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Eine Reporterin der Moskowskij Komsomolez ging auf Wallraff-Tour: Sie wollte am eigenen Leibe erfahren, unter welchen Verhältnissen die von den Hauptstädtern ungeliebten Gäste arbeiten und hausen. So stand sie, schäbig gekleidet und mit einem kleinen Schild »Malerarbeiten« an der Brust, im Morgengrauen mit hunderten anderen mürrischen Arbeitssuchenden auf einem Platz am Moskauer Stadtrand. Der Platz ist längst als »Sklavenmarkt« bekannt. Ein »Lada« bremst. Im Nu wird er von Dutzenden umringt. Der Arbeitgeber wählt vier Usbeken aus und fährt mit ihnen davon. »Diese Kameltreiber haben nie im Leben auf dem Bau gelernt«, knurrt ein Ukrainer. »Für einen Dollar sind sie bereit, den ganzen Tag Beton zu kneten.« Ein Kleinbus holt weitere 17 Glückspilze; sie werden Heizungsrohre legen. Ihnen folgen noch drei Bewerber... Wie die Reporterin erfährt, hat der Zustrom von Gastarbeiter aus der Ukraine, Weißrußland und Kasachstan nachgelassen. Nach wie vor kommen Jobsuchende aus den mittelasiatischen und kaukasischen Republiken (unverständlicherweise alle »Turkmenen« genannt). Besonders zahlreich aber sind die Moldavier; man tituliert sie als »sowjetische Baubatallione«. Die »Sklaven« haben ihre eigene Hierarchie. Als »Adel« gelten diejenigen, die die Paläste für die Neureichen errichten. Eine Stufe tiefer stehen die Instandsetzer, die die Wohnungen wohlhabender Moskauer renovieren. Sie bilden feste Arbeitstrupps und werden durch Flüsterpropaganda weitervermittelt. Die übrigen sind auf die Vermittler angewiesen. Ihr Los sind die schweren, schmutzigen und miserabel bezahlten Tätigkeiten. Endlich war die Reporterin dran. Ihr wurde Hilfsarbeit auf einer Baustelle angeboten. Ihre Arbeitsgenehmigung und andere Papiere interessierten niemanden. Der Lohn: 6.000 Rubel monatlich, sofern keine Ordnungsstrafe verhängt wird, später 10.000. Eine Ordnungsstrafe kann man sich leicht zuziehen: wenn die Kollegen den Beton zu spät bringen, wenn man mit dem Vorarbeiter streitet, wenn man nach Alkohol riecht – im letzten Fall wird nur die Hälfte des Lohns ausgezahlt. Und selbst wenn man tadellos schuftet (bis zu zwölf Stunden täglich an sechs Tagen wöchentlich), erhält man den versprochenen Lohn nicht termingerecht. Der Vermittler, der die Lohngelder für alle vom Auftraggeber erhält, legt die Summe erst einmal bei einer Bank an, um Zinsen kassieren zu können. Manchmal gehen die illegalen Gastarbeiter leer aus. Der gierige Vermittler kann sie der Polizei verpfeifen. In diesem Fall haben die Schutzlosen Festnahme und Abschiebung zu erwarten. Theoretisch kann man der Illegalität entkommen, indem man eine Aufenthaltsgenehmigung beantragt. Der Spaß kostet aber 4.200 Rubel, und die bürokratische Prozedur kann Wochen, wenn nicht Monate dauern. Und all diese Zeit bist du Freiwild für jede Polizeipatrouille. Und selbst wenn du schließlich das amtliche Papier besitzt, bist du nicht immer vor Behördenwillkür geschützt. Bei einer routinemäßigen Ausweiskontrolle kann es geschehen, daß die Ordnungshüter barsch sagen: »Fälschung«, ohne auch nur einen Blick auf das Dokument geworfen zu haben. Dann heißt es: sofort 300 Rubel Tribut entrichten. Im Polizeirevier kostet es bis zu zehn mal so viel: 100 Dollar. Oder die Abschiebung. Die Räuber in Uniform sind zumeist Polizisten der untersten Dienstränge und stammen selbst aus der Provinz. Ihr Monatslohn reicht nicht für den Familienunterhalt. Manche werden früher oder später von ihren Kollegen aus dem inneren Sicherheitsdienst erwischt. Die Delinquenten werden fristlos entlassen, bisweilen auch vor Gericht gestellt. Aber das Problem wird dadurch nicht aus der Welt geschafft. Typisches Bild eines Gastarbeiters aus Mittelasien: Er arbeitet als Träger auf Märkten oder Bahnhöfen. Für seine Schlafstelle im Wohnwagen zahlt er 50 Rubel täglich, für den gemieteten Handkarren weitere 80 Rubel, hinzu kommen die Beiträge zum »Polizeifonds« (umgerechnet 100 Dollar monatlich je Wohnwagen) sowie die »Versicherungsgelder« für die Landsmannschaft (wenn er stirbt, steht seiner Familie eine bestimmte Summe zu). Ein Drittel der durchschnittlich im Monat verdienten 12.000 Rubel braucht er für das Essen, den Rest nach allen Abzügen überweist er sofort nach Hause. Viele Gastarbeiter haben in der Heimat zehn oder zwölf Kinder, die dort nichts als Arbeitslosigkeit und Elend vor Augen haben. Manchmal treibt die Not sämtliche Einwohner eines mittelasiatischen Dorfes nach Rußland. Seit dem 1. Januar wollen die Moskauer Behörden alle illegalen Immigranten legalisieren. Sie erhoffen sich davon, sie besser unter Kontrolle zu bekommen und höhere Steuern eintreiben zu können. Wird das gelingen? Mal sehen. Vielleicht mit der Zeit – wenn die Gäste sich überzeugen, daß es diesmal keine Falle ist.
Erschienen in Ossietzky 5/2006 |
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