Die neuen Freunde des Arbeitslosen

David Spoo

Seit kurzem bin ich arbeitslos. Als Neuling in diesem Metier setzt man sich zunächst mit zwei Ängsten auseinander: der Unwahrscheinlichkeit, schnell wieder einen Job zu finden, und der Gefahr des Verlustes sozialer Kontakte. Die erste Angst ist, wie ich inzwischen gelernt habe, durchaus begründet, die zweite entbehrt jeder Grundlage. Ich bekomme zwar nicht plötzlich unangemeldeten Besuch – selbst der gute, alte Staubsaugervertreter scheint ausgestorben zu sein, und bisher haben auch keine freundlichen Menschen an der Tür geklingelt, um mit mir über Gott zu sprechen. Aber es gibt ja ihn: den Callcenter-Agenten.

Von dieser Spezies scheint es sogar sehr viele Exemplare zu geben. So viele jedenfalls, daß ich fast täglich mit einem dieser netten Leute plaudern kann. Ich bin immer wieder erstaunt, was es alles zu besprechen gibt. In meinem ersten Telefon-Kontakt beantwortete ich die Frage, ob ich denn an DSL interessiert sei, wahrheitsgemäß mit der Aussage, daß ich darüber schon nachgedacht hätte, denn bei der Arbeitssuche ist ein schneller Internetzugang sicher hilfreich. Ich bat also darum, mir Informationsmaterial zu schicken. Mein Briefkasten blieb zwar leer, aber drei Tage später rief eine Dame an, die mich als DSL-Neukunden begrüßte. Ich entgegnete, daß ich nur eine Broschüre bestellt und gar nichts unterschrieben hätte. Das braucht man auch nicht mehr, erfuhr ich, und überhaupt habe ein Infoblatt bereits der letzten Telefonrechnung beigelegen, weiteres Material werde generell nicht verschickt. Doch zu meiner Beruhigung erläuterte sie mir, daß der Vertrag – den ich gar nicht abgeschlossen hatte – in diesem Telefonat für mich kostenfrei storniert werden könne. Prima: Diese beiden Gespräche haben mich mindestens 20 Minuten aus der Ödnis des Arbeitslosendaseins befreit. Und noch besser: Diese Beschäftigung war für mich völlig unentgeltlich.

Ob mich denn derzeit akute Zukunftsängste plagen, möchte eine Dame wissen, ein Herr interessiert sich für meine Meinung zur Rentenerwartung. Gerade vorhin konnte ich einige Einzelheiten meines Weingenußverhaltens darlegen: Lieber Rot- als Weißwein und ja, ich hatte schon mal gehört, daß Rotwein in Maßen durchaus gesundheitsfördernd sein soll. Die junge Frau hatte um eine Minute meiner Zeit gebeten, doch schon nach 30 Sekunden waren alle fünf Fragen beantwortet. Ich bin enttäuscht – es hätte doch sicher einiges mehr über dieses interessante Thema zu besprechen gegeben. Da sind mir die Anrufer lieber, die eingangs ankündigen, ihre Umfrage werde zwei Minuten in Anspruch nehmen, um nach zehn Minuten zu versichern, der Fragenkatalog sei bestimmt bald abgearbeitet.

Damals, noch berufstätig, war ich ein unwissender Mann, der sein Geld verschleuderte. Jetzt erst als Callcenter-Informierter weiß ich, daß meine Kfz-Versi-cherung bei Anbieter XY viel günstiger zu haben ist, meine Finanzen dringend optimiert gehören und ich doch verrückt bin, wenn ich nicht auf den Call-by-call-Tarif umsteige und mein Handy zu Hause nicht zum Festnetzpreis benutze.

Von Langeweile keine Spur, ich stehe mitten im Leben. In der glücklicherweise abgeschlossenen Vergangenheit hatte ich mich immer gefragt, woher die in der Zeitung denn wußten, daß 54,3 Prozent der Fernsehzuschauer gestern die Übertragung des Fußball-Länderspiels gesehen haben, und woher die Kenntnisse über den Fleischverzehr der Deutschen stammen. Nun, wenn ich die Auswertung der neuesten Forschungsergebnisse lese, sage ich voller Stolz: Das bin alles ich!

Nächste Woche habe ich einen Termin bei meinem Arbeitsvermittler. Ich bin inzwischen nicht mehr sicher, ob ich wirklich wieder Arbeit haben will. All meine neuen Freunde wären doch enttäuscht, wenn ich tagsüber telefonisch nicht mehr zur Verfügung stände. Aber vielleicht bekomme ich das Angebot, in einem Callcenter tätig zu werden – ja, das wäre die Lösung.

Jan Neumann, (07. Jan. 2007, 16:46)

Erschienen in Ossietzky 9/2006