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Wenn hierzulande inmitten einer Stadt ein Mensch, weil er die falsche Hautfarbe hat und mit ihr nicht nach Deutschland gehört, auf offener Straße, in einem Lokal oder in der Bahn tätlich angegriffen, zum Krüppel geschlagen oder zu Tode geprügelt wird, dann sind wir betroffen. Zudem auch traurig, entsetzt, schockiert, erzürnt und selbst sprachlos. Letzteres allerdings nicht in solchem Grade, dass wir es nicht in die uns hingehaltenen Mikrophone und vor Fernsehkameras sagen könnten, damit es gedruckt und gesendet werden kann und das Ausland keinen falschen Eindruck von uns bekommt. Gegen den lassen wir auch unsere Blumen sprechen, die wir am Orte des Verbrechens niederlegen. mit unseren Vorsätzen beenden. Da lassen und schließen wir niemanden aus, auch nicht den Präsidenten eines Clubs, der sich Germania nennt. In unserem Text machen wir aus Betroffenheitsarien einen »deutschlandweiten Aufschrei« und bekunden: Wir stehen auf und miteinander, wir wenden uns, wir verteidigen, wir öffnen unsere Türen und unsere Herzen. Daß wir und das uns schaffen verbale Distanz. Gegen wen? Gegen sie . Die weder Deutsche, vor allem keine deutschen Patrioten, noch Brandenburger sind und es auch niemals sein werden. So werden sie , zwei rassistische Fanatiker des barbarischen Typs, auf kurzem Gedankenweg exportiert. Das hatten wir schon zahlreicher, nämlich beim letzten großen Malheur. War dieser Hitler vielleicht einer von uns und nicht ein Österreicher? Und der Kaltenbrunner? Und der Eichmann, der Judenmörder? Und der Seyß-Inquart, der die Niederländer knechtete? Das waren doch unsere auch nicht. Wir sind 21. Jahrhundert, was immer das besagen soll, aber nicht besagen kann, denn in diesem jungen Jahrhundert haben sich Mord und Totschlag, staatlich sanktioniert, weltweit schon ausgetobt bis auf diesen und den morgigen Tag. Nein, wie wir den »Führer« so einfach uns nicht vom Halse schaffen konnten, so einfach werden wir auch sie nicht los, denn sie sind und bleiben die unsrigen doch, in Freiheit wie hinter Gittern. Nicht in einem moralischen Sinne, versteht sich. Doch sie kommen aus der Gesellschaft, in der wir mit ihnen zusammengelebt haben. Könnten deshalb die Betroffenen sich nicht ein paar Fragen stellen? Und wenn sie selbst nicht darauf kommen, sollten es dann nicht die Journalisten übernehmen, die sie umlagern und umlauern? Also könnte man in der Potsdamer Zeppelinstraße und andernorts Passanten fragen: 1. Glauben sie, daß Sie selbst etwas gegen das Umsichgreifen von Fremdenhaß tun könnten, oder haben Sie gar dagegen schon etwas getan? 2. Waren Sie je in einer Veranstaltung, in der Schritte gegen das Anwachsen menschenfeindlicher Ideologie und Praxis beraten wurden? 3. Haben Sie je an einer Demonstration gegen die Nazis teilgenommen? 4. (Gerichtet an Ältere) Sprechen Sie mit Ihren Kindern oder Enkeln über politische und allgemein menschliche Moral und sorgen Sie gegen ihr Abgleiten in die Naziszene vor? 5. (Gerichtet an Jüngere) Habt Ihr in Eurer Schulklasse oder in Eurer Clique über Euer eigenes Verhalten und Tun gegen Nazis und andere Rechtsextremisten Euch verständigt. 6. (Gerichtet an Alte wie Junge) Haben Sie kollegiale oder freundschaftliche Beziehungen zu Ausländern oder Deutschen anderer Herkunft als der der Bevölkerungsmehrheit? Pflegen Sie mit ihnen einen ermutigenden oder auch demonstrativen Kontakt? 7. Halten Sie die Zahl der in Ihrer Lebens- und Wohngegend bestehenden Jugendclubs für ausreichend? Kennen Sie deren Programm und wie bewerten Sie es? 8. Meinen Sie, daß die Abgeordneten Ihres Wahlkreises und die gewählten Staatsbediensteten genug tun, um Barrieren gegen Fremdenfeindlichkeit zu errichten? 9. Glauben Sie, daß für diese Zwecke hinreichend Mittel, auch finanzielle, aufgewendet werden? Und wissen Sie, wie viele Euro in Ihrem Land und bundesweit dafür zur Verfügung stehen? Zusatzfrage: Können Sie diese Summe mit der vergleichen, die die Korvette gekostet hat, die soeben von der Bundesmarine in Dienst gestellt wurde? 10. Glauben Sie, daß wir mit den Totschlägern leben müssen, dauernd oder wie lange? Warum stellen Journalisten an Tatorten solche Fragen nicht? Weil sie ihnen vor eigener Betroffenheit nicht einfallen? Weil sie die Antworten kennen und vermeinen, die Zuhörer und Zuschauer und Leser kennten sie auch? Oder weil sie auftragsgehorsam die Betroffenheitszudecke nicht von dieser Gesellschaft und diesem Staat ziehen wollen, in dem wir und sie leben? Merke deshalb: Wir sollen uns in punkto Betroffenheit nicht völlig verausgaben, sondern auf Reserven bedacht bleiben. Wenn und damit wir wieder gegen sie aufstehen können – beim nächsten »Aufstand der Anständigen«, der Selbstgerechten und Heuchler.
Erschienen in Ossietzky 9/2006 |
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