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Doch jüngst ließ er sich von Chrismon – dem mehreren Tageszeitungen allmonatlich beigelegten Werbeblättchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für angepaßte Zivilreligion in Zeiten des Neoliberalismus – aufs Glatteis führen und brach erbärmlich ein, so daß nur noch die Rettung durch einen Markt-Guru übrigblieb. Chrismon hatte eine »Begegnung« zwischen Pfarrer Führer und dem neoliberalen Hardliner Hans-Werner Sinn, Professor für Nationalökonomie und Leiter des Münchener ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, arrangiert – einem ausgewiesenen Fachmann für weiteres Lohndumping (s. Ossietzky 14/05); für Bild ist er »Deutschlands bester Wirtschaftsprofessor«. Führer mußte zunächst den kleinen frommen, unwissenden Mäkler aus dem Osten geben, während Sinn seine bekannten Frechheiten und routinierten Unwahrheiten einem wohl zumeist andächtigen Lesevolk servieren konnte, ohne auf Widerspruch zu stoßen. Der wackere Leipziger Pastor durfte durchaus gelegentlich mutige Thesen vortragen, etwa von der Marktwirtschaft, die »überhaupt kein Interesse an Gerechtigkeit« habe und nur »Profitmaximierung« kenne. Mühelos nahm Professor Sinn solcher Gerechtigkeitsmoral den Wind aus den Segeln: »In der Marktwirtschaft wird nicht nach Gerechtigkeit entlohnt, sondern nach Knappheit… Die Marktwirtschaft ist nicht gerecht, sondern effizient.« Der Pastor wird doch wohl nichts gegen Effizienz einwenden wollen. Kann er ja gar nicht: Er und sein Volk wollten doch die D-Mark und den Anschluß an den Westen, höhnt Sinn. Doch Führer will nicht so schnell aufgeben und wagt den Satz, diese Gesellschaft sei »ungerecht« und gehe »über Leichen«. Das, so pfeift ihn der Professor schleunigst zurück, sei »maßlos übertrieben«. Denn: »Nicht die Marktwirtschaft geht über Leichen, sondern der Kommunismus!« Führer muß zurückrudern und kann nur noch kläglich einwenden, es dürfe aber »nicht so weit gehen, daß eine völlig neue Klasse von Menschen entsteht, die so viel verdient, daß sie mit dem normalen Leben gar nichts mehr anfangen kann.« Für diese Leute hat er als erfahrener Pfarrer ein gutes Experiment vorzuschlagen: Die Reichen sollten mal einen Monat mit 490 Euro auskommen, um wieder »Bodenhaftung« zu bekommen. Sofort wittert Sinn eine Staatsdiktatur, Führer muß weiter zurückstecken: »Ich hatte das auch nicht als Zwang gedacht, sondern als eine Art Übung.« Gegen freiwillige Bußübungen hat Sinn nichts einzuwenden: »Als eine geistige Übung für manche Manager wäre das okay. Nur: Die werden das nicht machen.« Er kennt sich da aus. Führer träumt von einer zweiten »friedlichen Revolution« wie 1989: Die damals schon erreichte tolle »Demokratie« brauche noch eine »neue Wirtschaftsordnung«, in der auch die Arbeitslosen Arbeit bekommen. Sinn hat nichts dagegen, will mit ihm »zusammenarbeiten: Sie können den Protest organisieren, und ich kann den Arbeitslosen sagen, was man machen müßte, um ihnen Beschäftigung zu geben.« Man müsse sich nur noch einigen, »wohin wir wollen«. Führer schwebt die »Jesus-Mentalität« des Teilens vor: »Arbeit und Einkommen sollten geteilt werden« – womit er aber nur die Arbeitseinkommen meint. Warum redet er nicht von den exorbitant anwachsenden Gewinnen der Kapitalseite? Nein, Führer hat in der Tat wenig Ahnung von Ökonomie, was er auch prompt zugibt: »Ich sag das jetzt als Laie, nicht als Wirtschaftsfachmann.« Eine solche Vorlage läßt sich Sinn nicht entgehen, jetzt übernimmt der Fachmann für neoliberalen Systemumbau: Teilen ist Quatsch. Die Revolution, für die er steht und für die er Führer gewinnen will, damit der den Protest organisiert, arbeitet mit anderen Lehren und Mentalitäten als Jesus Christus: »Je niedriger der Lohn, desto mehr Arbeit ist da«, dekretiert er. Deutschland habe bisher ganz einfach deshalb zu viele Arbeitslose, weil die Löhne zu hoch seien. Der Sozialstaat habe die Leute zu anspruchsvoll gemacht, sie gingen von zu hohen Standards aus und verlangten zu hohe Mindestlöhne. »Und wenn man zu solchen Löhnen keinen Job findet, sagt der Sozialstaat: Ihr könnt auch zu mir kommen, Leute, ich gebe euch das Geld auch so.« Daraus resultiere die Krankheitsursache der zu hohen Löhne. Ganz klar, wie die Krankheit zu therapieren ist: Runter mit den Unterstützungen und runter mit dem Lohnniveau! »Nach unseren Schätzungen müßte der Lohn für einfache Arbeit etwa ein Drittel niedriger sein, um drei Millionen Jobs zu schaffen.« Sinn will »jedem einen Job geben, und sei es für einen Hungerlohn.« Das meint der Professor nicht herzlos. Zu dem Hungerlohn soll »der Staat etwas dazuzahlen«. In seinem Buch »Ist Deutschland noch zu retten?« hat er schon vorgerechnet, daß sein Maßstab für den vom Staat aufzufüllenden Lebensstandard das Arbeitslosengeld 2 ist: Etwa zwei Drittel des jetzigen Sozialhilfesatzes sollen als Lohn vom Unternehmer gezahlt werden, ein Drittel vom Staat. Auf einen Schlag hätte dann die Agentur für Arbeit nur noch ein Drittel ihrer bisherigen Kosten für das Arbeitslosengeld 2 aufzubringen, fürs Arbeitslosengeld 1 noch weniger. Alle wären glücklich, weil sie endlich arbeiten dürften. Und zwar 44 Stunden in der Woche. Schon ist der wackere Pfarrer aus Leipzig für Sinns Programm des Lohndumpings gewonnen. Christian Führer bekennt: »Dann hat Ihr Modell etwas für sich. Mehr Arbeit durch niedrigere Löhne und die ausgleichen mit der Summe, die ohnehin ausgegeben wird, so daß der Mensch nicht unter unwürdigen Bedingungen leben muss… Ich bin ganz erstaunt, daß wir da Gemeinsamkeiten finden.« Wahrscheinlich wird man bald von Leipziger Montagsdemos hören, auf denen der Nikolaipfarrer für die Thesen des ifo-Chefs missioniert. Daß er nichts von Ökonomie versteht, sagt er selber. Sonst hätte er fragen müssen, wo denn jemals niedrige Löhne die Arbeitslosigkeit beseitigt haben. Etwa in Drittweltländern? Oder im jetzt zur Marktwirtschaft gehörenden Osteuropa? Womöglich im Gebiet der untergegangenen DDR, wo die Löhne immer noch bis zu 20 Prozent niedriger liegen als im Westen? Oder haben die unzähligen Lohnzurückhaltungen der Gewerkschaften und die staatlichen Entlastungen der Unternehmer von Steuern und Sozialabgaben in der BRD in den letzten 15 Jahren die Zahl der Arbeitslosen etwa vermindert? Der Professor aus München kann ohne Hinterfragung weitere dreiste Lügen auftischen, indem er zum Beispiel behauptet, nirgends auf der Welt gebe es »so viele Arbeitslose unter den Geringqualifizierten wie bei uns«. Und der Pfarrer läßt sich überrumpeln und einfangen. Soll man verlangen, daß dieser Pastor doch bitte bei seinem Leisten bleiben möge, um weiteres Unheil zu vermeiden? Da sieht es leider nicht viel besser aus. Führer hatte zunächst gemeint, von der Theorie her – leider nicht in der Praxis – sei doch der Sozialismus dem Christentum näher als die Marktwirtschaft, nämlich eine Art »säkularisierte Reich-Gottes-Vorstellung«. Das aber kann der neoliberale Hohepriester Sinn nicht einmal in der Theorie zulassen. Er korrigiert: »Der Sozialismus braucht den guten Menschen. Und die christliche Annahme ist doch, daß der Mensch böse ist. Oder stimmt das nicht?« Er verlangt jetzt ein ultimatives Bekenntnis, der neugewonnene Adept Führer muß Farbe bekennen, ob er bereit ist, sein ganzes Theologenwissen zusammen mit 2000 Jahren Kirchengeschichte auf dem Altar der neoliberal erstrahlenden Marktwirtschaft darzubringen. Und der arme Pfarrer aus Leipzig ist bereit, er widerruft seine Sozialismus-Reich-Gottes-Vorstellungen und bekennt: »Der Mensch ist beides (böse und gut). Wie Luther gesagt hat: sündig und gerechtfertigt zugleich.« Das genügt dem Inquisitor aus München. Er kann jetzt jubilieren und dem Nikolai-Pfarrer wie allen Chrismon -LeserInnen triumphierend ihr eigenes Ankommen in der großen neoliberalen Markt-Religion ansagen: »Die Marktwirtschaft ist ein System, das keine guten Menschen braucht. Marktwirtschaft funktioniert mit dem Menschen so, wie er ist: ein egoistisches profitsüchtiges Individuum, das seinen Konsum maximieren will.« Halleluja, Du Großer Marktgott!
Erschienen in Ossietzky 6/2006 |
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