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Ihre Ausdrucksmittel reichten von Spott und Hohn bis zu mehr oder weniger ernstgemeinten Vorschlägen für Zusätze und Änderungen. Vorhergesagt wurde mehrfach, daß mit deutscher Staatsbürgerschaft ausgestattete Schüler der Abiturstufe einer beliebigen Schule der BRD kaum fähig sein würden, all diese Fragehürden zu nehmen. Das ließ darüber nachsinnen, warum eigentlich kein Lehrer unter den Tausenden, die junge Leute zur Hochschulreife führen, am Tage nach dem Bekanntwerden der Liste Lehrplan Lehrplan sein ließ und die ihm Unterrichtsbefohlenen bat, sich dieser Prüfung freiwillig zu unterziehen, als Testpersonen und anonym. Angst vor scheelen Blicken der Berufskollegen? Furcht vorm Rüffel wegen nicht an- und ausgewiesener Gestaltung des Unterrichts? Besorgnis um den bisher unbefleckten Namen der Schule bei der Obrigkeit? Sympathie für die Autoren des Fragebogens? Schiß, sich öffentlich als wachsamer Demokrat mit Blickrichtungen zu exponieren, die nicht direkt ins Antikommunistische gehen? Solche Zusatzfragen infolge Quellenmangels müssen hier unbeantwortet bleiben. Wer derlei Fragenliste in Auftrag gibt, anfertigt, für gut befindet, sendet Signale aus, die eine Vorstellung von Germanien verraten. Und die weist auf heraufziehendes Ungemach hin. Deutlich wird, daß die »Kernarier« unter sich bleiben sollen, wenn schon nicht aus Blutsgründen, so doch wegen ihrer einzigartigen Seelenqualität, die aus ihnen vor jener Landschaft der Insel Rügen heraustropft, nach der allen Ernstes gefragt wird. Doch ist es das nicht allein, was Auftraggebern und -nehmern anzukreiden wäre. Verraten wird auch, wohin der Geschichtsrevisionismus zielt und reicht, der nicht in überwachten Nazi-Zirkeln produziert wird, sondern uns aus den Zentren der politischen Herrschaft kommt. Dazu muß freilich jener Fragenlistenteil durchmustert werden, der sich auf deutsche Geschichte bezieht. Nicht jener, der die Deutsche Demokratische Republik betrifft – er enthält nichts Neues, Dogmen und Fakten wie Unrechtsstaat, Arbeiteraufstand und Mauerbau genügen. Nein, es geht um die Bereinigung der gesamtdeutschen Geschichte. In deren noch als neuere geltenden Zeiten gab es zwei Revolutionen. Beide endeten mit einer Niederlage, doch die von 1848 und die von 1918 haben nichtsdestoweniger tiefe Spuren in die deutsche Geschichte gezogen. Fragen, die sich darauf beziehen, umgehen beide Großereignisse. Die eine lautet: Welche Versammlung tagte im Jahre 1848 in der Frankfurter Paulskirche? Auch die andere, sich auf 1918 beziehende, nennt die Ausrufung einer Republik (es wurden zwei etwas verschiedene Republiken ausgerufen), ohne daß erwähnt würde, daß dies inmitten einer revolutionserschütterten Stadt geschah. Merke: Ein deutsch-bundesrepublikanischer Staatsbürger, er sei es oder er wolle es erst noch werden, weiß nichts von Revolutionen in deutscher Vergangenheit. Und wenn dennoch, dann schämt er sich, sofern zu den Seinen Vorfahren zählen, die daran teilgenommen haben. Zum Ausgleich weiß er aber auch nichts von Konterrevolutionen, lautet doch die sich auf das Jahr 1933 beziehende Frage: »Wie ging die erste deutsche Republik zu Ende?« Wahrlich: Sie ging zu Ende. Keine Republikabtöter. Keine Faschismusförderer. Schluß wie im Kinofilm oder in einer Zirkus-Vorstellung. Geschichte läppert sich in deutschen Gefilden auf irgendeine Weise hin. Die Staaten enden oder sie brechen zusammen, wie jener eine, der, wenn im Fragebogen vom »Zusammenbruch des ›Dritten Reiches‹« die Rede ist, offenbar nicht stabil genug konstruiert war. Die Diskussion war, auch von Staats wegen, schon einmal weiter und bis zum Wort »Befreiung« gelangt. Zu weit, meinen die hessischen Autoren. Daß Deutsche, gewiß nicht sie alle, eine faschistische Diktatur errichteten, und daß sie, wiederum gegen Widerstand aus den eigenen Reihen, die Welt mit Krieg überzogen, muß nicht wissen, wer an die edelstahlbewehrte Staatstür anklopft. Aber: Kennen muß er die Kreidefelsen von Rügen. Nicht die dort amtierende Landrätin der Linkspartei. Die schaffen wir auch noch ab, spätestens bei der nächsten Vogelgrippewelle – zugunsten hessischer Verhältnisse.
Erschienen in Ossietzky 7/2006 |
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