Die wahrscheinlich beste niederländische Komödie

Lothar Kusche

Zur deutschen Erstaufführung der „Alten Freunde“ teilt das Renaissance-Theater mit: „Die wahrscheinlich beste niederländische Komödie, die es je gab. Maria Goos schreibt Dialoge, die das Innenleben ihrer Figuren wie mit dem Skalpell freilegen“, schreibt die Presse.“ Welche Presse? Vermutlich eine niederländische Zeitung. Da ich zu meinem Bedauern nur eine niederländische Komödie kenne, nämlich „Alte Freunde“, stimme ich mit dem Presse-Urteil insofern überein, daß die einzige mir bekannte Komödie auch die beste mir bekannte Komödie sein könnte. Frau Goos schrieb allerdings kaum Dialoge, sondern versuchte, das Innenleben ihrer Figuren mit einer Montage von Monologen freizulegen. Während einer der vierköpfigen Freundes-Clique sich über sein Leben und seine Probleme äußert, hören ihm die drei anderen mehr oder weniger aufmerksam zu. Dann und wann schreiten die drei oder alle zusammen (teils mit dekorativen Bewegungen der hochgestreckten Arme) umher (Regie: Dietmar Pflegerl). Die Szenerie bietet viel Platz für solche Darbietungen. (Das raumgreifende, vielseitig verwendbare, praktische und transportable Bühnenbild stammt von Werner Hütterli.)

Ein großer Glücksfall für die Aufführung und für das im Lauf des Abends sich begeisternde Publikum ist das preiswürdige Darsteller-Quintett, das Pflegerl zur Verfügung stand. Ich bin kein ausgebildeter Bravo-Rufer wie jener anonyme Herr, der seine ungebändigen Beifallsausbrüche etwa 25 Zentimeter hinter meinem linken Ohr abschrie, und zwar in jener Lautbildung, mit der auf den Freilichtbühnen in Rathen oder Bad Segeberg das Indianergeheul (als Luftschutz-Sirene in der Prärie) erklingt. Applaus in prähistorischer Form.

Vier Männer mittleren Alters, die ihre selbst programmierten Lebensläufe nicht verwirklichen konnten, bekennen bei einem Vierer-Treff in der Wohnung von Pieter (Rufus Beck), was aus ihnen geworden und nicht geworden ist. Weil sie schon lange befreundet sind, halten sie sich für alte Freunde (ein weit verbreiteter männlicher Irrtum), die einander zu helfen versprechen. (Gesagt und nicht getan.) Pieters erster Gast ist Joep, kein unbeschriebenes Blatt als ambitionierter Politiker, doch mit offenbar dauerhaften Eheproblemen belastet: Hans-Werner Meyer, ein Theater- und Film-Mann, ein Künstler, für den es keine Grenzen zwischen E- und U-Schauspielkunst gibt. Wenn Meyer mit Rufus Beck ins Reden gerät, ist das Zuhören ein Vergnügen; die beiden Mimen sind auch selten gute Sprecher. Das gilt ebenso für Josef Bilous, der den lautstarken Regisseur Maarten vorführt. Es gilt für den Meister der szenischen Beweglichkeit, den treffsicheren Pointen-Schützen Boris Aljinovic, seit mehr als zehn Jahren unter anderem auch ein beliebter Star des Renaissance-Theaters. Wenn man ihn als kokainabhängigen Ex-Anwalt und jetzigen Reklamedichter nur mal kurz auf der Couch liegen sieht, stellt man bewundernd fest: Dieser große Akteur vermag zu vibrieren, ohne sich zu bewegen. Auch das macht ihm so leicht keiner nach.

Höhepunkt des Abends: Joeps Geburtstag, zu dem ihm die ebenso melancholischen wie heiteren Freunde eine Tanz- und Gesangsdarbietung, die sie als begabte Amateure selber vorführen, sowie eine ff. Striptease-Nummer schenken. In dieser produziert sich als I-Tüpfelchen auf dem Gabentisch Janina Rudenska, gebürtig in Kiew, 2002 Abiturientin in Hamburg und nun Schauspielstudentin an der Universität der Künste zu Berlin. Janina Rudenska, eine besonders attraktive Dame, die man hier „Weibsbild“ nennen darf, zeigte sich dem Geburtstagskind von ihrer vielleicht besten Seite, von der vorderen (Choreographie: Freddie Rutz, Strip-Training: Cornelia Horn). Gern hätte ich Joeps (also Schauspieler Meyers) Platz eingenommen, nicht so sehr um der flexiblen Stripperin zu huldigen, sondern um den in der vierten Parkettreihe plazierten Herrn Köhler zu betrachten, denn unser Bundespräsident ist bekanntlich ein großer Kunstkenner und -kritiker.

Bürgermeister Wowereit war ebenfalls zugegen, störte aber ein wenig durch Lachen. In einer Komödie sollte man sich womöglich so ernst verhalten wie das Leben und die meisten Präsidenten. Das Stück endet nicht ulkig. Wer auf Männerfreundschaften schwört, dem darf ich raten: Dein Eid ist nicht mein Eid, könnte sich aber als Meineid entpuppen.

Dennis Bethge, Kritiker (13. Aug. 2006, 21:01)

Erschienen in Ossietzky 8/2006