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Dann betreten der Reihe nach ein paar kaputte Typen die Szene, meist mit irgendwelchen Alltagsrequisiten –von Plastiktüten bis zu Telefon und Gabel. Eine Figur heißt „Der Mann ohne Hund“, eine andere „Mädchen in der U-Bahn“. Manche haben sogar richtige Namen – Vor- oder Nachname, egal, wie so ziemlich alles egal ist in diesen Szenen oder Texten. Es gibt auch „Arbeiter an den Straßenbahngleisen“ – eine träge und faule Arbeiterklasse. Dazwischen wird gesauigelt, eine junge Frau pißt sich ein, eine andere wälzt sich viele Minuten im Blut (in roter Farbe, versteht sich). Welcher Einfallsreichtum! Aber das alles ist noch harmlos. Da werden uns auch „3 Rumänen“ präsentiert, genau so, wie der deutsche Stammtisch Ausländer sieht: eklige Betrüger und Mafiosi. Ich bestreite nicht, daß auch solche Ausländer hier ihr Wesen treiben. Doch Theaterleute sollten wissen, daß auf der Bühne alles Zeichen ist, daß es etwas bedeutet: Rumänen sind so. Eiskalte Hetze. Es kommt noch schlimmer: Vier Ärzte an einem Rollstuhl – die Szene ist zutiefst inhuman. Da wird Inhumanität nicht gezeigt, sondern sie macht sich breit. Die Schauspieler taten mir leid, einer soll genannt werden: Bernd Stempel, und nicht nur, weil er im letzten Auftritt etwas angezogen hatte und „Biene“ nur flüsterte, sondern auch etwas Schauspielkunst erkennen ließ. Nur wenig prägte sich ein: die Geschichte des Löffels, die Frage nach dem Tun vor dem Tode und der Chor, der ein wenig die Mänaden, also Bakchen, assoziieren sollte. Ansonsten half man sich von Sparwitz zu Sparwitz – unerträglich. Einzig erfreulich der Schluß. Beinahe vergaß ich, den Autor zu nennen: Roland Schimmelpfennig, Regisseur war Jürgen Gosch. Gespielt wurde im Deutschen Theater. * Von der Greifswalder zur Pappelallee. Seit kurzem gibt es das Ballhaus Ost. Gegründet von einem Ensemble um Anne Tismer, die Nora der Schaubühne. Man eröffnete mit einer Trilogie: zwei Stücken und einem Tanzabend, vorrangig Auseinandersetzung mit NS-Faschismus. Mit Fassbinders „Die Ehe der Maria Braun“ und „Don't cry for me, Adolf Hitler“ war das Ensemble glatt überfordert. Tismer kann das nicht alleine. Der Tanzabend „No. He was white“ war simpel, doch am klarsten. Mal sehen, was da noch kommt. * Nicht weit davon der Prater in der Kastanienallee, Spielstätte der Volksbühne. Der altgediente René Pollesch führte mal wieder eine Textfolge vor: „Strepitolino – I giovanotti disgraziati“. Das mag so viel heißen wie „Undankbare Jünglinge“ oder „Häßliche junge Leute“. Und „Rumpelstilzchen“ steht allem voran. Ein durchaus italienischer Stoff und ein allgemeines Thema der heutigen irrational verwalteten Welt, wofür manche den dunkel-mysteriösen Begriff Fun-Gesellschaft haben, mit etwas Alternative und Widerstehen, etwa durch Liebe oder was man dafür hält. Das ist so verworren und chaotisch wie alles in diesem morbiden Hause; vereinzelt sind kluge Sätze zu hören, etwa der: „Alles ist erlaubt, alles steht zum Genießen bereit, aber es fehlt die Substanz, denn die ist gefährlich.“ * „Du kannst einen Weddinger nicht gegen den Strich bürsten. Du kannst ihn nicht prenzlauer-bergisieren.“ Gegensätze, wenn nicht Feindschaften der Kietze im großen internationalen Berlin?! Da fallen Ausdrücke wie „Prenzelwichser“. Der Blick des Prime Time Theaters aus dem Wedding richtet sich aufs nächste Umfeld. Geleitet wird das Haus von Constanze Berends und Oliver Trautorat, die sich im Grunde selbst leiten und dabei viele Rollen spielen. Ihr Hauptstück, eine Art Soap Opera, heißt „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ (nach dem Vorbild „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“) seit 2003 in bislang 36 Folgen. Auf der Bühne werden Gestalten des Berliner Proletariats sichtbar, gar lebendig, wie sie eben noch im Wedding leibhaftig sind. Auch Türken. Das einheimische Publikum macht mit. Schon zum zweiten Mal mußte die kleine Truppe, die ganz klein angefangen hat, umziehen. Sie hatte den Ton getroffen. Da kommen sogar die Arbeitslosen. Sinnigerweise spielt das Theaterchen in der Müllerstraße 163b – gegenüber dem Arbeitsamt. * Wir nähern uns der Berliner Mitte, dem Maxim-Gorki-Theater, doch wir bleiben in Stoff und Thema: Arbeitswelt und Arbeitslosigkeit. Das Stück kommt von weither, aus Kanada, hat den Titel „Die sieben Tage des Simon Labrosse“, die Autorin ist Carol Fréchette. Die Produktion gehört als zweite ins Projekt „Arbeit für alle“. Die Hauptfigur Simon ist ein Langzeitarbeitsloser, der am Ende, als nichts mehr funktioniert, sein Leben für Honorar erzählt. Sein Leben, was er erzählend erschafft, ist die Welt, die er in sechs Tagen erschafft, denn am siebten Tag ruht er und plant neu. Er erzählt „Arbeiten neuen Typs“, nennt den „Gefühlsstuntman“ oder den „Satzbeender“ und den „Ego-Schmeichler“, und am sechsten Tag ist er dann der „Liebhaber“. Theatralisch kommt das aus der französischen Tradition der Farce und ist höchst vergnüglich dargestellt – von Stephan Wolf-Schönburg als Simon, Ulrich Anschuetz als Leo und Anna Kubin. Regie führte Brigitte Schreiber. * Im Gorki Theater konnten wir noch ein zweites Mal herzlich lachen. Man spielte Kleists „Zerbrochenen Krug“ (Uraufführung 1808 durch Goethe in Weimar). Ich sah ihn vor vielen Jahren in diesem Theater schon einmal, doch nicht so kräftig und lustig, wie ihn jetzt Alexander Lang inszeniert hat. Götz Schubert als Adam, eine reife Leistung, manchmal etwas zu laut. Auch Rosa Enskat (Frau Rull), Anna Kubin (Anna), Norman Schenk (Licht) und vor allem Monika Lennartz als Brigitte und Klaus Chatten als Gerichtsrat Walter sind zu nennen. Ort der Handlung war eine merkwürdige Bretterhöhle. Man mußte jeden Moment, besonders in der ersten Reihe, fürchten, daß sie einbricht. War wohl auch so gedacht. Bemerkenswert die Sprachbehandlung, eine Glanznummer die Beschreibung des Krugs. Wie ein Schock zunächst und dann lustig-entlarvend der „Huisum-Rock“. Deutlicher kam es selten: Sie steckten alle unter einer Decke. * Schließlich zog es mich wieder zum Schiffbauerdamm, wo immer noch das Theaterherz Berlins schlägt, noch halbwegs gesund, während der gefräßige Magen am Luxemburg-Platz immer kränker zu werden scheint. Freilich, der erste Herzschlag an der Weidendammer Brücke wirkte so kränklich wie alles von Botho Strauß. Auch „Die Schändung“ nach Shakespeares „Titus Andronicus“ hat mich nicht überzeugt. Seit „Bekannte Gesichter, Gemischte Gefühle“ ging die Linie abwärts, es verkleinerte sich alles, jeder Gegenstand durch seinen Blick. Freilich: Dieses Shakespeare-Stück des allgemeinen Mordens mochte ich nie so recht. Aber Heiner Müller oder Peter Brook oder Roberto Ciulli ging es noch um Weltpolitik und Weltgeschichte. Strauß zieht das hinunter auf ein eher zynisches Familienstück, in eine Familie voller Gewalt und Grausamkeit. Das ist gar zu abgehandelt, schon seit Ibsen, Strindberg und Hauptmann. Die Regie kam nicht zurecht, nach Peymann übernahm Thomas Langhoff. Das Stück blieb Stückwerk. Nur wegen zwei Schauspielern lohnt sich der Abend: Christina Drechsler als Lavinia und vor allem Jürgen Holtz als Titus, der auch sein eigner Narr ist, voller Reflexionen und Spiegelbilder. Seit seinem Moritz Tassow von 1965 wuchs da ein Großer heran – nun ist er es. * Vor zehn Jahren sprach der fast 90jährige und fast blinde Hans Mayer von der Bühne dieses Hauses über Beckett und Brecht, 85 Minuten ohne jedes Blatt, mit klarer Stimme und langen, immer stimmigen Sätzen. Das war eine Vorstellung eigener Art. Ein Fest des Geistes! Nun inszenierte der 90jährige Tabori noch einmal seinen Beckett, sein „Warten auf Godot“, einer, der beide gekannt hatte. Der jetzige „Godot“ weise, von leicht todessüchtiger Heiterkeit auch: dieses Spiel mit den Landstreichern, Clowns, Leichenbittern, Philosophen Wladimir und Estragon (Michael Rothmann und Axel Werner). Warum nur hatten sie die Hände so lange in den Hosentaschen? Das wäre Peter Lühr und Thomas Holtzmann in jener unvergessenen Münchener Inszenierung von vor 20 Jahren nicht eingefallen, die hatten mehr drauf, ebenfalls auf einer fast leeren Bühne – mit dem Bäumchen der grünen Hoffnung am Ende. Dafür ist diesmal die Lucky-Pozzo-Szene, dieser Einbruch der faschistischen Gewalt, von beklemmender Großartigkeit (Roman Kaminski und Gerd Kunath). * Nun noch zweimal Brecht, der frühe wie der späte. Frank Castorf inszenierte am Luxemburg-Platz „Im Dickicht der Städte“, das Stück, welches 1923-27 in abweichenden Fassungen entstand. Es nimmt nicht wunder, daß Castorf „Dickicht“ für sein anarchisches Konzept entdeckte, sicher an seinen Dostojewski-Zyklus denkend. Der Text ist – von wenigen banalen Einlagen abgesehen – wirklich von Brecht. Der Kampf an sich ist das Thema, Kampf wie Sport, der den frühen Brecht bekanntlich entzückte. Später erklärte er, daß diesen Stücken Weisheit fehle. In der Tat. Fernsehen und Zeitungen bringen Sport, um von den nötigen Kämpfen abzulenken. Castorf war da schon weiter, näher beim Marx, wie der späte Brecht auch. Was soll es, was nützt es, wenn sich Garga (Milan Peschel) und Shlink (Herbert Fritsch mit Perücke am Anfang) in „nacktem“ Kampf gegenüberstehen? Völlig ist dem Brecht die soziale Tendenz doch nicht auszutreiben – ein wenig aktuelle Kritik schimmert doch durch. Aber zu wenig und ohne Biß. Und ohne Humor. Dafür wieder mit viel Lärm. Castorfs Mittel haben sich verbraucht. Auf diese Aufführung kann man verzichten. * Nicht freilich auf die „Mutter Courage und ihre Kinder“ am Bertolt-Brecht-Platz. Ich erinnere mich an den Wittenbrink-Abend über Brecht, als Carmen-Maja Antoni das Lied von der „Kleinen Frau“ sang. Gemeint war die Weigel. Nach und nach spielt sie deren große Rollen: Pelageja Wlassowa in „Die Mutter“, Frau Luckerniddle“ in „Die Heilige Johanna der Schlachthöfe“ und nun Anna Fierling, die Mutter Courage. Und sie spielt sie gut. Da ist mancher Weigel-Gestus, doch keine Kopie, sondern viel eigenes. Da ist Intelligenz drin und politische Erfahrung, philosophische Dialektik und eben Spiel. Claus Peymanns Inszenierung läßt freien Raum für schauspielerische Entfaltung auf runder Scheibe (Bühne: Frank Hänig). Die Aufführung hat ihren Rhythmus – mit Ab- und Zunahmen des Tempos. Manche Kritiker prügelten den ästhetischen Sack, meint aber den politischen Esel. * Nach der Antoni sei wenigstens noch ein großer Name genannt: Isabelle Huppert, die Sarah Kanes „4.48 Psychose“ in der Regie von Claude Régy nach Berlin ins Haus in der Schaperstraße brachte. Ein entsetzlich schlechtes, wirres Stück, welches nur zwei Faktoren seine zeitweilige Wirkung zu verdanken hatte: dem Freitod der Autorin unmittelbar nach seiner Fertigstellung und der großen Schauspielkunst der Huppert. Hoffentlich findet sie einmal wieder eine wirklich große Theaterrolle.
Erschienen in Ossietzky 8/2006 |
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