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Was Sie nicht bemerkt haben werden: Sie sind durch das weltweit dichteste militärische Sperrgebiet gefahren, welches Seoul gegen den Feind im Norden sichern soll. An der Brücke nimmt sie ein Vertreter der United Nations Command Military Armistice Commission (UNCMAC) in Empfang und begleitet sie zwei Kilometer zum Camp Bonifaz, benannt nach einem US-Hauptmann, der hier am 18.8.1976 zusammen mit einem Kollegen von Nordkoreanern mit der Axt erschlagen wurde. Heute ist hier das Joint Security Area Sicherungsbataillon – 450 südkoreanische Soldaten mit einem US-Oberstleutnant – stationiert. In einer Kino-Baracke erklärt Ihnen hier ein kahlrasierter GI im Stakkato die Geschichte der Teilung und alles, was Sie noch sehen werden. Nur 400 Meter trennen Sie jetzt noch von der »demilitarisierten Zone«, die sich als vier Kilometer breites und 241 Kilometer langes Band von West nach Ost durch die koreanische Halbinsel schlängelt und mehr als eine Million hochgerüsteter Soldaten voneinander trennt. Um Füchsen, Kaninchen und Kranichen in dieser ländlichen Idylle des hermetisch abgeriegelten Niemandslands den genauen Verlauf der Grenze anzuzeigen, hat man weiße Pfähle und 1292 gelbe Tafeln in koreanischer und englischer Sprache in den seit 1953 ansonsten unberührten Boden gebohrt. Nirgends sonst wird auch Ihnen die Symbiose von Ökologie und Militär in so vollendeter Art gelungen erscheinen wie hier. Bis 2004 wurde die Beschaulichkeit noch durch laute gegenseitige Beschallung vertrieben, heute stört kein Geräusch außer dem eigenen Diesel die Naturidylle. Genau in der Mitte liegt die »Joint Security Area« (JSA), ein gepflegtes Ensemble musealer Steinbauten und Baracken, geteilt durch die »Military Demarcation Line« (MDL), welche die Grenze zwischen Nord- und Südkorea markiert. Hier weht Sie die Geschichte der wohl letzten Materialisierung des alten Systemgegensatzes an, wenn Sie die mittlere Baracke betreten und zu dem hölzernen Tisch voranschreiten, an dem die verfeindeten Brüder zu ihren gelegentlichen und immer erfolglosen Gesprächen Platz nehmen. Er wird leer sein, nur flankiert von zwei nordkoreanischen Soldaten mit Maxi-Sonnenbrillen, die durch kein Blitzlichtgewitter in ihrer Kung-Fu-Haltung zu irritieren sind. Sie erlauben Ihnen den Schritt auf die andere, nördliche Seite des Tisches, um Ihrem Bericht daheim den Höhepunkt eines Besuches in Nordkorea zu ermöglichen. Ich erspare Ihnen nähere Einzelheiten der ebenfalls hier sich treffenden »Neutral Nations Supervisory Commission«, die aus Schweizern, Schweden, Polen und Tschechen besteht. Sie erörtern, so ihre Aufgabe nach dem Waffenstillstandsabkommen von 1953, regelmäßig aktuelle Probleme und erhalten wahrscheinlich eine Gefahrenzulage. Nur wenige Autominuten vom JSA folgt der zweite Höhepunkt Ihrer kleinen Reise, eine Aussichtsplattform auf einem Hügel, die Ihnen einen weiten entspannenden Blick über den von feinem Stacheldraht durchzogenen demilitarisierten Naturgrenzpark ermöglicht. An klaren Tagen soll man von hier bis ins nordkoreanische Kaesong blicken können, wo jetzt südkoreanische Firmen in der neuen Sonderwirtschaftszone in den Genuß der allerbilligsten nordkoreanischen Arbeitskräfte kommen. Sollte die Witterung das nicht erlauben, so werden Sie doch auf jeden Fall auf zwei Fahnenmasten aufmerksam gemacht, die in angemessener Entfernung zwei Dörfer markieren, die einzigen zivilen Anwesen in der demilitarisierten Zone: auf südkoreanischem Terrain das Freedom Village, im Norden das Propaganda Village. Das Propaganda-Dorf ist unbewohnt, die Hütten ohne Fenster, der Fahnenmast mit seinen 160 Metern aber um 60 Meter höher als der des Freiheitsdorfes. Die Freiheit seiner noch verbliebenen Bewohner erfüllt sich in etwas Landwirtschaft, einer eigenen Schule, einigen Steuervorteilen und Befreiung vom Wehrdienst sowie Dorfpflicht ab Dunkelheit und Schließen von Türen und Fenstern bis 23 Uhr. Selten wird Ihnen die dialektische Einheit von Freiheit und Propaganda so einsichtig demonstriert wie hier. Sie werden noch einen Blick auf ein Bahnhofsgebäude in der Wildnis werfen können, welches die weitgehend abgeschlossenen Arbeiten an einer Eisenbahnverbindung für einen Transportkorridor zwischen dem Süden und den Norden anzeigt. Sie ist noch nicht in Betrieb, während eine Straßenverbindung bereits seit 2003 einen Grenzverkehr ermöglicht – und es wird Ihnen nicht verheimlicht, daß bei all den für diese Arbeiten notwendigen Minenräumaktionen deutsches Gerät zum Einsatz gekommen ist. Das mag bei Ihnen nostalgische Erinnerungen an unsere Grenzerfahrungen hervorrufen, die sowieso andauernd von Ihren koreanischen Gastgebern abgerufen werden. Man sei so gar nicht auf eine Wiedervereinigung vorbereitet. Verwundert, aber höflich akzeptieren sie, wenn wir ihnen versichern, auch wir seien seinerzeit nicht vorbereitet gewesen. Ihre weitgehende Gelassenheit beruht allerdings auf der Gewißheit, daß das Chinesische Reich vorerst nicht – wie inzwischen die Sowjetunion – zusammenbrechen wird und die chinesische Regierung überhaupt nicht an einer Wiedervereinigung interessiert ist, da sonst die USA sofort an ihrer Grenze im Süden auftauchen würden. Auch die südkoreanische Regierung verfolgt eher den Kurs langfristiger Annäherung, für die das Modell Sonderwirtschaftszonen ihnen günstiger erscheint als die Gespräche in der JSA. Erst vergangene Woche traf man sich dort wieder und trennte sich unverrichteter Dinge, ohne auch nur einen nächsten Termin vereinbart zu haben. Und so wird auch für Sie dieser Ausflug in ein Stilleben der Vergangenheit ohne andere Zeichen denn die einer musealen Zukunft enden, für das die Franzosen den treffenden Begriff der »nature morte« geprägt haben.
Erschienen in Ossietzky 6/2006 |
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