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Ab sofort trage ich nur noch rote Pullover oder Hemden zu schwarzen Hosen und gelben Strümpfen. Und mit Zähneputzen ist jetzt auch Schluß, der Zahnstein paßt nämlich bestens zu meiner roten Nase und den gerade erst schwarzgefärbten Haaren. Im Wohnzimmer stehen drei große Farbeimer, mit denen ich die ganze Wohnung in ein schwarz-rot-goldnes Wunderland verwandeln werde. Zu mir kann Bild gern kommen und mich, wie unsere großen Politiker, zum Fahnenappell antreten lassen. An mir wird der Stolzstandort Deutschland nicht zugrunde gehen! »Warum hat Angela Merkel nach 102 Tagen im Kanzleramt noch immer keine schwarz-rot-goldene Deutschland-Fahne in ihrem Büro?« wollte das Blatt wissen und überprüfte sofort die Amtszimmer der fünfzehn Bundesminister auf stolzdeutschen Fahnenschmuck: »Zehn der Kabinettsmitglieder haben keine Deutschland-Fahne im Büro – darunter SPD-Vizekanzler Franz Müntefering, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Finanzminister Peer Steinbrück. Sind das etwa vaterlandslose Gesellen?« Aber natürlich! Ein deutsches Amtszimmer ohne Schwarz-Rot-Gold ist für mich Ausland, ein Wohnzimmer ohne deutsche Fahne eine Schande! Ich habe bereits bei meinen Nachbarn nachgefragt, ob sie denn alle einen Fahnenschmuck daheim haben und abends vor dem Schlafengehen brav die Nationalhymne singen. Zwei haben gelacht, einer zeigte mir einen Vogel, der nächste schlug mir wortlos die Tür vor der Nase zu. Kein Wunder, daß wir im Nationalstolz-Ranking der Universität Chicago so weit hinten liegen! Dennoch halte ich die Bild -Schlagzeile »Deutsche lieben ihr Land nicht mehr!« für übertrieben, immerhin stehen wir auf Rang 28 (West) und 33 (Ost). Das ist doch mehr als nichts! Von den möglichen 25 Punkten für »allgemeinen Stolz« konnten wir stolze 14,5 (West) und 14,2 (Ost) erringen! Der Fragebogen war aber auch sehr kompliziert geschrieben – da standen Sätze, denen man »voll und ganz« oder »überhaupt nicht« zustimmen konnte, oder man machte irgendwo dazwischen sein Kreuz: »Kinder, die außerhalb Deutschlands geboren sind, sollten das Recht haben, deutsche Staatsbürger zu werden, wenn mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsbürgerschaft hat.« So etwas versteht doch kein normaler Deutscher! Darum ist es kein Wunder, wenn die Testpersonen bei »Kann ich nicht sagen« ihr Kreuz machen und unser nationaler Durchschnitt in den internationalen Ranking-Keller sackt. Sicher, wegen Hitler und so – damals hatten wir den Spitzenplatz im Ranking – dürfen wir es mit dem Stolz nicht übertreiben. Wir dürfen ihn nicht gleich auf so hohe Werte schrauben, daß wir im Stechschritt durch den Supermarkt marschieren oder alle zehn Minuten eine Kriegserklärung unterzeichnen. Ich persönlich bemühe mich, jeden Tag nur ein ganz kleines bißchen stolzer auf Deutschland zu sein. Immer nur einen Tick mehr, und wenn wir das alle machen, kommen wir auch wieder ganz groß raus! Dann hohnlachen wir über die anderen! In Österreich sind die Menschen so stolz auf ihre Heimat, daß sie in der Kategorie »allgemeiner Nationalstolz« auf Platz vier und beim »speziellen« immerhin noch auf den fünften Rang der Stolz-Parade kommen! »Jetzt ist es amtlich – wir sind wer!« schrieb daraufhin die Wiener Kronen-Zeitung . Haben die das dem Haider zu verdanken? Oder ist der Haider in Österreich so beliebt, weil die Österreicher so stolz sind? Jedenfalls brauchen wir endlich auch so einen. Jemanden, der für Bild die Deutschlandfahne schwenkt und den dieses Volksblatt deswegen jeden Tag in großen Artikeln bejubelt, Wenn es kein anderer macht, stelle ich mich freiwillig zur Verfügung. Es muß wieder aufwärts gehen mit unserem Land! Ich finde es ganz richtig, daß sich Bundestrainer Klinsmann vor dem Sportausschuß des Bundestags verantworten muß, wenn die Nationalmannschaft ein Spiel verloren hat. Jede Gemeinde sollte einen Ausschuß zur Überprüfung des Nationalstolzes einsetzen, vor dem jeder Bundesbürger erscheinen muß. Da wird dann der Fragebogen ausgefüllt, aber nicht anonym! Und wer auf weniger als 23 von 25 Punkten kommt, muß zum Nationalstolz-Kurs an die Volkshochschule. Vom wachsenden Nationalstolz profitieren wir dann alle, denn der Stolz auf dieses Land wird uns alle vereinen, egal, wie weit die Schere zwischen Arm und Reich noch auseinandergeht. In der Studie der Universität Chicago steht übrigens, welche Faktoren den Nationalstolz stärken. Je weniger Terroranschläge, je mehr Minderheiten, je jünger die erwachsene Bevölkerung ist und je besser die Menschen gebildet sind, desto niedriger fällt der Stolzfaktor aus. Wir brauchen also: mehr Terroranschläge, weniger Minderheiten, weniger junge Erwachsene und schlechtere Bildung für alle. Wenn wir mit unserer Kanzlerin voran am Krieg gegen den Terror mit deutschem Furor so richtig aktiv teilnehmen und immer mehr junge Männer und Frauen auf die Schlachtfelder schicken, gibt es automatisch mehr junge Tote und auch mehr Terroropfer in Deutschland. Dann weisen wir alle Ausländer aus, schließen die Universitäten und Hochschulen und lenken drei Viertel aller Bildungsmittel in den Wehretat um. Ich halte jede Wette, daß wir dann bald wieder die stolzeste Nation der Erde, ja des gesamten Universums sind! Und nur darauf kommt es schließlich an, nicht wahr?
Erschienen in Ossietzky 8/2006 |
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