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Unfraglich klar geworden ist auch, daß das Ein-Euro-Jobben eine Zwangsarbeit von der übelsten, weil unter Umständen tödlichen Art ist: Die Medien krähen seit Monaten aufgeregt von der Lebensgefahr im Umgang mit den toten Tieren und breiten sich voll Häme über vormoderne anatolische Toren aus, die eng mit ihren Hühnern zusammen leben; die rüganischen Zwangsarbeiter aber rücken dem verendeten Viechzeug mit dem hochmodernen Schutz durch ein paar Gummihandschuhe und sonst gar nichts zuleibe. Fragen gibt's aber doch noch. Zum Beispiel die, warum die Seuche in deutschen Landen zuerst auf Rügen ausbrach. Wegen der Zugvögel, die fort Station machen? Als die ersten Meldungen über die toten Tiere die Öffentlichkeit erreichten, unterhielt das ZDF einen Tag lang eine Video-Text-Seite über ein Kamera-Team, das im Hubschrauber Rügen überflogen und viele tote Vögel gezählt hatte, viele davon auch unweit der vorgelagerten Insel Riems. Dort befindet sich das Forschungsinstitut für Tierseuchen, in das zuvor Kadaver aus der ganzen Welt geliefert wurden, bei denen man Erreger von hoher Virulenz feststellte. Wer sich in der Gegend ein bißchen auskennt, weiß, daß alle anderen anfänglichen Fundorte entweder in der Nähe oder im unmittelbaren Strömungsbereich der Boddengewässer liegen: Man kann nach Westen an einem Tag von Riems über Ummanz und den Bug zum Eingang des Großen Jasmunder Boddens paddeln, zur Wittower Fähre; nach Osten geht es von Riems zum Ruden. Muß ja alles nichts bedeuten. In den ersten Tagen allerdings wurden weder bei Usedom im Osten noch beim Fischland im Westen tote Tiere gefunden. Das stimmt nachdenklich. Ins Grübeln geraten darf man in diesem Zusammenhang auch darüber, daß die Seuche vor allem bei Höckerschwänen ausbrach, die keine Zugvögel sind, also das Virus aus Osteuropa oder Kleinasien nicht mitgebracht haben können. Fragen wir mal nach ganz was anderem. Nehmen wir an, die Mutation ins Tödliche durch eine Umarmung zwischen Vogelgrippe-Virus und einem den Menschen bedrohenden Influenza-Virus fände statt. Als Möglichkeit angekündigt wird sie uns dauernd. In Labors wird daran gearbeitet, um einen Impfstoff zu entwickeln, wie man uns mitteilt. (Wie sicher sind diese Labors?) Also nehmen wir an, dieses hochgefährliche Virus beginnt zu pandemisieren: Wer kriegt dann das Tamiflu? Im WDR -Talk »Hart, aber fair« am 22. Februar, das Bundesminister Seehofer durch seine Anwesenheit schmückte, wurde die Tamiflu-Vergabe schon mal durchgespielt. Das Zeug lagert an Orten, die derzeit geheimgehalten werden, damit nicht aufgebrachte Schwerkranke in kraftvoll-rebellischen Zusammenrottungen sich seiner bemächtigen können. Im Bedarfsfall wird bei der Vergabe erst das Gesundheitspersonal drankommen – das ist vernünftig. Dann die Katastropheneinsatzkräfte, Feuerwehr und so weiter – einverstanden. Dann Kinder – ja! Und dann? Wer wohl? Na? Die politischen Entscheidungsträger. Noch mal und schön langsam: die politischen Entscheidungsträger. Die müssen nämlich auf jeden Fall übrig bleiben, um zu entscheiden, wer das Medikament bekommt. In der Sendung erhob sich die Frage, wie es denn nun mit der dreißigjährigen Familienmutter sei – keine Antwort. Nur eine Teilnehmerin der illustren Talk-Runde, wo »Eliten« mit »Eliten« talken, war so blöd auszuquatschen, daß sie ihr Tamiflu natürlich längst schon hat, obwohl sie weder Medizinerin noch Kind noch Feuerwehr ist... Am 23. Februar beschloß die Gesundheitsministerkonferenz, im Laufe des Jahres das Medikament für ein Fünftel der Bevölkerung bereitzustellen. Seit November 2005 ist Tamiflu aus den Apotheken verschwunden, übrigens auch in anderen EU-Staaten. Möglich ist, daß so kommerzielle und mafiotische und kommerziell-mafiotische Spekulationen staatlich unterbunden werden. Sicher ist, daß der Staat im Krisenfall seine Bürger als Geiseln nimmt. Zumindest den Teil seiner Bürger, der nicht zu den »Eliten« zählt. Der Staat (wer auch immer das ist) trifft die Unterscheidung – vorerst eine theoretische: hier lebenswertes, da lebensunwertes Leben. Selektion findet statt. Mal wird der selektierende Daumen nach der einen, mal nach der anderen Seite deuten. Werden wir auf der Seite des Lebens Rentner, Sozialhilfeempfänger, Langzeitarbeitslose, unwillkommene Ausländer, Behinderte und derlei Nicht-Leistungsträger der Gesellschaft wiederfinden? Ist ja nur eine Frage.
Erschienen in Ossietzky 5/2006 |
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