Abriß, kurz und opulent

Matthias Biskupek

Der Welttheatertag bietet immer wieder Entdeckungen – über die Welt, das Theater und uns. Im Literaturforum des Berliner Brecht-Hauses wurde just zum Anlaß eine szenische Lesung des Stückes »Vor dem Abriß« zelebriert. Der spanische Autor José Sanchis Sinisterra bietet im Dialog zweier »nicht mehr ganz junger« Frauen die Geschichte eines heruntergekommenen Theaterhauses, einer kommunistischen Utopie, eines Lebens für die Kunst und »die Bewegung«. Der Regisseur Klaus Fiedler und sein Produktionsleiter Stefan Butt nahmen sich dieser Sache an, die wohl »die Sache« fast aller Theaterleute ist, und spielten mit den Darstellerinnen Monika Bienert und Elfriede Brüheim eine ganze Theater- und Weltepoche durch: Kunst und Politik, verlorne Liebesmüh, Marxundengels, das verschollene Textbuch für »Die Blockade Leningrads«, spanische Anarchisten und Widerstand für und gegen »die Partei«.

Als eine Art Spielmeister fungierte Dietmar Bauschke, der Regieanweisungen las und Szenen kontrapunktierte. Das Spiel erhielt auch dadurch Charme und Witz, den die Darstellerinnen oft nur mit ihren Stimmen, mit genial verkürzten Gesten herstellten – Theater kann auch opulenter Verzicht sein. Und wenn es im Dialog der Frauen – beide ihrem »Nestor«, dem verstorbenen Theaterchef verpflichtet - einmal heißt: »Du hast mich mit deinem Mann betrogen«, so scheint das Verwirrende und Berückende echten Theaterspiels auf. Eine leicht flatternde rote Fahne, im Schlußbild zitiert, mochte wohl politisch-ideologisches Symbol sein, viel mehr aber war es ein Bild für die Unzerstörbarkeit von Theater und den Lebenswillen der Kunst wie deren Protagonisten, die eine Metapher »vor dem Abriß« immer auch als »vor dem Aufbau« deuten werden.

Erschienen in Ossietzky 7/2006