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Ausgesprochen lockerDie Bundeskanzlerin und ihr Vize haben nun auch die für eine neue Regierung obligaten Arbeitsessen mit den Spitzenkräften der Sozialpartner hinter sich gebracht, erst mit der Arbeitgeber-, dann mit der Arbeitnehmerseite. Von einem »Aha-Erlebnis der Gewerkschaftsbosse« berichtet die Süddeutsche : Mit Angela Merkel sei es viel gemütlicher gewesen als mit Gerhard Schröder, »ausgesprochen locker« habe man sich unterhalten. Auch die regierenden Gastgeber hätten das Gespräch mit den Gewerkschafts-oberen als »sehr kooperativ« empfunden, während zuvor die Vertreter der Unternehmerschaft sich eher fordernd verhalten hätten. Bedenklich indessen kann die Differenz bei der Vorspeise stimmen, über die ebenfalls die Süddeutsche informiert: Merkel und Müntefering kredenzten den Wirtschaftsmenschen Lachs, die Gewerkschaftsleute bekamen eine Schaumsuppe. Marja Winken
boell-democratisationDie grüne Politikstiftung, für die der Name des renitenten Dichters Heinrich Böll herhalten muß, übt sich in Anpassung ans herrschende Vokabular: »Exportschlager Demokratie« ist die nächste ihrer internationalen Konferenzen betitelt, und in der Einladung dazu heißt es »Externe Demokratieförderung hat weltweit Konjunktur.« Als Hauptförderer werden die USA genannt, deren »Außen- und Sicherheitspolitik die Verbreitung von Demokratie« sogar »offensiv« vorantreibe, weitere »externe Förderer« seien die EU, viele NGO's und schließlich, im deutschen Fall, auch die parteinahen politischen Stiftungen. Über das wohltätige Handeln nordatlantischer Staaten und Organisationen bei ihrem »Exportgeschäft« sprechen Fachleute, die eines gemeinsam haben: Von ihnen ist nicht zu erwarten, daß sie den »Exportschlager« einem Warentest unterziehen oder gar fragen, ob es bei der »externen Demokratieförderung« nicht doch allzu schlagend zugeht. Für die grüne Partei darf dann Jürgen Trittin als ihr außenpolitischer Sprecher am Schluß der Tagung »politische Handlungsoptionen« formulieren. Warten wir mal ab, ob er dazu, wie es bei dieser Veranstaltung naheläge, ein passendes Zitat von Heinrich Böll findet. Das wird schwerfallen, ist aber möglicherweise gar nicht nötig. Denn der Namensgeber wurde schon etwas abgeschliffen – die Internetseite heißt geschmackvollerweise »www.boell.de/democratisation«. Peter Söhren In der Heinrich-Böll-Stiftungs-Beilage der grünen Theoriezeitschrift Kommune (Heft 1/2006) mahnt Martin Altmeyer: »Die Grünen sollten endlich ihren Frieden mit dem globalisierten Kapitalismus machen.« Keine Sorge, ist schon geschehen. Red.
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Kinder der SolidaritätDie Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung widmet sich in einer Ausstellung erneut einem in der Berliner Öffentlichkeit bisher kaum wahrgenommenen Thema, wie sie das in vergangenen Jahren etwa mit der Erziehung und Bildung der Amish People ( Ossietzky 6/2002) und dem Lebensweg der Jüdin und Sozialistin Clara Grunwald getan hat. In Zusammenarbeit mit dem Verein zur Förderung von Forschungen zur politischen Sozialisation und Partizipation und dem Archiv der Arbeiterjugendbewegung dokumentiert sie anhand von Fotografien und Schriftgut die Arbeit der sozialdemokratischen »Kinderfreunde«. Zu Beginn der Weimarer Republik gegründet, wuchs diese Organisation zu einer erfolgreichen Kinder- und Erziehungsbewegung heran, an der sich bis 1932 über 200.000 Kinder, Eltern und Erzieher beteiligten. Die Arbeit der »Kinderfreunde« war geprägt von der europaweiten pädagogischen Reformbewegung, die sich aus sehr unterschiedlichen ideologischen Traditionen herausgebildet hatte, erweitert um den Versuch, Arbeiterkinder in Gruppennachmittagen und Kinderrepubliken zu aktiven, demokratisch und solidarisch handelnden Mitgestaltern einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft zu erziehen. Die Kinder waren an ihrer Kluft, dem blauen Hemd, dem roten Halstuch und dem roten Wimpel mit dem stilisierten Falken, der ihnen die Freiheit symbolisierte, zu erkennen. Aus dem konservativen Lager wurde die Bewegung der »Kinderfreunde« heftig bekämpft, die Förderung der Selbsttätigkeit und Selbstbestimmung und die Gemeinschaftserziehung von Jungen und Mädchen wurden als Entfremdung von Gott und als Angriff auf die bürgerliche Familie gewertet. Den weitestreichenden Einfluß hatte Kurt Löwenstein, von 1920–1933 Mitglied des Reichstags sowie von 1921–1933 trotz massiver Widerstände aus konservativen Kreisen Stadtrat für Volksbildungswesen des Berliner Arbeiterbezirks Neukölln. In seinen zahlreichen Schriften trat er für eine sozialistische Gemeinschaftserziehung auf marxistischer Grundlage ein. Diese Vorstellungen versuchte er mit Hilfe der Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde Deutschlands zu verwirklichen, die sich unter seiner Leitung zur größten laienpädagogischen Bewegung der Weimarer Republik entwickelte. Löwenstein mußte Deutschland verlassen und floh über Prag nach Draveil bei Paris, wo er 1939 im Alter von 57 Jahren verstarb. Die kurze Geschichte der Kinderfreunde-Bewegung endete 1933. Am 22. Juni wurde die Organisation verboten, ihr Vermögen beschlagnahmt. Nach dem Krieg wurden einige wenige Ideen der Kinderfreunde-Bewegung aufgegriffen und Bestandteil der Arbeit der Jungen Pioniere und der Freien Deutschen Jugend. Im Westen wurde die Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken gegründet, die sich auch auf die Tradition der Kinderfreunde Deutschlands beruft und in Werftpfuhl bei Berlin die »Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein« betreibt. Herbert Altenburg »Kinder der Solidarität. Die sozialistische Pädagogik der ›Kinderfreunde‹ in der Weimarer Republik«, Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung, Berlin, Warschauer Straße 34. Bis zum 21. April Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr. Eintritt frei, Katalog 3.50
Ökonomie und Ökologie»Wir leben in einer Zeit, in der die Weltbevölkerung wächst, aber die natürlichen Ressourcen von Tag zu Tag abnehmen. 50 Prozent der Wirbeltier- und 30 Prozent der Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht. Weltweit werden täglich Tausende Hektar Ackerland vernichtet. Der Anteil des Ackerlandes an der Erdoberfläche beträgt nur 10 Prozent ... In den Ländern des Südens hungern schon 850 Millionen Menschen, täglich sterben 24.000 vor Hunger ... Statt Geld für Land- und Agrarreformen einzusetzen, werden Aufrüstung und Kriege finanziert. Kein Tag vergeht in der Welt ohne Kriegstote und Kriegsverwüstungen. Täglich werden 2.5 Mrd. Dollar für die Rüstung ausgegeben.« Solche Kassandra-Sätze stehen wie gemeißelt in dem aufregenden Buch »Landschaftsfraß«, das die Autorin Rita Kindler »ein Diskussionsangebot« nennt. Im Kapitel I »Bodeneigentum, Grund-rente und Bodenpreis« zeigt sie, wie germanisches Gemeineigentum zum privaten (geraubten) Grundeigentum geworden ist und der Grund und Boden schließlich zur Ware. Einer der Sündenfälle der Geschichte. Die Grundrente – also leistungsloses Einkommen , ein Leitmotiv in diesem Text – ermöglicht Spekulation. Wer sich über seine ständig steigende Miete wundert, sollte hier nachlesen. Dann weiß er, daß nur der geringste Teil der Werterhaltung dient, das meiste der Bodenspekulation. Interessant sind Rückgriffe auf das alte mosaische Recht und das Israel der Neuzeit. Nach mosaischem Recht gehörte der Boden Gott, also der Gemeinde, war nicht handel-, bestenfalls pachtbar. Darüber ist auch bei Heinrich Heine und Max Zweig nachzulesen. In Israel gilt das angewandt bis heute – über 90 Prozent des Bodens gehören dem Nationalfonds, sind nicht der Bodenspekulation unterworfen. Das große Erbe der linkszionistischen und sozialistischen Chaluzim ist heute grundgesetzlich verankert. Im Kapitel II »Zusammenhang von Bodenpreis und Umweltzerstörung« geht es ökologisch zur Sache: täglich 100 Hektar Landschaftsfraß allein in Deutschland und das ohne Rücksicht auf Verluste, Verluste ökologischer Art zugunsten ökonomischer Gewinne. Das reicht von der »Zersiedlung« der Landschaft durch »Eigenheime«, wofür es auch noch Zulagen gab, bis zu gigantomanischen Projekten (immer neuen Autobahnen, Flughäfen etc.), wo Milliarden in den Sand gesetzt worden sind. Davon sind Boden, Luft, Pflanzen, Tiere, Wasser und am Ende der Verursacher Mensch betroffen. Im dritten Kapitel geht Rita Kindler der Frage nach, ob privates oder Gemeineigentum sinnvoller für die Natur ist. Wir wissen, wie sich Tagelöhner oder Knecht, schließlich der Landproletarier nach eigenem Land und freiem Bauerntum sehnten. Die Ideen zur Bodenbefreiung, zur Bodenreform sind alt, wurden manifest durch die Französische Revolution, zumindest bewegt. Heraus kamen Kompromisse: In Deutschland waren sie jämmerlich, zielten auf die Stärkung des Eigentums generell und des großen Grundbesitzes. Daher entstand die Bodenreform-Bewegung. Zur Reform kam es jedoch erst 1945, einer großen im kleinen Osten, einer kleinen im großen Westen. 1990 wurde das fast alles mehr oder weniger rückgängig gemacht – privatisiert, wie es eben so heißt. Die Verfasserin durchdenkt verschiedene Möglichkeiten, vor allem die bestmöglichen. Pacht zum Beispiel. Was tun? Die Umwelt wartet nicht, der Verfall geht rasend weiter. Kindler empfiehlt – davon handelt ihr viertes Kapitel – »Kleine Schritte gegen den Landschaftsfraß«. Sie vertraut sogar auf Appelle – an die Grundeigentümer. Sicher, der Verfassungsgrundsatz »Eigentum verpflichtet« steht ihr bei – aber die Eigentümer? Da hängt sie wohl einer Illusion an. Im fünften Kapitel holt sie freilich noch einmal aus, wohlwissend, daß die »kleinen Schritte« zwar notwendig sind, aber nicht ausreichen. Immerhin bleiben die ökologische Gestaltung der Preise, Steuern und Abgaben, Bodennutzungsentgelte, billige Mieten in den Städten, um die Zersiedelung zu verhüten, Abschöpfung des Einkommens ohne Leistung, letztlich die Rückführung des Bodenmonopols in Gemeineigentum. So folgen scharfen Analysen doch auch sinnvolle Forderungen. Ein nützliches Buch. Außerdem gut geschrieben. Jochanan Trilse-Finkelstein Rita Kindler: »Landschaftsfraß – Flächenwende in Sicht?«, Edition Bodoni Berlin, 333 Seiten, 16.50
Falsch? Richtig? Jedenfalls wahrSie hat, was wenig bekannt sein dürfte, über Theodor W. Adorno promoviert. Dennoch kann sie, nach eigenem Bekunden, mit Adornos Verdikt »Es gibt kein richtiges Leben im falschen« nur wenig anfangen. Ihr gemäßer wäre wohl jene Abwandlung, die der Ausspruch als Titel eines Buches von Christoph Dieckmann fand: »Das wahre Leben im falschen.« Über dieses berichtet die Kabarettistin Gisela Oechelhaeuser in ihrem Erinnerungsbuch »Hier geblieben!«. Eingangs formuliert sie ihr Anliegen: Sie wolle über ihre »verschiedene Leben« berichten, die einander »bedingen und sich auch nur eins aus dem anderen verstehen lassen«. Das heißt für Gisela Oechelhaeuser konkret: »Erst war ich unpolitisch, christlich, dann war ich gegen den Sozialismus, später war ich dafür, ich bin in die SED eingetreten, 1976 leistete ich eine IM-Unterschrift, ich war couragierte Kritikerin der DDR, ich liebte meine Familie, brach aber aus Parteidisziplin den Kontakt zu meinen Geschwistern [die in der Bundesrepublik lebten; K.A. ] ab.« Sie spricht von Zäsuren. Ihr Leben ist, wie Gisela Oechelhaeuser jüngst bei einer Lesung in Weimar bemerkte, repräsentativ für ihre Generation. Noch in ihrem Geburtsjahr 1944 fiel der Vater als Soldat in Frankreich. Es war an ihrer als Pfarrerin in Apolda wirkenden Mutter, die vier Kinder allein aufzuziehen. Schmalhans war Küchenmeister. Sie lernte in Weimar den Beruf einer Industrieuhrmacherin. An der Schauspielschule in Leipzig abgelehnt, wählte sie Deutsch und Französisch fürs Lehramt als Studienfächer. In dieser Zeit fand sie zum Kabarett. Daß Gisela Oechelhaeuser von Kindesbeinen an eine »Quasselstrippe« mit unstillbarem Hang zum Lachen war, entpuppte sich für ihre Brett'l-Laufbahn als Vorzug. Sie wurde zu einer der wichtigsten Kabarettistinnen in der DDR. »Hier geblieben!« ist eine ehrliche Bestandsaufnahme ihres gelebten Lebens, das eine Haben- und deshalb auch eine Soll-Seite kennt. Die Autobiographie ist aber auch ein heiteres, anekdotenreiches Buch. Auch mit 62 Jahren hat Gisela Oechelhaeuser noch immer etwas von dem »Sonnenschein«, der sie als Kind in Apolda gewesen ist. Kai Agthe Gisela Oechelhaeuser: »Hier geblieben! Leben in Geschichten«, Eulenspiegel Verlag, 187 Seiten, 14,80
Liebe und Schweizer FrankenBlaubarts im 20. Jahrhundert sind keine Ritter mehr, sondern Unternehmer. Sie scheffelten so viel Geld, daß der dritte in ihrer Ahnenreihe über einen schier unermeßlichen Reichtum verfügt. Jedoch ist das Erbe in seinem Heimatstaat an Bedingungen gebunden: Blaubart III mußte verheiratet sein, und im Land galten neue Gebote für Gerechtigkeit, die einen solch immensen Besitz nur über Tricks und Vermittlung ermöglichten. Als Vermittler fungiert der etwas räudige Gestiefelte Kater, dessen Chef Dr. Glos- sowski ist. Es ist kein ganz richtiges Märchen, eher eine heitere, manchmal melancholische DDR-Geschichte, denn Louis Blaubart kauft Bilder von Albert Ebert, liest Franz Fühmann, und Dr. Glossow-sky ist einem Devisenbeschaffer ähnlichen Namens nachempfunden. Vor allem aber ist es eine Liebesgeschichte. Blaubart III liebt die Leipziger Buchhändlerin Caroline, die in ihrer Jugend stolz das Blauhemd trug. Über Umwege kriegen sie sich, aber Carolines Liebe stirbt, und bald ist auch sie trotz ärztlicher Kunst nicht zu retten. Blaubart folgt ihr in der nämlichen Woche. War etwa das viele Geld schuld? Oder die Geheimniskrämerei, die ein richtiger Blaubart nun mal nicht lassen kann? Seine Millionen liegen noch jetzt auf einer Schweizer Bank. »Das Gold aber wartete und arbeitete im Stillen« – ist das etwa ein Schlußsatz eines Märchens? Auf den wundersamen Inhalt, die köstlichen Einfälle, die vielen schönen Sätze sei hier mit Begeisterung hingewiesen. Das neue Buch von Fritz Rudolf Fries ist ein einziges großes Vergnügen! Christel Berger Fritz Rudolf Fries: »Blaubarts Besitz«, Roman, Faber&Faber, 158 Seiten, 16
Rotwein, Bier, PapierFranz Xaver Kroetz: Schauspieler und Theaterregisseur, Dichterfürst der DKP, unerwarteter Fernsehstar in »Kir Royal«. Dann der Totalabsturz als Kolumnist für Springers Bild und Welt . Heiratet Marie-Theres Relin, hat drei Kinder mit ihr. Kurz vor seinem Sechzigsten die Trennung. Läßt sich von Bundespräsident Köhler mit dem Bundesverdienstkreuz behängen, führt wieder Regie, bringt seine gesammelten Theaterstücke heraus und veröffentlicht »Blut & Bier«: 15 Geschichten auf 148 Seiten. Ans »wilde Ufer« will er zurück, »eins sein mit einem Text, der sich erzeugt, während er in die Maschine gehackt wird, von der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Buchstaben in einer Reiseschreibmaschine!« Große, weit gesetzte Buchstaben strecken die Seitenzahl. Der schmale Band soll schließlich 16,90 Euro kosten, mehr als einen pro Story. Sind sie das wert? 25. Februar 2006. Kroetz wird heute 60. Ich lese »Seine beste Story«, die kürzeste dieser Geschichten. Und denke: Wenn ich das mit einem einzigen freundlichen Wort lobe, gibt am Ende noch jemand gutes Geld für diesen Schmarrn aus. Kroetz erzählt von einem scheiternden Schriftsteller, Enten und Särgen. Wirres Zeug. Ich sage mir: Der bringt's nicht mehr. Und: Den Mist lese ich nicht weiter. Aber dann muß ich auf jemanden warten, greife nach dem Buch. »Leerer Tag« haut mich um. Wenn von dieser Geschichte nur die Hälfte stimmt, ist Kroetz' Frau eine Heilige und er ein versoffenes selbst-, luxus- und sexsüchtiges Schriftstellerwrack. Diese Geschichte gehört in Lesebücher. Für seine Kunst will ich ihn küssen, für seinen grausamen Egoismus mit dem Teppichklopfer auf die nächste Psychiatercouch jagen. Ich lese weiter, weiter: Kroetz fantasiert von einem Umzug nach Berlin, in die Armut zurück; erklärt während einer Fahrt in seinem »Jaguar«, daß er nie für den Sozialismus schrieb, sondern für seinen gesellschaftlichen und materiellen Aufstieg; will einen guten Satz zu Papier bringen und scheitert damit an seiner Familie; berichtet vom zynischen Dirigenten eines Waisenchors in der Vierten Welt; stellt mir einen Schnürsenkelmaler, einen Alltagsfaschisten und zwei kaputte Ehepaare vor. »Hunger« ist so gut, daß ich diese Geschichte gleich zweimal lese. Was ist hier wahr, was Dichtung? Er erzählt, daß er mit seiner Schwiegermutter – Maria Schell – fremdging, um seine Ehe zu retten. Das kann nicht wahr sein. Bitte nicht! Aber alles andere paßt so ziemlich eins zu eins. Ich glaube, Kroetz zieht mich in ein katholisches Beichtspiel hinein: Er stellt sich gnadenlos bloß, und ich soll ihm alles vergeben, weil er ja nur ein armes Hascherl ist. Aber so läuft das nicht, Kroetz: Wenn ich Dir vergebe, hörst du nachher noch mit dem Schreiben auf. Das will ich nicht. Das Blut des Heilands willst Du trinken, weil Du dann in den Himmel darfst. Für Dich gibt's aber bloß Rotwein. Und jede Menge Bier. Und leere Blätter, weiße Berge davon, die Du vollschreiben mußt, bis Du umkippst. Durch diese Hölle mußt Du Dich durchsaufen und -schreiben, wenn Du jemals in den Himmel willst. Herzlichen Glückwunsch zum Sechzigsten, Kroetz. Ich hoffe, Du wirst hundert und tippst Dir bis dahin für mich jeden Tag die Finger blutig. Deine Bild -Kolumnen und Deine Selbstsucht vergebe ich Dir nie. Aber Deine Geschichten mag ich, Du gemeiner Typ. Martin Petersen Franz Xaver Kroetz: »Blut & Bier«, Erzählungen, Rotbuch Verlag, 164 Seiten, 16,90
Schöne SpinnereiPaulo Coelho gibt seinen Lesern wieder eine Chance. Allen, die glauben, daß ein bißchen Aberglauben nicht schaden kann. Allen, die es ohnehin etwas mystisch, magisch mögen. Allen, denen die einfache Wirklichkeit allzu unwirklich ist. Ihnen allen bietet Coelho in dem Roman »Der Zahir« an, auf der Suche nach der verlorenen Liebe die »Energie der Liebe« zu entdecken. Wer gern träumt, wird das gern lesen. Phantasielose Pragmatiker hingegen werden Coelho, den Energetiker der Liebe, für einen Spinner halten. Die Freunde des vielgerühmten »magischen Realismus« der lateinamerikanischen Literatur werden bestätigt finden, daß der Brasilianer das Magisch-Märchenhafte längst ans Spleenig-Spirituelle verraten hat. Das tat der Schriftsteller, wie seine Leser wissen, aus Überzeugung. Daß er schon viel überzeugender war, werden sie wissen, wenn sie »Der Zahir« gelesen haben. Und sie werden lesen. Einen Paulo Coelho lassen die Leser nicht sitzen. Bernd Heimberger Paulo Coelho: »Der Zahir«, übersetzt von Maralde Meyer-Minnemann. Diogenes Verlag, 342 Seiten, 21,90
Press-KohlIn meiner kleinen Pappschachtel, die ungeklärte Fakten aus der Kunstgeschichte verwahrt, findet sich auch eine Meldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa) über literarische Nachlässe. Da steht zu lesen: »Der DDR-Dramatiker Peter Hacks wurde unter anderem mit ›Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe‹ bekannt.« Nun hatte der »DDR-Dramatiker« Hacks seinen Wohnsitz lange in der Schönhauser Allee. War er deshalb vielleicht ein Berliner Dramatiker? Oder nicht eigentlich, da die Schönhauser Allee den Bezirk Prenzlauer Berg durchzieht, ein Berg-Schriftsteller, ein sogenannter Prenzlberger Poet? Schwierige Fragen! Peter Hacks hielt sich oft in seinem Häuschen am südlichen Hauptstadtrand auf: War er demzufolge ein Brandenburger Autor? Oder wohl doch, wie Brecht, Goethe, Schiller und Ingo Schulze, ein deutscher Dichter? * Lutz Stückradt, den wir seit langem kennen und schätzen, ist meiner Meinung nach ein Kabarettist, doch das ist offenbar eine ungenaue und verschwommene Definition. Lutz Stückradt ist nämlich ein Ausnahme -Kabarettist, wie ich aus dem Ausnahme-Feuilleton der Berliner Zeitung erfuhr. * Noch eine denkwürdige dpa -Information (vom 17.2.2006): »Alice Schwarzer, die die Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft erhielt, hat Heine als ihr journalistisches und schriftstellerisches Vorbild bezeichnet. Doch sie sei immer noch enttäuscht, daß er sich nie für die Gleichberechtigung eingesetzt habe. Auch im Privatleben habe er Frauen nicht als gleichwertig betrachten können. Würde sie heute Heine begegnen, müßte sie schon ›über die Sache mit den Frauen‹ mit ihm sprechen.« Na, da hat Heinrich Heine († 17. 2. 1856) ja noch mal Glück gehabt. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 5/2006 |
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