Was dürfen die Wilden wählen?

Eckart Spoo

Den Wilden müssen wir das Wählen beibringen. Zum Beispiel in der Demokratischen Republik Kongo. Deswegen schicken wir demnächst Soldaten hin – sobald die UNO endlich unserem Drängen nachgibt und uns bevollmächtigt.

Aber sollen unsere Soldaten wirklich nur die Wahl bewachen? Und dann etwa zurückkehren? Aus einem Land mit so vielen Bodenschätzen? Erhielt die Bundeswehr nicht schon vor 14 Jahren den Auftrag, uns den Zugang zu Rohstoffen zu sichern? Einen ähnlichen Auftrag hatten einst die Kolonialtruppen unseres Kaisers. (Hartwig Hohnsbein erinnert in diesem Heft an die schönen Zeiten.)

Gern hätten wir auch den Wilden in Belarus beigebracht, wie man richtig wählt (s. den Beitrag von Wolfgang Richter). Daß sich aber mehr als drei Viertel der Wahlberechtigten wieder für den »Diktator« entschieden – keine Erwähnung Lukaschenkos in unseren Medien ohne Hinweis, was von ihm zu halten ist –, nehmen wir ihnen übel. Nun werden sie verschärfte Sanktionen dulden müssen. Wie die Palästinenser jetzt bestraft werden, weil sie im Januar falsch gewählt haben (Näheres bei Fanny-Michaela Reisin).

Die Wahl in Belarus habe westlichen Standards nicht entsprochen, ließen wir Herrenmenschen die Belarussen wissen. Was unter westlichen Standards zu verstehen ist, zeigt unser Freund Berlusconi in Italien (s. Karl-Heinz Walloch in den »Bemerkungen«). Sehr eindrucksvoll war auch die Lektion, die wir selber vor einigen Tagen mit den Landtagswahlen in drei Bundesländern erteilt haben (Arno Klönne schreibt darüber): Die Wahlbeteiligung in Sachsen-Anhalt war nicht halb so hoch wie in Belarus. Ja, die Wilden haben noch viel von uns zu lernen.

Erschienen in Ossietzky 7/2006