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Mehrwertsteuer für mehr RüstungDer Militäretat soll bis 2009 um eine weitere Milliarde Euro steigen, kündigte Minister Jung (CDU) in der Haushaltsdebatte des Bundestags an. Vor allem will er die „verteidigungsinvestiven Ausgaben“ (für Kriegsgerät und Kriegstransportgerät) erhöhen: von 5,8 Milliarden Euro 2005 auf 7,2 Milliarden Euro 2009. Im Haushaltsbegleitgesetz stellt die Bundesregierung fest: „Die laufenden Ausgaben übersteigen die regelmäßig fließenden Einnahmen dramatisch.“ Aber wenn es gilt, die Rüstungsindustrie zu alimentieren und durch Bundeswehreinsätze den „ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt aufrechtzuerhalten“ (wie es seit den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 Auftrag der Bundeswehr ist), mag die Bundesregierung nicht knausern, sondern sie erschließt kaltblütig neue Einnahmequellen. Für den „strukturellen Handlungsbedarf“ sieht sie im Haushaltbegleitgesetz folgende Lösungen: Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozent ab 2007; Streichung des bisherige Defizitzuschusses des Bundes für die Bundesagentur für Arbeit; Verringerung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung um 170 Millionen Euro im Jahre 2006 und um 340 Millionen Euro ab 2007; Senkung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung für Bezieher von Arbeitslosengeld II; Kürzung der pauschalen Zuweisung des Bundes an die Gesetzliche Krankenversicherung auf 1,5 Milliarden Euro im Jahre 2007, danach soll diese Zuweisung auslaufen. Die Kleinen zahlen für die Rüstung, den Großen werden Steuern erlassen. Wie das ZDF am 8. April meldete, plant das Bundesfinanzministerium, den Körperschaftsteuersatz von derzeit 25 auf bis zu 15 Prozent zu senken. Anne Rieger
Peanuts für Peachummärkte + trends berichtet, daß die Deutsche Bank „dem Theaterereignis im Brecht-Jahr“ Hilfestellung gibt: Klaus Brandauers Inszenierung der „Dreigroschenoper“. Auch hat die Deutsche-Bank-Stiftung zwei Wettbewerbe ausgeschrieben, um „junge Menschen für Kunst und Musik zu begeistern“: SchülerInnen sollen Texte für ein Begleitheft zur Brecht-Oper entwickeln und junge Designer Plakate entwerfen. Und so kann es denn sein, daß wettbewerbsfreudige junge Leute auf diese Textstelle stoßen: „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Die Gefahr freilich, daß durch eine solche Anregung der Deutschen Bank neue Konkurrenz entstehen könnte, ist gering, und deshalb kann sich das Finanzinstitut diesen Spaß leisten. Selbstsubversiv? Eher Hohn der Mächtigen, die so fest im Sattel sitzen, daß eine Brecht-Rezeption sie nicht ins Schleudern bringen kann. Arno Klönne
Die Zentrale mag's einheitlichBei den hessischen Kommunalwahlen haben linksoppositionelle Listen vergleichsweise gut abgeschnitten, ihre Vertreter sitzen nun in 130 Stadt- oder Kreisparlamenten oder Ortsbeiräten. Inzwischen wertete die Linkspartei/PDS auf einem Landesparteitag die Ergebnisse aus, wurde aber vom Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch abgemahnt: „Ihr braucht ein einheitliches Erscheinungsbild.“ Das kommunale Auftreten in unterschiedlichen Formen sei „strategisch kontraproduktiv“. Da wundert man sich, denn Wahlforscher verschiedener Institute hatten den linken Hessen gerade bescheinigt, daß sie aus folgendem Grunde erfolgreich gewesen seien: Die lokale Vielfalt linker Aktivitäten wurde nicht von oben her eingeebnet, es traten jeweils die örtlich am besten verankerten Gruppierungen auf, PDS, WASG, DKP oder andere, und dennoch wurde (bis auf Darmstadt) Konkurrenz untereinander vermieden – vermutlich der richtige Weg zu einer gemeinsamen Partei, die ja noch nicht gebildet ist und die viele neue MitstreiterInnen einbeziehen muß, wenn sie sich Wirkung verschaffen will. Warum muß dem allen gleich ein „einheitliches Markenzeichen“ verpaßt werden? Oder gar das Organisationsmuster einer Bundesgeschäftsführung? Der unbehagliche Gedanke liegt nahe, daß es bei allzu rascher Vereinheitlichung unter Berliner Regie auch darum gehen könnte, die kommende Linkspartei marktfähig zu machen – als Juniorpartnerin für künftige Regierungskoalitionen. In welches Geschäft, Herr Geschäftsführer, führen Sie die Partei? Marja Winken
Ermunterung zur BasisdemokratieDer Autor, studierter Physiker und Volkswirtschaftler, ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac, jener Organisation, die es in wenigen Jahren geschafft hat, mehr als 100.000 Menschen netzwerkartig in über 50 Staaten gegen die menschenunwürdigen Folgen der kapitalistischen Globalisierung zu organisieren. „Der Mensch ist kein Ding“, hat einst Erich Fromm gesagt, dessen geistiger Orientierung der Autor leidenschaftlich folgt. Er fordert mehr direkte Demokratie und sagt voraus, daß sich dann „eine Privatisierung kommunaler Infrastruktur nicht durchsetzen“ lassen werde. Er streitet gegen den Ausverkauf kommunalen Eigentums und den dadurch bewirkten Abbau der Demokratie. Und er beleuchtet die Konzentration der europäischen Presse- und Medienanstalten in den Händen weniger Monopolisten. Dagegen stellt er die demokratische Nutzung des Internets („Es ist einfacher, eine E-Mail an 500 Empfänger zu senden als einen Brief an eine einzige Person“). An Beispielen zeigt er, was beispielsweise gewerkschaftliche Aktion gegen die Unmenschlichkeit von Konzernen auszurichten vermag. Das Buch ist ein Plädoyer für Einmischung von unten, zu der jeder Einzelne beitragen kann und soll. „Basisbewegungen überall auf der Welt verbreiten Aufbruchstimmung und wollen der Vision einer ‚lebensdienlichen Wirtschaft' näher kommen“, hofft und wirbt Klimenta. (Das gequälte Vorwort kann man überschlagen, einige kritische Bemerkungen übef Kant, Hegel und Marx desgleichen.) Jürgen Meier Harald Klimenta: „Das Gesellschaftswunder“, Aufbau-Verlag, 320 Seiten, 19,90 €
NationalhymnenLiest man die Texte der Hymnen, die das jeweilige Vaterland beschwören, das ewige, starke, einige, einzige Vaterland, dann packt einen die Angst. Schnell bekommt man Ohrensausen, und das Herz wird schmerzhaft von hämmernden Schlägen getroffen. Doch wer sich durch die mehr als achtzig „Nationalhymnen“ durchgelesen hat, die, „auf den aktuellen Stand gebracht“, in einer bewährten Reclam-Edition zusammengebunden sind, weiß, mit wie vielen Nationen der einzigartige Vaterlandsstolz geteilt werden muß. Das sollte in den Schulen aller Länder gelehrt werden. Bernd Heimberger „Nationalhymnen. Texte und Melodien“, Philipp Reclam jun, 230 Seiten, 12 €
Wiederholte GeschichteWas hat sich die DDR nicht angestrengt, die beste DDR der Welt zu sein. Für die Bürger war das oft zu anstrengend, sie wünschten sich das Land lockerer. Ganz locker wollte die DDR mal ihren deutschen Nachbarn, die BRD, überholen, ohne einzuholen – ähnlich wie die UdSSR die USA überholen wollte. Darüber lachten die Bürger und fanden schon die bloße Vorstellung so anstrengend, daß sie gar nicht erst mit dem Einholen anfingen. Und wußten gar nicht, daß sie im Überholen schon ein riesiges Stück vorangekommen waren. Und zwar im Weltmaßstab. 1974 hatte die FKK-freundliche DDR die USA um manche Morallängen hinter sich gelassen. Jugendlichen „Gammlern“ wurde schon längst kein Haar mehr gekrümmt, geschweige den gestutzt. Das Tragen von Jeans in der Schule war Ehrensache jedes Schülers, der Westverwandtschaft hatte oder eine kleine Intershopkasse, und der neue Generalsekretär überschwemmte sein Land mit importierten Original-Levis 501. Das war der Fort-Schritt, während in den freiheitlichen USA andere Regeln galten. „Die Haare durften nicht über den Kragen fallen, und zur Schule waren Blue Jeans verboten“, erinnert sich der ehemalige Austauschschüler Tom Buhrow, der im Herbst Ulrich Wickerts Part in der Fernseh-Schau-Bühne über- nimmt. Mal sehen, wie Buhrow die Ostdeutschen einholen will, die ihn schon mal überholt hatten. B. H.
Ein ÜberzeugungstäterDer Titel „ Verdammte Kommunisten ” ist schön mehrdeutig, eindeutig dagegen die Trauer des Autors über den Verlust seines „ sozialistischen Vaterlandes”, der DDR, wo er allerdings nur während seiner Reportagereisen weilte. Heinz D. Stuckmann berichtete ab 1957 fair und objektiv über den anderen deutschen Staat für Die Zeit, den stern, den WDR, das FAZ-Magazin. Der vielgefragte Journalist, 1923 in Köln geboren, ursprünglich kein Linker, neigte dem Katholizismus zu. Tief enttäuscht über die Haltung des Klerus zu Hitlers Krieg, den die meisten Kirchenoberen bejahten, da es doch gegen den Bolschewismus ging, wandte er sich ab. Adenauer empörte ihn, als er unbedenklich Leute mit brauner Vergangenheit um sich scharte. Das Unbehagen ließ den jungen, begabten Aufsteiger sein Heil jenseits der innerdeutschen Grenze suchen, seit 1973 war er IM, doch weder Spion noch Stasi-Anwerber, von beiden Vorwürfen sprach ihn 1994 ein Gericht frei. Stuckmann, der Überzeugungstäter, glaubte ehrlich, daß sie „ drüben” vieles besser machten. Dazu zählt er mit Recht Schul- und Gesundheitswesen, und er lobt auch die LPG, die den Mitgliedern einen Achtstundentag garantierte, während Kleinbauern in der BRD sich nur durch rigorose Selbstausbeutung halten konnten. Stuckmann, 1994 verhaftet und danach weithin verfemt, stürzte tief, verlor die von ihm gegründete und geleitete „ Kölner Schule”, in der er ein Vierteljahrhundert lang karrieretüchtige Journalisten ausbildete. Er büßte seine hart erarbeitete finanzielle Sicherheit ein und legt dieses Bekenntnisbuch vor, um sich und die Leser in der Meinung zu bestärken, daß seine Entscheidungen richtig waren. Wenn er es verneinte, müßte er sich den Strick nehmen, was er mitunter erwog, nicht vollzog, wäre auch schade gewesen, denn dann gäbe es sein Buch nicht. Mancher blinde Fleck bei diesem intelligenten Autor verblüfft. In der Zelle erst findet er Muße, Thomas Manns „ Zauberberg” zu lesen. Er urteilt, das seien nicht „ seine Probleme”. Aber, Herr Stuckmann, was ist zum Beispiel mit den Dialogen zwischen Naphta und Settembrini? Ossis wissen da Bescheid. Ingrid Zwerenz Heinz D. Stuckmann: „ Verdammte Kommunisten – Die Bekenntnisse des IM ‘Dietrich'“, Kai Homilius Verlag, 309 Seiten, 19.90 €
Schlinks Suche nach dem BösenDie redlichen, friedfertigen Schweizer Großeltern mögen Fragen nach Gerechtigkeit und Geschichten von Heimkehr. Aber der Vater schlug, wie sich im Verlauf des Romans erst herausstellt, einen ganz anderen Weg ein: Er wurde im Dienste der Nazis zu deren intellektuellem Verteidiger und später, in den USA, zum Theoretiker des „Bösen“. Diesmal also ist es der „intellektuelle Nazi“, der Bernhard Schlink interessiert; natürlich ist ihm auch der anständige, bewußt blaß gezeichnete Sohn wichtig. Leider ist die Geschichte arg umständlich konstruiert. Am Ende leben der Vater, der Theoretiker vom Bösen in jedem Menschen, und der Sohn, der den normalen Alltag mit Verantwortung, Pflichten und Ehrlichkeit schätzen gelernt hat, geistig wie räumlich weit entfernt und doch auf einer Welt, in der nicht entschieden ist, ob die eine Position die andere überleben läßt und überleben lassen darf. Juristisch jedenfalls scheint dem Bösen in dieser heutigen Welt anscheinend nicht beizukommen. Und ob die Anhänger der „langweiligen Normalität“ nicht doch noch Lust auf Gefahr und rücksichtsloses Sich-Ausleben bekommen? Bernhard Schlink setzt alles ein, was er kann: seine präzise, klare Sprache, seine Erfahrung als Krimi-Autor. Er nutzt seine Fähigkeiten als Jurist und seine Kenntnis der Weltliteratur. Es wird ein erzählendes Puzzle, das sich nur mühsam zusammensetzen läßt und das dann enttäuscht, wenn es vollständig ist: Manches hätte ich mir schon genauer gewünscht, zum Beispiel: Was ist es, das diesen intellektuellen Verführer stützt? Nur die Schwäche und Dummheit der Verführbaren und die Auslegbarkeit des Rechts? Christel Berger Bernhard Schlink: „Die Heimkehr“, Diogenes Verlag, 375 Seiten, 19,90 €
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Spuren jüdischer ArchitektenFlanieren in Berlin: Am Beginn der Prenzlauer Allee steht das Haus Tor-straße 1, 1928/29 erbaut von den Archi- tekten Gustav Bauer und Siegfried Friedländer: 1930 Kreditwarenhaus Jo-nas, 1933 arisiert und an die NSDAP verkauft, 1946 Sitz des Zentralkomitees der SED, später des Instituts für Marxis- mus-Leninismus, 1990 Auflösung des Instituts, 1996 Rückübertragung des denkmalgeschützten Hauses an die in den USA und in Israel lebenden Erben. Flanieren in Tel Aviv: Rund um das Gebiet zwischen Rothschild-Boulevard, Dizengoff-Platz bis hin zur Strandpro menade erstreckt sich die „Weiße Stadt“, 1931-1956 von Immigranten überwiegend aus Berlin und Wien erbaut – unter ihnen Oskar Kaufmann ( Ossietzky 1/2002), Alex Baerwald und Robert Friedmann, 2004 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Wer kennt heute noch diese deut-schen jüdischen Architekten, ihre Her- kunft und ihre Leistungen? Und wer sind die anderen, die vor 1933 in Deutschland wirkten? Seit über 25 Jahren verfolgt Myra Warhaftig die Spuren dieser Architek- ten. Ihre Forschungsergebnisse faßte sie in zwei Nachschlagewerken zusammen. 1996 erschien das Lexikon „Sie leg- ten den Grundstein: Leben und Wirken deutschsprachiger jüdischer Architekten in Palästina 1918-1948“. Darin werden 47 Architekten vorgestellt, 14 lernte Myra Warhaftig selbst kennen, die mei-sten als Lehrer im Technion Haifa wäh- rend ihrer Ausbildung zur Architektin und Bauforscherin. Vor kurzem erschien ein zweites Lexikon, eine Dokumentation zu Leben und Werk von 500 jüdischen Architek-ten, die bis 1933 in Deutschland arbei- teten und nach dem Regierungsantritt der Nazis entweder das Land verließen und eine neue Existenz aufbauten oder in ihrer Heimat verfolgt und oft zu Tode gequält wurden. Die intensive Suche in Archiven und Bibliotheken und die Befragung von An-gehörigen verstorbener Architekten er-brachte historische Dokumente, Lebens- beschreibungen, Briefe und Fotos, die hier zum ersten Mal publiziert werden. Viele Architekten lebten in Palästina, Argentinien, Brasilien, Kuba, Australi-en, Südafrika, in der Schweiz, der Tür- kei und den USA, mindestens 80 der in Deutschland Verbliebenen wurden de-portiert und in Konzentrationslagern er- mordet. 500 jüdische Architekten! Sie errich-teten in Deutschland Privathäuser und Wohnanlagen, Kinos und Theater, Fa-brikgebäude und Geschäftshäuser, Kir- chen und Synagogen. Noch heute prägen ihre Bauwerke trotz Kriegszerstörungen viele Städte. Der Exodus wird schon beim ersten Durchblättern des Lexikons deutlich: Marcel Breuer ( Weltbühne 34/1992), der Bauhausmitarbeiter und Erfinder des Stahlrohrsessels, Wilhelm Haller und seine jüdischen Friedhöfe in Halle und Leipzig, Fritz Landauer und seine Synagogen in Plauen und Augs-burg, Erwin Gutkind und seine soeben renovierte Wohnanlage „Sonnenhof“ in Berlin-Lichtenberg, Gustav Neusteins Tauentzien- und sein Stella-Palast, Paul Zuckers Vortragssaal der Lessing-Hoch-schule ( Ossietzky 25/2005), Konrad Wachsmanns Landhaus für Albert Einstein in Caputh. Übrigens: Oskar Kaufmann, Alexander Levy und Paul Zucker haben ihre Ideen auch den Lesern der Weltbühne kundgegeben. Das Lexikon besticht durch Akribie, Vielfalt und authentisches Material. Eine exzellente Leistung, ein großartiges Denkmal. Herbert Altenburg Myra Warhaftig: „Deutsche jüdische Architekten vor und nach 1933. Das Lexikon. 500 Biographien”, Dietrich Reimer Verlag, 504 Seiten, 49 €
Der ganz private Heinz KnoblochNicht nur sein Band „Mit beiden Augen“ (1977) beschrieb „ein Stück (unvollständiges) Leben“, auch andere H.-K.-Titel sind Teile seiner Autobiographie. Neuerdings wird sie sehr privat ergänzt durch den „Schriftwechsel 1997–2003“ zwischen unserem Freund und seinem Wochenpost -Kollegen Rolf Pfeiffer (260 Seiten, Edition Hüne, 24,80 Euro). Ein schönes dickes Buch, amüsant, erfrischend und anrührend zu lesen, eine kluge Auswahl aus den Faxbriefen der beiden Publizisten. Eine spezielle Freundschaft verband sie jahrelang. Faxlich („Ich beanspruche Copyright für das von mir erfundene Wort faxlich, das brieflich ersetzt.“ H. K.) erledigten die Chronisten nicht nur kleine, sondern auch gigantische Berliner Albernheiten. Rolf an Heinz: „Die Love parade haben wir ... überlebt. Unser Enkel, derzeit bei der Bundeswehr, tauchte auf. Der Bund hatte ihm für das Rudelbumsen (wörtlich in TV Spielfilm ) Urlaub zugestanden ... Daß ich das als Steuerzahler auch noch mittragen muß, weil der Dr. Motte das gehörschädigende Ereignis als politische Demonstration verkauft und abgenommen bekommt – das geht mir denn doch zu weit ...“ Heinz: „ ... Love parade – ja, die Dame mit der Lederpeitsche erblickten wir auch ... Es ist alles wie im alten Rom vor de m Zusammenbruch, der hier ja wohl noch eine Weile dauern wird, aber er kommt. Mit Lehmann-Brauns an der Spitze ...“ (L.-B., ein grimmig frommer Lokalpolitiker, schätzt vielleicht die freie Liebe im Freien, möchte sie aber nicht dulden.) Am 5.5.2003, wenige Wochen vor seinem Tode, faxte Knobloch: „... Was gäbe es noch? Die Frau Birthler verglich im Tagesspiegel den 17. Juni mit der Französischen Revolution (!!!) und bemängelte, daß die Ex-DDR-Menschen mehr für Sicherheit und Soziales sind als für „Freiheit“. Bei 17.000 monatlich empfindet man so.“ Lothar Kusche
Pump und PompDer Tanztee galt „als das Nonplusultra mondäner Nachmittagsunterhaltung“, schreibt Jürgen Schebera, der weiß, weshalb und wo die zwanziger Jahre golden waren. Zum Beispiel im Adlon, Eden und Kempinski, den „Nobellokalen der Dichteraristokraten“. Die beliebtesten Künstler-Kaffee-Häuser Berlins waren andere Lokalitäten: das Café des Westens, als „Café Größenwahn“ zu unvergleichbarem Ruf und Rang gekommen, das Romanische Café, das Restaurant Schlichter und andere, alle im näheren Umkreis der Gedächtniskirche. Was der sachkundige Publizist über die „Künstler und ihre Lokale“ nicht nur der zwanziger Jahre zu sagen hat, fügt sich zu einer Sitten-, Kultur-, Kunst-, Literatur-, Berlin-Geschichte der unterhaltsamsten Art. Die Anekdoten charakterisieren Personen und Zeiten. Sie suggerieren den Lesern das Gefühl, neben den Belächelten und Berühmten zu sitzen. „Damals im Romanischen Café“, wie das bilderreiche Buch von Jürgen Schebera heißt. Wie auch die erste Zeile eines Chansons von Willi Kollo lautet, das preisgibt: „Wir lebten nur von Pump, Kurt Weill und Bertolt Brecht.“ Den Pomp erlebten nur wenige. B. H. Jürgen Schebera: „Damals im Romanischen Café. Künstler und ihre Lokale im Berlin der zwanziger Jahre“, Verlag Das neue Berlin, 192 Seiten, 12.90 €
Press-KohlIn der Presse heißen Verkehrsteilnehmer, die man früher Radfahrer nannte, seit längerem prinzipiell nur noch Fahrradfahrer. Wir wollen über alles genau Bescheid wissen. Aber nach wie vor gibt es Zweifel, ob der Begriff Einradfahrer deutlich genug darüber informiert, was wir uns unter einem Einradfahrer vorstellen sollen. Einen Menschen, der auf einem Einrad fährt – ? Während der Radfahrer auf einem Rad fährt, genauer: auf einem Zweirad. Das ist alles sehr kompliziert. Wir beobachten seit längerem viele Bahnradfahrer, welche aber nicht auf Radrennbahnen fahren, sondern mit ihren Fahrrädern in Eisenbahnabteilen. Das heißt: in den Abteilen fahren sie allerdings nicht. Dort lehnen sie ihre Fahrräder mit den geölten Ketten nur nach außen an die Sitze, so daß sich Fahrgäste ohne Fahrrad nicht setzen, sondern nur ihre Hosen oder Röcke ohne besondere Zuzahlung mit etwas Fahrradöl verzieren können. Ansonsten fahren die Bahnradfahrer nur über die Bahnsteige bis zu den Türen der S-Bahnzüge. Diese Beobachtung scheint zu bestätigen, daß viele der Bahnradfahrer tatsächlich radfahren können, woran ich lange gezweifelt hatte, weil ich nicht begriff, weshalb diese Menschen ihre Fahrräder mühsam zu den Zügen tragen, statt auf den Straßen direkt zu ihren Zielen zu fahren und das Fahrgeld für die Bahn einzusparen. Aber das werden sie wahrscheinlich dann tun, wenn die Generaldirektion auch die Preise für Fahrrad-Bahnfahrkarten (wegen der Notlage der Bahndirektoren) um 30 Prozent erhöht und die für Tandem-Fahrrad-Bahnfahrkarten (wegen der plötzlich erforderlichen Reparatur an den seit 1922/23 besonders durchgerosteten anderthalb Treppengeländer-Metern auf dem Berliner S-Bahnhof Ostkreuz) um 75 Prozent. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 8/2006 |
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