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Die kungeln doch nur mit am Regierungstisch, Riester kam ja von der IG Metall, und Müntefering zeigt sich gern mit dem DGB-Chef im Fernsehen. Ja, was soll man tun? Selber was ansparen fürs Alter ist nicht drin, ich hab drei Kinder zu versorgen, und die Älteste will studieren. Da kann man nur hoffen, daß sich der Wind auch wieder einmal in die andere Richtung dreht. Rentengesetze ändern sich ja fast Jahr für Jahr; was in zwanzig, dreißig Jahren gelten wird, weiß doch heute keiner!« Wo der Mann recht hat, da hat er recht: Wie die Rentenwelt um 2030 aussieht, liegt in tiefem Nebel. Die letzte Rentenkürzungsankündigung im Koalitionsvertrag hatte bis zur neuerlichen Verschlechterung keine drei Monate Bestand, und manche Gewerkschaftsvorsitzenden erwarten immer noch das Heil davon, ihr Fähnchen in den stärksten Luftzug zu halten. Doch ein Hoffen auf eine generelle Drehung des Windes ganz allein durch die Laune eines archaischen Wettergottes ist nichts anderes als der auch sonst weit verbreitete Fatalismus, der die Arbeiter-innen und Arbeiter erst recht zu ohnmächtigen Opfern weiteren Lohn- und Rentenraubs macht. Ein lähmendes Warten auf Godot. Die jetzt schon mehrere Jahrzehnte währende Zerschlagung sozialer Rechte der abhängig Beschäftigten auf allen Ebenen ist nicht einem Naturgesetz oder einem großmeteorologischen Klimawandel zuzuschreiben, sie ist Ergebnis einer sehr erfolgreichen Klassenkampfstrategie der Kapitalseite, die den von Generationen erkämpften Klassenkompromiß (»Rheinischer Kapitalismus«) aufkündigte und die Regierungen aller Couleur für ihre neue Strategie der Bruttolohnsenkung zur besseren Gewinnmaximierung gewann. Der bisher größte Coup gelang ihr mit dem Einkauf der Führungsspitzen von SPD und Grünen. Die beiden ehemals als arbeiter- oder emanzipationsfreundlich geltenden Parteien sind so lange von neoliberalen Think Tanks beraten und gesponsert worden, bis sie zum Klassenverrat bereit waren. »Ihr könnt nicht Politik gegen die internationalen Finanzmärkte machen«, verbat sich Joseph Fischer, der Außenminister für deutschen Neoimperialismus, auf einem Grünen-Parteitag jegliche Kritik, und der Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende Gerhard Schröder fertigte Gewerkschaftsdelegierte mit schroffem »Basta!« ab. Heute dürfen die beiden sich aussuchen, ob sie lieber für eine Million Euro jährlich im Aufsichtsrat bei Gasprom sitzen oder eine Professur in den USA annehmen wollen, pro Vortrag für erfolgreichen neoliberalen Systemwandel können sie Honorare zwischen 25.000 und 100.000 Euro erwarten. Mein Friseur und seine vielen Millionen KollegInnen in ähnlichen Arbeitsverhältnissen sollten noch einmal bilanzieren, was allein mit ihren Rentenansprüchen – neben den vielen Abstrichen an ihren Arbeitslosen- und Krankenversicherungsansprüchen – allein in den sieben Jahren unter Rot-Grün geschehen ist: 2000 wurde die bis dahin geltende Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente gestrichen; an ihrer Stelle wurde die »Rente wegen Erwerbsminderung« eingeführt. Eine Rente wegen Berufsunfähigkeit gibt es seither für alle damals unter 40Jährigen nicht mehr. Wer wegen seiner kaputten Bandscheiben nicht mehr Haare schneiden kann, soll sich einen Arbeitsplatz mit Stützstuhl suchen, zum Beispiel als Parkwächter am Supermarkt. Sonst fällt er in die Arbeitslosigkeit mit der Aussicht auf Hartz IV. Auch die wegen Erwerbsminderung gezahlten Renten betragen alles in allem nur noch die Hälfte der früheren Ansprüche. Mit der »Riesterrente« 2001 baute der Staat ins Rentensystem eine zunächst moderate Kürzungssystematik ein, die den Versicherten vorgaukelte, in dreißig Jahren werde das Normal-Rentenniveau von einstmals 69 Prozent des Nettolohnes auf etwa 63 Prozent gesenkt – die Differenz sei aus der parallel dazu aufzubauenden Privatrente leicht und locker auszugleichen. Doch schon 2003/4 folgte als sofort wirksamer Kürzungsmechanismus der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor, wodurch die versprochenen 63 Prozent vom Nettolohn selbst für jene Versicherten nicht mehr gelten, die 45 Jahre lang eingezahlt haben; die Hochrechnungen liegen zur Zeit bei 58 Prozent. Zugleich entfiel die Anrechnung von zuvor bis zu 13 Jahren nichtbetrieblicher Ausbildung. Das Alter, von dem an man ohne Leistungsabschläge in Rente gehen kann, wurde zunächst für alle (auch Frauen, auch Behinderte) auf 65 erhöht, demnächst auf 67, dann wohl auf 70. Da es für Ältere immer schwerer wird, ihren Arbeitsplatz zu behalten, die Jüngeren kaum Chancen haben, gleich nach der Ausbildung eine feste Stelle anzutreten, und viele einer lückenhaften, »flexiblen« Berufskarriere entgegensehen, können immer weniger darauf hoffen, jemals die erforderlichen 45 Einzahlungsjahre vorweisen zu können. Demnach würde für den Großteil der Beschäftigten selbst die minimierte »Vollrente« unerreichbar bleiben; sie müßten – sofern sie sich das weiterhin gefallen lassen – zum Sozialfall werden, denn gerade ihnen wird es kaum möglich sein, eine private Altersversorgung aufzubauen. Der Rentenraub geht der Kapitalseite immer noch nicht schnell genug, die Kosten für Steuern und Soziales sollen möglichst augenblicklich sinken. Und so kürzte Rot-Grün alle bisherigen Zahlungen für Arbeitslose in die Rentenkassen; Berechnungsgrundlage ist nun nicht mehr der frühere Lohn, sondern die Summe der Unterstützungszahlungen. Für HartzIV-Empfänger ist jetzt ein »Bruttolohn« von 400 Euro die Grundlage, sie soll nach den Plänen der Koalition noch einmal halbiert werden. Für alle Geringverdienenden in der Privatwirtschaft mit 400- oder 800-Eurojobs gilt schon länger nur der halbe Beitragssatz. Wer aber derart die Einnahmen der Rentenversicherung mindert, leert die Kassen. Der Staat hat die Rentenkasse pleite reformiert. Und wo nichts mehr ist, muß doch jeder Verständnis dafür haben, daß endlich auch die Ansprüche der heutigen Rentnergeneration beschnitten werden: Zwischen 2003 und 2005 wurden die Renten nicht mehr an die Inflationsraten (zusammen ca. 4,7 Prozent) angepaßt, zusätzlich zog der Staat 1,4 Prozent für Kranken- und Pflegeversicherung ab, das ergab eine reale Enteignung von mehr als sechs Prozent in drei Jahren. Der neue Arbeits- und Sozialminister Franz Müntefering verkündet landauf, landab, daß auch in den nächsten Jahren die Preissteigerungsrate bei der Rentenberechnung unberücksichtigt bleibe. Er behauptet, dafür sei »die Demographie« verantwortlich, was glatt gelogen ist – nach der Methode: »Haltet den Dieb!« Die regierungsamtlich inszenierte Verarmung der gegenwärtigen und zukünftigen Rentnerinnen und Rentner ist nur ein Segment im staatlich flankierten Klassenkampf der Kapitalagenten mit dem Ziel, die Profitraten auf Kosten der Bruttolohnrate zu steigern. Noch darf das Statistische Bundesamt die jeweiligen Anteile am Volkseinkommen publizieren: Danach blieben in den fünf Jahren seit 2000 die Arbeitnehmerentgelte (also die Gesamtlohnquote, woraus auch die Sozialbeiträge resultieren) mit insgesamt nur 2,6 Prozent Zunahme um mindestens zehn Prozent hinter der Preissteigerung und dem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts zurück. Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen legten im gleichen Zeitraum um mehr als 30 Prozent zu. Die Lohnquote (Anteil am Volkseinkommen) war beim Abgang von Rot-Grün 2005 auf den niedrigsten Stand seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland gesunken. Mitbürger wie mein Friseur mögen die Fakten und Zusammenhänge dieser gezielten Verarmungsstrategie nicht einfach nur zur Kenntnis nehmen, weil sie sich sonst nur noch ohnmächtiger fühlen müßten. Allein kann er wenig ausrichten gegen diese integrierte Macht der Bosse aus Kapital und Kabinett einschließlich Meinungsindustrie. Aber muß es denn so bleiben, daß mit den etablierten pseudo-linken Parteien wie SPD und Grüne auch die Gewerkschaftsvorstände immer wieder zu Überläufern degenerieren? Müßten sie nicht – zusammen mit anderen Sozialen Bewegungen, notwendigerweise auch »Zornigen Alten« – endlich wahrnehmen, daß die großen Arbeitgeberverbände seit Jahren kein Interesse mehr an Betriebsfrieden und Klassenkompromiß haben, sondern zum allgemeinen Angriff auf Löhne, Arbeits- und Sozialstandards übergegangen sind und ihre Finanz-Analysten ganz ohne Scham von einer »Klassenkampfdividende« ( Die Welt ) schwärmen? Hierauf weiterhin mit gewerkschaftlichen Defensivstrategien zu reagieren, muß mit neuen Niederlagen enden. Politische und tarifliche Forderungen nach humaner, kürzerer Arbeit für alle bei auskömmlichen Löhnen für alle und nach umfassender sozialer Absicherung für alle müssen branchenübergreifend bundesweit erkämpft werden. Nur so – in breiter Solidarität – würden auch die gegenwärtigen Tarifkämpfe im Öffentlichen Dienst nicht in faulen Kompromissen versumpfen.
Erschienen in Ossietzky 5/2006 |
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