Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Der liebe Gott aus dem PlastiksackMonika Köhler In Scharen liefen die Zuschauer davon, sogar schon vor der Pause es war nicht die Premiere, sondern ein normales Wochenende. Was hatte sich das Abonnementspublikum im Hamburger Schauspielhaus versprochen unter dem Titel »Zur schönen Aussicht«, einem frühen Stück Ödön von Horváths, das er Komödie nannte? Die »Schöne Aussicht«, in Hamburg ist das eine unerschwingliche Wohngegend an der Außenalster, bei Horváth ein abseits gelegenes Hotel in der Nähe eines Kriegsschauplatzes. Der Regisseur läßt es irgendwo in den Bergen im Post-Jugoslawien spielen. Gleich in den ersten Minuten erschießt sich ein Soldat, der an Krücken humpelte, in dem Hotel, das eher einem Bunker gleicht. Fensterlos, mit Wänden aus Platten, von denen sich das Blut des Soldaten nicht abkratzen läßt. Eine Europakarte deckt den Schandfleck zu. Sie hängt schief das Publikum lacht. Der Boden, rote Teppichreste, ist bedeckt mit Dreck, Möbel gibt es nicht, nur die Heizung an der Wand. Ein Sturm weht durch die Halle, wirbelt Papier herum, signalisiert emotionale Kälte. Draußen tobt ein Gewitter oder sind es Granaten-Einschüsse? Hubschrauberlärm, Frauen schreien. Dieser Bunker bietet keinen Schutz, das Dach hat ein riesiges Loch wie ein Observatorium aber der Himmel ist nicht zu sehen (Bühne: Annette Murschetz). Ein Schlagerfetzen dringt ins Innere, die Akteure erscheinen. Der Oberkellner Max (Bernd Moss), der eigentlich Künstler ist, wie er sagt, sucht ständig seine Schuhe. Er hat ein Vorleben, in dem Gewalt eine Rolle spielt wie bei allen, die in diesem Hotel Europa leben. Der Chauffeur Karl (Achim Buch), schmierig, chauvinistisch sich aufblähend, ist zu jeder Gewalttat bereit. Dann taucht Müller auf (Klaus Rodewald), der Vertreter einer Weinfirma, im Anzug des Geschäftsmanns, der Schulden eintreiben soll. Und der Geschäfte macht, egal womit. Man spricht über alte Zeiten, über Krieg, so nebenbei. »Sind ja alle tot ganz von allein verreckt.« Ein Wiener Walzer lullt ein. Der Vertreter Müller, er vertreibt nicht nur Wein, auch Autos. Und Waffen. Und ist hier »im Auftrag des Internationalen Gerichtshofs « Der Satz bleibt unbeendet wie so viele Sätze. Gemeint ist jenes Tribunal, das sich weigert, Kohl und Genscher auch nur als Zeugen vorzuladen. Der Hoteldirektor Strasser (August Diehl), ein Edelganove, auch er macht sich die Hände blutig, wickelt immer neue Binden drum. Er ist so gut wie pleite, lebt nur vom Geld seines einzigen Gastes, der Baronin Ada, Freifrau von Stetten (Ute Hannig). Sie betrachtet ihn als ihr Eigentum. »Ich habe dich gekauft ich bezahle!« Ada, die zur Beinprothese ein Glitzer-Minikleidchen trägt und silberne Pumps. Die auch die andern von sich abhängig macht durch ihr Geld. Ihr Bruder Emanuel, Freiherr von Stetten (Samuel Weiss), erscheint im rosa Anzug und Täschchen, in dem nur Spielschulden und ein Pistölchen stecken. Wenn sie ihm nicht hilft, bringt er sich um, sagt er weinerlich. Sie saufen und überbieten sich, prahlen: »Hab` ja selbst drei von diesen Nutten niedergeschossen« nach dem Krieg. Müller spricht von der »Überbevölkerung«. Aber der Satz, der mich stocken ließ beim Lesen des Horváth-Textes, er bleibt ungesagt. Müller: »Man könnte doch ruhig einige Millionen Menschen vernichten!« Und der weiterführende Satz ist auch gestrichen: »Wir brauchen einen neuen Krieg.« Warum? Das war die Spur, die Horváth schon 1926 in den deutschen Vernichtungskrieg von 1941 legte. Regisseur Martin Kuej, Direktor der Salzburger Festspiele, hat sie ausgewischt. Weil sie ihm nicht in sein Konzept Balkankrieg paßte? Auftritt ein Mädchen, blond und naiv, hereingeweht im grünen, nassen Kleidchen: Christine (Lavinia Wilson), die Strasser, den Hotelchef, in größte Verwirrung stürzt. Sie war Gast im Jahr zuvor und mehr als das, Geliebte. Nun ist sie Mutter, und Strasser hat Angst vor Forderungen. Ein teuflisches Spiel wird ausgeheckt unter Männern. Jeder behauptet, etwas mit ihr gehabt zu haben. Sie wird auf den Tisch gehievt, mit einem Plastik-Chrysanthemenstrauß im Arm wie eine Heilige verspottet. Was dann vollzogen wird, ist die psychische Vernichtung eines Menschen. Müller steht nackt über ihr, erniedrigt sie nicht nur mit Worten. Alle treiben sie in die Enge. Am Schluß liegt sie wie eine Schlenkerpuppe in der Ecke, blutend und ausgebrannt. Max zählt sie aus wie beim Boxkampf. Ein Feuer wird entzündet und Christine an Armen und Beinen darüber gehalten, ein feiner Braten. Was sie nun, kreideweiß, stockend zu berichten beginnt, läßt alle verstummen. Sie, die Waise, hat plötzlich Geld, eine Erbschaft. Sie wollte nichts weiter als Zuneigung, gar Liebe von Strasser, dem Vater ihres Kindes, kein Geld. Daß nun jeder um ihre Freundschaft buhlt, sie gar heiraten will, ist so ekelhaft wie zwangsläufig. Sie denkt an nichts anderes als: weg von hier. Die Begegnung der beiden Frauen im kalten Mondlicht hat fast etwas Anrührendes. Ihr habe der liebe Gott geholfen, sagt Christine. Aber es sei kein Verlaß auf ihn, »er hilft nur ab und zu, die meisten dürfen verrecken. Man müßte den lieben Gott besser organisieren. Man könnte ihn zwingen. Und dann auf ihn verzichten.«. Der liebe Gott, das ist ein blauer Plastiksack voller Geldscheine, die der Sturm der nicht vom Paradies her weht über die Bühne fegt. Und keiner bückt sich danach. Der Kaiserwalzer läßt das Geld tanzen. Zum Schluß fällt eine schräge schwarze Wand wie ein Fallbeil auf die Bühne. Ödön von Horváth wurde am dritten Tag seiner Emigration in Paris 1938 von einem beim Sturm herabfallenden Ast getötet.
Erschienen in Ossietzky 5/2006 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |