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Der damalige Direktor der Kunsthalle, Alfred Lichtwark, sorgte sich: Wenn jemand taktlos über das Madonna betitelte Bild mit den Spermatozoen und das in der Ecke kauernde Embryo schreibe, könne man nichts darauf erwidern. Auch das Blatt »Der Kuß« erregte Anstoß. Zwei nackte Menschen vor einem Fenster, das müsse dann ja geradezu erotisch wirken, so Lichtwark über die Radierung. »Der Kuß« ist ein Beispiel, wie sich ein Thema im Laufe der Jahre veränderte, wie Munch es reduzierte, bis das Paar zu einer Einheit verschmolz, im Farbholzschnitt, oder fast abstrakt wirkte, schwarz vor der deutlich sichtbaren Maserung des Holzes. »Aus dem modernen Seelenleben« heißt die Ausstellung. In das Seelenleben Munchs mit all seinen Abgründen wird jeder hineingezogen, der sich in die Bilder vertieft. Ein Raum ist Selbstbildnissen und Portraits berühmter Persönlichkeiten gewidmet. Darunter geschmuggelt der Holzschnitt eines wilden bärtigen Mannes: »Der Urmensch«. Den Raum beherrscht ein Gemälde von 1905, das Ellen Warburg zeigt. Sehr ernst blickt sie uns mit braunen Augen an, in einem langen weißen Kleid. Die Hände ineinander verkrampft, als wüßte sie, was sie Jahre später erwartet, der Abtransport nach Auschwitz. Da schlummerte ein Schatz über 60 Jahre auf dem Dachboden des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe. 1986 wiederentdeckt und mit großer Sorgfalt restauriert, ist er nun Mittelpunkt einer Ausstellung mit dem Titel: »Entfesselt Expressionismus in Hamburg um 1920«. Was so lange verborgen war: vierzehn Ganzkörpermasken wundersame Phantasiegebilde , Bewegungsstudien, Tanznotationen und Kostümentwürfe der jungen Künstlerin Lavinia Schulz, die sie zwischen 1919 und 1924 schuf. Sie lebte mit ihrem Tanz- und späteren Ehepartner Walter Holdt in Hamburg in größter Armut, da sie beide jede Bezahlung für ihre Auftritte ablehnten. »Geist und Geld sind zwei feindliche Pole. Und wenn man Geistiges für Geld verkauft, hat man den Geist an das Geld verkauft und hat den Geist verloren.« Lavinia war vorher in Berlin, hatte Kontakt zu Herwarth Waldens Sturm und trat in der »Sturmbühne« des Regisseurs Lothar Schreyer »unter Tumulten« auf. 1919 ging sie mit ihm nach Hamburg und spielte in Stücken von August Stramm in Schreyers »Kampfbühne«. Mit Walter Holdt machte sie sich selbständig. Sie traten bei den jährlich stattfindenden Künstlerfesten als Höhepunkt in den von Lavinia entworfenen, oft sehr schweren Masken auf. Alle Erleichterungen lehnten sie ab. Diese Masken, die den ganzen Körper umschlossen nur vergleichbar mit den Figurinen des Triadischen Balletts von Oskar Schlemmer wurden unter schwierigsten Bedingungen geschaffen. Sackleinen, Draht, Pappmaché und verfremdete Gegenstände aus Küche und Haushalt, alles wurde zauberhaft verwandelt. Die Künstlerfeste, von vielen Künstlern ausgerichtet, fanden 1933 ein Ende. Erika und Klaus Mann, Gustaf Gründgens, Victor de Kowa, Hans Henny Jahnn, Erich Engel und Hans Leip, der Schriftsteller und Graphiker, alle machten mit. Ein Raum ist ganz diesen Festen vorbehalten. Die Ausstellung spiegelt diese Zeit des Aufbruchs, der Befreiung, »Entfesselung«. In Gemälden, Graphiken, Kunst- und Kulturzeitschriften, im Theater, in der Musik und vor allem im Tanz geschah Aufregendes sogar in Hamburg. Hans Heinz Stuckenschmidt lebte bis 1923 in der Kellerwohnung am Besenbinderhof mit Lavinia Schulz und Walter Holdt zusammen. Er komponierte auch für ihre Auftritte. Geld hatten sie nicht. Als 1923 ein Sohn geboren wurde, nachdem kurz zuvor eine Pfändung stattgefunden hatte, spitzte sich alles zu. Am 18. Juni 1924 erschoß Lavinia erst ihren Mann, dann sich selbst. Ihr Sohn blieb unverletzt. Einen Tag vor ihrem 28. Geburtstag wurde sie beerdigt. Max Sauerlandt, der engagierte und der Avantgarde zugeneigte Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe der dem Tänzerpaar im Dezember 1921 im Museum einen Soloauftritt ermöglicht hatte veranstaltete 1925 eine Gedächtnisausstellung. Sein Aufruf, »nicht noch einmal so tapfer gegen den Strom Schwimmende versinken zu lassen« schon 1933 war er verhallt. Keine Künstlerfeste mehr. Friedrich Adler, Lehrer an der Kunstschule und Initiator der Feste, wurde entlassen und 1942 nach Auschwitz deportiert.
Katalog »Munch«, 192 Seiten, 23 ; Katalog »Entfesselt«, 175 Seiten, 18,50
Erschienen in Ossietzky 6/2006 |
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