begangen haben. Die New York Times nannte »das Verbindungsbüro die wirkliche Macht hinter dem Tribunal«, das es »in jedem Aspekt seiner Arbeit beraten und für das es oft auch die Entscheidungen getroffen hat, und zwar immer hinter einem Schleier der Anonymität«. Washington finanziert die Aktivitäten des Sondertribunals mit 138 Millionen Dollar. Aus Sorge vor der öffentlichen Wirkung des Prozesses haben US-Vertreter Druck auf die irakische Regierung ausgeübt, die Sitzungen des Gerichts nicht im Fernsehen zu übertragen, jedenfalls nicht früher als 20 Minuten nach der Aufnahme. Die New York Times erklärte offen, daß dies »dem Tribunal wohl die Möglichkeit geben soll, unerwünschte Entwicklungen im Gerichtssaal zu zensieren – zum Beispiel einen verbalen Ausbruch Mr. Husseins oder eine Sicherheits-panne«. Saddam Hussein und die anderen Angeklagten sind zudem verpflichtet, sich von Anwälten verteidigen zu lassen; sie dürfen sich nicht selber verteidigen. Dies soll die Angeklagten daran hindern, für dramatische Inszenierungen vor Gericht zu sorgen, wenn sie die Zeugen selbst ins Kreuzverhör nehmen oder in eigener Sache plädieren. Zwei von Husseins Verteidigern fielen Anschlägen zum Opfer; ein Mordkomplott gegen den Ermittlungsrichter Dschuhi wurde aufgedeckt; ein Anschlag auf das Gerichtsgebäude wurde vereitelt, und einige Verteidiger haben sich infolge dieser Ereignisse zurückzogen. Der Vorsitzende Amin erwog die Verlegung des Prozesses in die weniger instabilen kurdischen Regionen im Nordirak. Der Prozeß wird aber weiterhin in Bagdad geführt. Der US-amerikanische Anwalt Ramsey Clark, früherer US-Justizminister und prominenter Gegner des Irak-Kriegs, sprang als Ersatz für die ermordeten Anwälte ein. Er hatte auch schon Slobodan Miloševiæs Verteidigung unterstützt. Ein weiterer Anwalt Saddam Husseins, Najib al-Nawimi, ehemaliger Justizminister des Nachbarlandes Katar, bestritt die Legitimität des Gerichts, da große Teile seines Statuts während der Besetzung durch die USA geschrieben worden seien. Das von den USA eingerichtete Sondertribunal verstößt gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht. Das Genfer Abkommen vom 12.8.49 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten (das sogenannte IV. Genfer Rotkreuz-Abkommen) bestimmt ausdrücklich, daß das Strafrecht in den besetzten Gebieten in Kraft bleibt (wonach das Staatsoberhaupt nicht einfach unter Anklage gestellt werden kann) und die (vorhandenen) Gerichte ihre Tätigkeit fortsetzen, die Besatzungsmacht also keine neuen errichten darf (Artikel 64 Absatz 1). Nach Artikel 70 findet eine Strafverfolgung wegen Straftaten, die vor der Besatzung begangen wurden, nur statt, wenn es sich um Verstöße gegen das Kriegsrecht handelt – also um Handlungen gegenüber dem Kriegsgegner und nicht der eigenen Bevölkerung. Der Prozeß in Bagdad findet unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Aus Furcht vor Anschlägen wird Zeugen gegen Saddam Hussein Anonymität zugestanden. Viele Menschenrechtsorganisationen haben festgestellt, daß der Prozeß gegen Hussein völkerrechtswidrig und das Tribunal widerrechtlich eingesetzt worden sei. Human Rights Watch beanstandete zudem, daß die Rechte der Angeklagten beschnitten würden. Ein Menschenrechtsbeobachter der Vereinten Nationen erhob ebenfalls Bedenken: Das Gericht werde internationalen Standards nicht gerecht. Das Tribunal ist nicht geeignet, Verbrechen von und unter Saddam Hussein aufzuklären, erst recht nicht die Kriegsverbrechen, die in den Irak-Kriegen begangen wurden. Dies bleibt Aufgabe der Tribunale von unten im Geiste der Russell-Tribunale, die einst den Vietnam-Krieg der USA untersuchten und verurteilten (Näheres zum Irak-Tribunal auf der Homepage des Autors www.menschenrechtsanwalt.de). Auf einem dieser Tribunale erklärte Arundaty Roy, eine der Wortführerinnen der Anti-Globalisierungsbewegung, im Juni vergangenen Jahres in Istanbul den Unterschied: »… dieses Tribunal ist nicht in irgendeiner Art und Weise eine Verteidigung von Saddam Hussein. Seine Verbrechen an Irakern, Kurden, Iranern, Kuwaitis und anderen können nicht verrechnet werden mit dem Prozeß, Licht zu bringen in Iraks aktuellere und anhaltende Tragödie. Dennoch, wir dürfen nicht vergessen, daß, als Saddam Hussein seine schlimmsten Verbrechen beging, die US-Regierung ihn politisch und materiell unterstützte. Als er kurdische Menschen vergasen ließ, finanzierte ihn die US-Regierung, bewaffnete ihn und stand schweigend daneben. Während wir hier sprechen, wird Saddam Hussein gerade als Kriegsverbrecher abgeurteilt. Aber was ist mit denen, die geholfen haben, ihn an die Macht zu bringen, die ihn bewaffnet haben, die ihn unterstützt haben – und die jetzt ein Tribunal errichten, das ihn verurteilen und sie komplett freisprechen soll?« Das Tribunal gegen Saddam Hussein dient offenkundig weniger der Aufklärung als der Verschleierung und der nachträglichen Legitimierung des völkerrechtswidrigen Aggressionskriegs.
Erschienen in Ossietzky 9/2006 |
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