Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Gesetzmäßige ZufälleRalph Hartmann Während des Studiums brachte mir ein wahrer Philosoph bei, daß der Zufall, wo auch immer er sein Spiel treibt, von inneren, verborgenen Gesetzmäßigkeiten beherrscht wird. Daran wurde ich erinnert, als ich Berichte über die unterschiedliche Resonanz las, die der Spielfilm »Grbavica« in einigen europäischen Ländern findet. Nicht daß ich die Verleihung des Goldenen Bären der diesjährigen Berliner Internationalen Filmfestspiele an den Film als »zufällig« abwerten möchte. Nach weitgehend übereinstimmender Meinung der Rezensenten wird dessen dramatische Handlung -- die Geschichte der komplizierten Beziehungen zwischen einer bosnischen Mutter und ihrer Tochter, die erst nach schmerzhaften Konflikten erfährt, daß der ihr unbekannte Vater kein tapferer Kriegsheld, sondern ein übler Vergewaltiger war -- mit Sensibilität, sparsamen Worten und starken Bildern erzählt. Nein, in der Bewertung der cineastischen Qualität ist kein Zufall zu erkennen. Dieser treibt, wie es scheint, anderswo sein Spiel. Doch dazu später. Was die Entstehung des Films anbelangt, sind sich die Medien einig, daß es sich um eine Koproduktion handelt -- um was für eine, wird hingegen unterschiedlich dargestellt. Laut AP ist es ein »bosnischer Film«, laut Spiegel eine »Koproduktion aus Bosnien-Herzegowina, Österreich, Deutschland und Kroatien« und laut Wiener Kurier »eine majoritär österreichische Co-Produktion... der Wiener Coop 99 mit Partnern aus Bosnien, Kroatien und Deutschland«. Weniger verwirrend ist die Beschreibung der politischen Aussage des Spielfilm-Debüts der bosnischen Regisseurin Jasmila Zbanic und des dem Drama zugrunde liegenden Verbrechens. Die Westdeutsche Zeitung stellt heraus, daß »Grbavica« »mit Erfolg und großer Eindringlichkeit« die »systematische Vergewaltigung Tausender Frauen während des Krieges im ehemaligen Jugoslawien« behandelt, und das österreichische Fernsehen ORF meint: »Das berührende Filmdrama thematisiert die Auswirkungen der systematischen Vergewaltigungen bosnischer Frauen durch serbische Soldaten während des Balkankrieges.« Auch der Rezensent im Neuen Deutschland teilt mit: »20.000 Frauen wurden in Bosnien systematisch vergewaltigt: als psychologische Kriegsführung ummäntelt.« Die Täter werden hier allerdings keiner Nation zugeordnet. Das besorgen andere Blätter, zum Beispiel der Tagesspiegel , der betont, daß es während der Belagerung Sarajewos durch bosnische Serben im Stadtteil Grbavica ein Lager gab, in dem »Frauen systematisch vergewaltigt« wurden. Zu lesen ist das in einer Rezension, die von der gut, nur zu gut bekannten Balkankrieg-Spezialistin Caroline Fetscher im Online-Journal des Blattes Justworld besonders empfohlen wird. Und wo Frau Fetscher ist, ist Herr Rathfelder, einstiger Entdecker eines nicht existierenden Massengrabes mit 430 ermordeten kosovo-albanischen Kindern in Orahovac, nicht fern. In der Hannoverschen Allgemeinen spricht der notorische Serbenhasser unter Bezug auf einen bosnischen »Kulturexperten« im Zusammenhang mit dem Film von »Massenvergewaltigungen«. Damit liegt er auf der gleichen Linie wie die österreichische Presse , nach der die Tochter »die Frucht einer Massenvergewaltigung im Gefangenenlager ist«. Der Zagreber Vjesnik schließlich machte den Film gar zum »Tagesthema« und unterstrich, daß er »das Trauma, mit dem nach dem Krieg im Verlauf der serbischen Aggression gegen Bosnien-Herzegowina vergewaltigte Frauen konfrontiert sind ... in den Fokus der Aufmerksamkeit der Welt stellte«. Nun ist letzteres angesichts der turbulenten Ereignisse im Irak und im gesamtem Nahen und Mittleren Osten, in Teilen Afrikas und Asiens sicherlich ein wenig übertrieben, aber mit dem Goldenen Bären für »Grbavica« wurde das während des Bürgerkrieges in Bosnien-Herzegowina bei allen Serbenfressern so beliebte Thema »systematische Vergewaltigung« und »Massenvergewaltigung« moslemischer Frauen durch »entmenschte Serben« wieder einmal aufgerufen. Damit keine Zweifel entstehen: Vergewaltigungen sind abscheuliche Verbrechen. Sie werden in Friedenszeiten begangen, und ihre Zahl schnellt in die Höhe, wenn der Krieg alle moralischen Schranken niederreißt. Vergewaltigungen gab es auch im Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina. Verübt wurden sie jedoch, wie offizielle Ermittlungen der EG und der UNO ergaben, von Militärs und Paramilitärs aller Seiten und keineswegs in der Häufigkeit und mit der Systematik, wie sie damals in einer beispiellosen antiserbischen Hetzkampagne behauptet und während einer Sonderdebatte des Deutschen Bundestages im Dezember 1992 gar als »Teil eines geplanten Völkermordes« bewertet wurden. Jetzt also ist das Thema mit dem Film »Grbavica« wieder einmal in den Blickpunkt gerückt worden. Mit welcher Absicht, machte die Regisseurin Zbanic selbst deutlich, als sie mit dem Goldenen Bären in der Hand erklärte: »Ich möchte diesen Anlaß nutzen und uns alle daran erinnern, daß ... die Kriegsverbrecher Radovan Karadzic und Ratko Mladic noch immer frei in Europa leben. Sie wurden nicht für die Vergewaltigung von 20.000 Frauen in Bosnien, für die Ermordung von 100.000 Menschen und für die Vertreibung von Millionen Bürgern aus ihren Häusern ergriffen.« Angesichts dieser Erklärung und des Medienechos in den EU-Ländern nimmt es nicht Wunder, daß die Belgrader Politika in der Preisverleihung eine »politische Botschaft an die Welt« sieht und die Vecernje Novosti von einer »durchsichtigen politischen Entscheidung« der Jury spricht, wohingegen einer der besten Filme, »The Road to Guantanamo«, »im Wunsch, den Amerikanern nicht wehzutun, den Trostpreis für die beste Regie erhielt«. Aus der Sicht der Belgrader Medien ist diese Reaktion nicht zufällig, sie ist gesetzmäßig. Auf einige Zufälle gehen sie nicht einmal ein: weder auf die Tatsache, daß der Film laut AP »mit massiver österreichischer und deutscher Unterstützung« produziert wurde, also mit Hilfe aus den Ländern, die im Bürgerkrieg an der Spitze der antiserbischen Kampagnen standen, noch auf den Umstand, daß die Preisverleihung mit dem neuerlichen erpresserischen Druck auf Serbien zur Auslieferung von Mladic und Karadzic als conditio sine qua non für ein EU-Assoziierungsabkommen zusammenfiel. Unerwähnt lassen sie auch, daß die überraschende Auszeichnung des bosnisch-östereichisch-deutsch-kroatischen Films auf den Tag genau am Vorabend des Beginns der Verhandlungen über den zukünftigen Status Kosovos erfolgte, die nach den Brüsseler Planungen zur Abtrennung des von der NATO okkupierten Gebietes vom serbischen Staatsgebiet führen sollen, womit, so die CDU-Europaparlamentarierin Doris Pack, das serbische Volk genau so bestraft würde wie das deutsche für die Verbrechen Hitlers. Natürlich, das alles sind Zufälle, aber, wie schon gesagt, in ihnen verbergen sich Gesetzmäßigkeiten. Im vergangenen Jahrhundert führte Deutschland dreimal Krieg gegen Serbien (der hitlersche war der zweite), und jedesmal gehörte Greuelpropaganda zur Kriegsführung, auch nachträglich zu deren Rechtfertigung. Wer fragte dann noch nach deutschen Verbrechen, vor allem dem abscheulichsten: dem Angriffskrieg?
Erschienen in Ossietzky 5/2006 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |