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Gemeint ist »Andorra« von Max Frisch. Eingebrannt im Gedächtnis ist mir die Berliner Inszenierung von 1962 unter der Regie von Fritz Kortner mit dem unvergeßlichen Klaus Kammer als Andri und Martin Held als Lehrer. Jetzt im Hamburger Schauspielhaus ist alles anders. Der fiktive Staat Andorra sei »weiß, also unschuldig«, der Juden verfolgende Nachbarstaat schwarz, also schuldig. So meint es der Kritiker der Welt bei Frisch gelesen zu haben. Aber er vergißt, daß Barblin am Anfang des Stückes das Haus weißelt und am Schluß nur noch eines kennt: zu weißeln. Neu machen, sauber, unschuldig. Sie versucht es. Bei Tina Lanik wird nie mit weißer Farbe hantiert. Es gibt keine Häuser, die man tünchen könnte, nur Stege, die Bühne überziehend, als wäre der Boden Wasser (Bühne: Magdalena Gut). Zwei große Videoschirme, die, wenn sie dunkel bleiben, wie leere Schultafeln wirken, tragen zur Verwirrung bei. Was war mit Andri (Thiemo Strutzenberger) geschehen? Ich sah am Schluß Barblin, die seine Kleider anzog, seine Worte sprach und so in seine Rolle zu schlüpfen versucht ein guter Einfall. Wurde Andri zusammengeschlagen und mit Stiefeln getreten? Wir sehen es nicht. Spiegel online lobt, daß hier »kein historischer Rassenkampf« stattfindet, stattdessen »meditative Filme von Wasser und Strand« laufen. Die »Moral-«, sprich »Faschismuskeule« (Walser) muß unbedingt vermieden werden, also zeigt man so etwas nicht. Wo gibt es das denn bei uns: Gewalt gegen Ausländer, gegen Behinderte, gegen einen, der nicht mitmacht. Ist deshalb so viel gestrichen, weil es zu deutlich wäre? Keine Lautsprecher und Fahnen, keine Gewehre, keine Schuhe in Reih und Glied, keine Soldaten, kein Pfahl, keine »Judenschau«, keine Vermummung und kein Weißeln. Die Rechtfertigung der einzelnen Andorraner zwischen den Szenen ist an den Anfang verlegt, kommt von überall her aus dem Raum wie Stimmen im Kopf. Als Idee plausibel. Aber zu früh eingesetzt, verpufft es. Was bleibt? Die virtuosen Leistungen der Schauspieler. Wenn der Tischler (Achim Buch) aus dem Prüfen der beiden Stühle eine Jongleurnummer macht, die mit dem brutalen Zerschlagen eines Stuhls endet, so ist das ein Event. Wenn der Doktor (Tim Grobe) seinen eingebildeten Professorentitel in den Raum wirft wie ein Luftakrobat seinen doppelten Salto, so sind wir hingerissen. Andri als Fußballstar auf dem Podest, alle jubeln ihm zu seine Vision. Als die Senora (Marlen Dieckhoff), Andris wahre Mutter, von jenseits der Grenze kommt, wird aus dem Stück eine familiäre Tragödie. Der Lehrer (Michael Prelle) versucht, sein Versagen, Andri als Juden ausgegeben zu haben, im Alkohol zu ertränken. Andri, der dieses Bild von sich nicht mehr auslöschen kann, ist geworden, wozu ihn die Umwelt gemacht hat. Immer noch die heisere, eindringliche Stimme Klaus Kammers im Ohr, ist mir der Hamburger Andri zu laut und heftig, ohne Zwischentöne. Barblin tanzt aufreizend und verführt fast den zivil verkleideten Soldaten (Jörn Knebel) sie ist kein Opfer mehr. Auch den Andri sieht die Regisseurin heute anders: »Weil er keine Angst mehr hat, wird er zur Gefahr für alle.« Der Außenseiter, der zur Bedrohung wird. Die WamS sieht darin die »neue Kernaussage« des Stücks. Und die Welt zitiert im Vorbericht Tina Lanik: »Andri ist ein Ausgegrenzter, ein Unterdrückter und damit prädestiniert für eine Terroristenkarriere.« Widerstand gegen Faschismus als Terrorismus? Ganz so weit geht ihre Inszenierung glücklicherweise nicht. Aber das Erschrecken darüber, was hierzulande noch immer, was wieder möglich ist, es kam nicht auf. Viel Beifall für die Schauspieler, Buh-Rufe für die Regie. * Wo anders als auf Kampnagel könnte ein Ereignis stattfinden, das Gruppen und einzelne Künstler aus der Türkei, dem Irak, dem Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan und der Mongolei zusammenführt. Honne Dohrmann, der engagierte Leiter des »Polyzentral«-Festivals, holte Tanz, Musik und Theater meist in der Originalsprache, übertitelt nach Hamburg. Restlos ausverkauft war das in der Tradition Erstarrte: die Vorstellung der Derwische des Galata Mevlevi Ensembles aus Istanbul. 2003 von der UNESCO als »immaterielles Weltkulturerbe« anerkannt, ein Denkmal also, ein Ritual. Nach der Pause begeisterte der türkische Tänzer Ziya Azazi mit seiner neuen mitreißenden Version des Drehtanzes. Die Musiktheatergruppe namens »5. Sokak Tiyatrosu« (Theater der 5. Straße) präsentierte mit Gesängen und Instrumenten der vielen Ethnien, die in der Türkei zusammenleben, etwas sehr Kostbares. Den Liedern in Armenisch, Türkisch, Hebräisch, Arabisch, Griechisch, Syrisch wurden Informationen über alle gesprochenen Sprachen der Türkei beigegeben. Sparsame Gesten ließen Auseinandersetzungen spüren, Unterdrückung und das langsame Verschwinden der kulturellen Vielfalt. Kein Multi-Kulti, sondern die tiefe Sehnsucht nach einem friedlichen Zusammenleben und die Trauer über das Mißlingen. Aus Turkmenistan das Awara Theater mit »King Lear«. Das Theater ist hier nur eine Person: der unglaublich wandlungsfähige Anna Mele. Er kommt wie ein Schamane auf die Bühne, entrollt seinen Teppich und breitet ein paar Dinge um sich aus. Dann beginnt die furiose Vorstellung in turkmenischer Sprache. Seine Bewegungen, ein paar Namen, eine Holzpuppe zaubern das ganze Drama in den Raum. Shakespeare aus der Jurtetasche es ist möglich. Das Theatre Eski Masjid aus Usbekistan brachte ein märchenhaftes Stück auf die Bühne: »Raksu S´amo«. Ein phantasievolles, sehr farbiges Spiel mit Tanz und Trommeln nach einem Mythos. Nicht mehr ein, am Konservatorium ausgebildeter, Sänger mit Klavierbegleitung wie es früher üblich war. Jetzt versuchen diese Länder eigene Wege zu gehen, nur zu oft in eine vergangene Zeit. Von der politischen Unterdrückung dort erfuhr der Zuschauer nichts. Natürlich auch nichts über die Lieferung von Abhörgeräten der deutschen Firma Siemens in dieses Land.
Erschienen in Ossietzky 7/2006 |
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