Das verlustbringende Sparschwein

Sergej Guk

Eine treffende Beobachtung habe ich neulich gelesen: In jeder Gesellschaft stellen die Deppen eine Minderheit dar, aber sie sind so geschickt aufgestellt, daß man überall auf sie stößt.

Daran erinnert mich ein Artikel der Nesawissimaja gaseta über den vor zwei Jahren von der russischen Regierung gegründeten Stabilitätsfonds, in den ein großer Teil des Haushaltsüberschusses fließt – für den Fall, daß irgendwann einmal die Ölpreise abstürzen und der Staat diese Einnahmequelle verliert. Dann könnte er sich aus dem Sparschwein bedienen.

Solche Vorsicht wäre lobenswert, wenn die Regierung diese Gelder, inzwischen weit über eine Billion Rubel, nicht einfach gehortet, sondern mit ihnen den Wirtschaftsaufschwung gefördert hätte. Schlimmer noch: Die Inflation hat in diesem Zeitraum schon etwa 100 Milliarden Rubel gefressen. Nebenbei bemerkt: Dem Staats ist dadurch mehr Geld verloren gegangen, als er zum Beispiel für Gesundheit oder Bildung vorgesehen hat.

Finanzminister Alexej Kudrin wiederholt unermüdlich: Diese Ersparnisse dürfen lediglich im Notfall ausgegeben werden. Man gewinnt den Eindruck, daß Kudrin kein Sparer, sondern ein Münzensammler ist. Worauf wartet er? Auf den Tag X, wenn die russische Wirtschaft endgültig konkurrenzunfähig wird? Wenn die schadhaften Stromnetze zusammenbrechen? Wenn die Grundlagenforschung, die Gesundheits- und Bildungssysteme unumkehrbar degradieren? Mit seiner Politik wird er das Verhängnis beschleunigen.

Was treibt eigentlich die Regierung? Sie verkauft die russischen Bodenschätze, die laut Verfassung der ganzen Nation gehören, und legt die Exportüberschüsse größtenteils in zinsarmen US-amerikanischen Schatzbriefen an, finanziert also die fremde Wirtschaft und investiert keinen einzigen Rubel aus dem Stabilitätsfonds in die eigene. Begründung: Sie wolle nicht die Inflationsspirale anziehen. Gleichzeitig rufen unsere Wirtschaftsweisen unaufhörlich die internationalen Finanzhäuser auf, in Rußland zu investieren. Als würden deren Gelder keine Inflation hervorrufen.

Verfasser des besorgniserregenden Artikels über den Stabilitätsfonds ist Juri Saweljew, stellvertretender Vorsitzender des parlamentarischen Ausschusses für Industrie, Bauwirtschaft und wissenschaftsintensive Technologien, einer unserer braven Volksvertreter also, deren Aufgabe unter anderem darin besteht, den Fiskus zu kontrollieren. Warum er und seine Kollegen ihren Pflichten nicht nachkommen, verschweigt der Alarmrufende. Vielleicht deswegen, weil die Duma derzeit mit Problemen beschäftigt ist, die den Abgeordneten wichtiger sind. Beispielsweise mit der Vorbereitung einer Gesetzesnovelle, die ihnen künftig erlauben soll, in Vorstände und Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften einzurücken. Damit soll legalisiert werden, was heimlich heute schon geschieht. Der Öffentlichkeit erzählen sie Witze wie diesen: Sie würden solche Zusatzarbeit unentgeltlich ausüben. Aus purer Selbstlosigkeit also.

Bei dieser Gelegenheit fällt mir ein anderer Witz ein. Er stammt von dem bei uns populären Satiriker Michail Sadornow: Die Partei »Einheitliches Rußland« plant dem Vernehmen nach eine Volksabstimmung. Uns wird Gelegenheit gegeben, eine einzige Frage zu beantworten, nämlich: »Haben Sie nichts dagegen, daß unser Präsident eine dritte Amtsperiode regieren wird?« Wir haben die Wahl, entweder anzukreuzen »Ja, ich habe nichts dagegen« oder »Nein, ich habe nichts dagegen«.

Denn wenn uns auch vieles abhanden kommt, der Humor läßt uns nicht im Stich.

Erschienen in Ossietzky 6/2006