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P wie PaechIn einer aktuellen Stunde hat der Deutsche Bundestag über ein Thema diskutiert, das unter einem Mangel an öffentlicher Beachtung durchaus nicht leidet: die Reaktionen auf den karikierten Propheten. Den Parlamentariern ist dazu offenbar nichts Nennenswertes eingefallen, mit einer Ausnahme; und über die berichtet abfällig Spiegel online , das Internetorgan für politische Korrektheit im Sinne der ganz großen Koalition: Da hätten Abgeordnete aus diesem breiten Parteienspektrum schnell erst einmal in ihrem Bundestagshandbuch nachgeblättert, unter »P«, als ein Redner aus der Fraktion der Linkspartei die Meinung vertrat, die aufgebrachte Stimmung in moslemischen Ländern könne tiefere Gründe haben, so etwa den Zorn über die Kriege gegen Afghanistan und den Irak oder über einen möglichen Militärschlag auch gegen den Iran. Wer denn der Norman Paech eigentlich sei, der so etwas vorträgt, wollten die Kollegen wissen; und was sie von dessen Argument zu halten haben, gab ihnen nachher Spiegel online zu verstehen: Um eine »krude These« habe es sich da gehandelt. Also, ins Deutsche übersetzt: um argumentative Rohheit. Die Zeitschrift Ossietzky aber hofft auf weitere Kruditäten ihres Autors bei seinen parlamentarischen Auftritten. Red.
Der Lord, der zum Krieg hetztArnold Schölzel zitierte in Ossietzky 3/06 den Kolumnisten der Springer-Zeitung Die Welt , George Weidenfeld, der in der Ausgabe vom 25. Januar das gegenwärtige Regime des Iran als ein »tödliches Elixier des Teufels« bezeichnete und sich – mit einem deutlichen Lob für die Drohung des französischen Präsidenten Chirac, im Falle einer Gefahr auch Atombomben einzusetzen – zu den Sätzen verstieg: »Gibt es eine Lösung ohne den Willen, bis zum äußersten zu gehen, bevor Kernwaffen von der iranischen Führung bestenfalls als Erpressungsmittel, aber sehr wahrscheinlich auch für einen militärischen Einsatz genutzt werden? Das Risiko einer militärischen Intervention könnte zwar Opfer in Größenordnungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs mit sich bringen, doch der Triumph des islamistischen Terrors würde an Gräßlichkeit alles überbieten, was uns die Weltgeschichte vermittelte.« Das war – wie sollen wir es anders verstehen? – Aufstachelung zum Angriffskrieg. Der Autor und die Redaktion der Welt , die ihm dafür das Forum bot, verstießen damit gegen das Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland: »Wer im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) zum Angriffskrieg (§ 80) aufstachelt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.« Grundlage ist Artikel 26 des Grundgesetzes: »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.« Wer ist der Schreiber der Welt- Kolumne? George Weidenfeld, geboren 1919 in Wien, 1938 nach Großbritannien emigriert, gründete 1948 mit Nigel Nicholson den Verlag Weidenfeld & Nicolson, heute eines der größten britischen Verlagshäuser, das unter anderem Speers Memoiren herausbrachte. 1949/50 beriet er den israelischen Präsidenten Weizmann. 1969 wurde Weidenfeld in den britischen Ritterstand erhoben, seit 1976 gehört er als Lord dem Oberhaus an. Er ist Mitglied der Jerusalem Foundation, der Herbert Quandt Foundation und Aufsichtsratsmitglied verschiedener Unternehmen, Träger des Order of the British Empire, des deutschen Bundesverdienstkreuzes und weiterer Orden. Als er 1997 Ehrensenator der Universität Bonn wurde, sprach Bundeskanzler Kohl die Laudatio. Zudem ist Lord Weidenfeld Ehrenmitglied des »Weltethikrates« des 2003 in Frankfurt am Main konstituierten, von der Deutschen Bank unterstützten »Institute for Corporate Cultural Affairs« (auch der Autor von »Kampf der Kulturen«, Samuel Huntington, gehört dem »Weltethikrat« an). Von den vielen weiteren Funktionen seiner Lordschaft sei wenigstens noch eine erwähnt: Er ist Fellow des »Centrums für angewandte Politikforschung«, das von Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung, geleitetet wird. Der Fernsehsender 3sat schilderte Lord Weidenfeld einmal als »genialen Netzwerker«: »Berühmt sind seine regelmäßigen ›George Dinners‹, zu denen er in seiner Londoner Wohnung am Themse-Ufer mehrmals im Monat Persönlichkeiten aus allen Lebensbereichen versammelt und internationale Verbindungen pflegt.« Als dieser ständige Kolumnist der Welt am 11. April 2003, nachdem die USA ihren völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak begonnen hatten, im Wiener Rathaus das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien erhielt, sprach er von einem »wichtigen Tag« in seinem Leben – vor allem deshalb, weil an ihm ein »übles Regime, das irakische Regime« zu Ende gehe. Kann der Kolumnist, Verleger und »geniale Netzwerker« auch jetzt wieder die Erfüllung seiner Wünsche erwarten? Michel Chossudovsky, Professor für Ökonomie an der Universität Ottawa und Direktor des »Center for Research on Globalization«, warnte dieser Tage vor der realen Gefahr eines Angriffskriegs gegen den Iran: »Diejenigen, die entscheiden, sind von ihrer eigenen Kriegspropaganda geblendet. Zu Luftangriffen mit taktischen Kernwaffen gibt es einen politischen Konsens in Westeuropa und Nordamerika, ohne daß die verheerenden Folgen in Betracht gezogen würden.« Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Radio MaryjaDes obskure Sender Radio Maryja des Redemptisten-Paters Tadeusz Rydzyk mit seinen Zeitungen und Zeitschriften und seiner Zehn-Millionen-Gemeinde hatte bisher als politisch-parlamentarisches Instrument die rechtsextreme Liga Polnischer Familien (LPR). Nachdem aber der gerade gewählte Präsident Lech Kaczynski dem Pater öffentlich für die von Radio Maryja geleistete Wahlunterstützung gedankt hat, wandelt sich die Rolle des Senders. Von einem massenwirksamen, aber vom hohen Klerus mißtrauisch beäugten, weil ihm nicht untergeordneten Sender wurde Radio Maryja über Nacht zum Sprachrohr des Staates, ohne daß sich am Inhalt der Sendungen das geringste änderte. Hatte Rydzyk im Vertrauen auf seine faktische Unantastbarkeit schon bisher keine Steuern gezahlt, so wurden sie ihm nun offiziell erlassen; er genießt einen privilegierten Status. Neben dem Rundfunk und den Printmedien konnte er endlich den lange geplanten Fernsehsender Trwam einrichten. Und Trwam erhielt auch sofort das Vorrecht, als einziger Sender den Abschluß der Verhandlungen der regierenden Partei »Recht und Gerechtigkeit« mit der »Liga Polnischer Familien« und der bäuerlichen »Selbstverteidigung« über einen sogenannten Stabilitätspakt zur Tolerierung der Minderheitsregierung filmen zu dürfen. Karol Mania
Den Wirtschaftsteil lesen!Repräsentanten des Staates, der staatstragenden gesellschaftlichen Organisationen und der staatsbürgerlichen Bildung in der Bundesrepublik klagen von Zeit zu Zeit über den »Demokratieverdruß« hierzulande – allzu viele Bürger-Innen seien fälschlicherweise von dem Gedanken besessen, die große Politik spiele sich als vertrauliche Kungelei ab, hinter dem Rücken der demokratischen Öffentlichkeit. Ein realitätsfernes Gemurre? Die Süddeutsche Zeitung (Nr. 35/2006) berichtet: »Als Bundesfinanzminister Peer Steinbrück den Neujahrsempfang der SPD-Bundestagsfraktion im Reichstagsgebäude verließ, murmelte er etwas von einem ›wichtigen Termin‹, den er an diesem Abend noch zu absolvieren habe. Was für ein Termin? ›Es gibt Termine, über die man nicht spricht‹, antwortete der Sozialdemokrat und verschwand in der naßkalten Nacht. Sein Ziel war eine Herrenrunde im feinen Hotel Adlon, das nur wenige hundert Meter entfernt liegt. Mit am Tisch saßen zwei amtierende Bundesminister und ein ehemaliger Bundesminister. Dazu ein ehemaliger Kanzler: Gerhard Schröder. Offiziell war der Termin als privates Abendessen deklariert. Doch es war klar, daß es auch um sehr viel Geld gehen würde. Bei Rotwein und Zigarren wollte Werner Müller, bis 2002 Ressortchef für Wirtschaft im ersten Kabinett Schröder, mit seinem Nachfolger Michael Glos (CSU) und Steinbrück über ein miliardenschweres Geschäft reden: den Börsengang des Essener Energie- und Chemiekonzerns RAG. Müller führt seit Mitte 2003 als Vorstandsvorsitzender dieses Unternehmen mit 100 000 Beschäftigten, das einst als Ruhrkohle firmierte. Schon sein damaliger Wechsel in die Industrie hatte eine Debatte darüber ausgelöst, was Politiker dürfen, wenn sie sich nach ihrer Amtszeit einen neuen Job suchen. Darf einer wie Müller, der einst die Energiebranche kontrollierte, nach nur kurzer Schonzeit in eben diese Branche wechseln? Immerhin hat die RAG indirekt auch von einer Ministererlaubnis profitiert, die Müllers Ministerium einst gewährt hat. Und nun unterstützt der Rechtsanwalt Schröder seinen Freund und einen einstigen Minister bei einem Geschäft, welches er als Kanzler selber befördert hat...« Wir zitieren dieses journalistische Sittengemälde so ausführlich (und würden, wenn der Platz in unserem schmalen Heft es zuließe, gern auch auf weitere Einzelheiten eingehen, etwa die Rolle des Schröder-Vertrauten und früheren Staatssekretärs bei Minister Müller, Alfred Tacke, der Vorstandsvorsitzender der RAG-Tochterfirma Steag AG wurde, nachdem er die Ministererlaubnis für die Übernahme von Ruhrgas durch den e.on-Konzern gegeben hatte), weil wir nicht sicher sind, daß an Feinheiten politischer Entscheidungsvorgänge interessierte Zeitungsleser auch dort nachschauen, wo dieser Bericht zu finden war: im Wirtschaftsteil. Apropos: Wolfgang Clement, früherer nordrhein-westfälischer Ministerpräsident und dann nach Werner Müller, vor Michael Glos Bundeswirtschaftsminister, übernimmt einen Aufsichtsratsposten bei der zum RWE-Konzern gehörenden Power AG, und zwar den sogenannten neutralen, der von Unternehmensleitung und Arbeitnehmervertretern einvernehmlich besetzt wird. Die Energiekonzerne als Versorgungsunternehmen für Politiker? Stamokap? Oder was sonst? A.K.
Schwäbische BefindlichkeitenEnde März wird in Baden-Württemberg ein neuer Landtag gewählt. Und wie ist die Stimmung im Ländle? Was wünscht sich der biedere Schwabe im Jahr 2006? Mein Bruder berichtete mir vom Stammtisch eines Schützenvereins in einer Kleinstadt östlich von Stuttgart. In der Vergangenheit erörterte man dort die angeblichen Vorzüge der Partei »Die Republikaner« oder schwadronierte über Asylanten. Die Themen haben sich geändert. Jüngst unterhielten sich die grundsoliden Schützenbrüder, meist Facharbeiter, lange über die Unmöglichkeit, heutzutage eine gutbezahlte Vollzeitstelle zu finden. Sie sprachen über die Zwangsversteigerungen von neuerbauten Häusern, deren arbeitslos gewordene Besitzer nicht mehr in der Lage waren, die Raten abzuzahlen. Einer erzählte von seinem Freund, einem EDV-Fachmann, knapp über vierzig Jahre alt, der ständig wegen seines »hohen Alters« Absagen auf Bewerbungen erhält. Und am Ende fiel ein Satz, der früher den Sprecher zum Paria gestempelt hätte, diesmal aber auf Beifall stieß: »Wir brauchen mal wieder eine RAF!« Das also wünscht sich der biedere Schwabe im Jahr 2006. Stefan Hug
Einer aus der RésistanceAuch solche deutsche Lebensläufe gibt es (nicht viele): Jüdische Volksschule, kaufmännische Lehre, Aktivitäten in der Gewerkschaftsjugend und im Kommunistischen Jugendverband, dann 1933 im Widerstand, nach einigen Monaten Haft Emigration nach Frankreich, 1936 in Paris Mitbegründer der »Freien Deutschen Jugend«, Eintritt in die Exil-KPD, nach der hitlerdeutschen Besetzung Frankreichs in der Résistance, von der Gestapo verhaftet und gefoltert, nach der Flucht erneut im Widerstand, Frontbeauftragter des Komitees »Freies Deutschland« bei einer französischen Militäreinheit, schließlich bei den italienischen Partisanen. Nach Kriegsende Rückkehr nach Frankfurt am Main, aktiv in der KPD, später in der DKP, unentwegter Mitstreiter in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten – aufmerksam zuhörend und mit heller, klarer Stimme debattierend in großen Sälen oder an kleinen Informationsständen. Die Rede ist von Peter Gingold, der am 8. März 90 Jahre alt wird. Aus diesem Anlaß wird eingeladen zu einem Treffen am 10./11. März im Frankfurter Gewerkschaftshaus, Thema: »Résistance, internationale Solidarität, sozialistischer Zukunftsentwurf«, Anmeldungen an Horst Gobrecht, Jahnstraße 8, 65185 Wiesbaden. Über die Geschichte von Peter Gingold und seiner Frau Ettie wird berichtet in dem Buch von Karl Heinz Jahnke, »Sie haben nie aufgegeben«, Verlag Pahl-Rugenstein Nachf., ISBN 3-89144-255-6. Red.
Naturgemäß zusammengesetztMit Brecht kann man, wie Besucher des Berliner Ensembles wissen, so oder so umgehen. Mit Tucholsky auch. Das zeigt das BE mit seinem Abend »Wir Negativen«. Brigitte Rothert, letzte Überlebende aus der Familie Tucholsky, Ossietzky -Lesern durch manchen Beitrag bekannt, besuchte die Aufführung und schrieb danach höflich an den Intendanten Claus Peymann, sie »zweifle etwas daran, ob der Abend in der Auswahl der Texte unserer politischen Gegenwart und dem engagierten Tucho entsprach«. Antwort der Dramaturgie: »Ihre Einwände, was die ›politische Gegenwart des engagierten Tucho‹ angeht, verstehe ich – teile ich aber naturgemäß nicht.« Naturgemäß – das erinnert an Tucholskys Lied aus der Zeit nach der gescheiterten November-Revolution mit dem bitteren Refrain: »Wir kehren langsam zur Natur zurück.« Ernst Busch sang es einst voller Ironie am Schluß als zackigen Marsch. Brigitte Rothert machte auf Fehler im Umgang mit einzelnen Texten aufmerksam – keine Antwort. Sie wies auf die nach neuerer Forschung falsche Datierung des sogenannten Abschiedsbriefs an Mary Tucholsky hin. Antwort: »Wir haben es uns so zusammengesetzt, wie es manche, z.B. Herr Raddatz (Kurt Tucholsky, Ausgewählte Briefe, Hamburg, 1978) interpretieren.« Der Intendant, so durfte Brigitte Rothert dem Antwortbrief noch entnehmen, sei von dem Abend »total begeistert« gewesen. Das hat dem Publikum wohl zu genügen. Wie beklemmend aktuell Tucholsky-Texte 70 Jahre nach dem Tod des Dich-ters wirken können, hatten Gisela May, Ilja Richter und andere Bühnenkünstler Anfang November in einer Matinee des Deutschen Theaters Berlin demonstriert. Und im Januar hatte in Minden (Westfalen) »KurtT« Premiere, eine eindrucksvolle Produktion der »Tucholsky-Bühne«, die dort im Umfeld der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule entstanden ist. Im Herbst wird sie in Berlin gastieren. Brigitte Rotherts Anregung, die Mindener ins Theater am Schiffbauerdamm einzuladen, lehnte das BE im Stil höchstmöglicher Borniertheit ab. »Wir kehren langsam zur Natur zurück. Das ist ein Glück ...« E.S.
Struktur-BarbarenErstens gefiel mir an »Meuterei vor Troja« der Titel. Zweitens der Untertitel »Die Schilderung eines Krieges, der sich vielleicht genau so zugetragen hat«. Drittens ist der Autor ein gewesener NVA-Militär mit friedensbewegter Gegenwart. Viertens hält er mit der Wahrheit über den Krieg nicht hinterm Berg. Fünftens fiel diese lobenswerte Besonderheit vor mir schon dem Nürnberger Kapitalwahrsager Robert Kurz auf, der dem trojanischen Tatsachenroman vier Seiten Nachwort beisteuerte, die ich zum Abdruck und zur Lektüre nur wärmstens empfehlen kann. Sechstens enthält das Buch einen Sack voll Kunstverstand, Geschichtswissen, Technikverständnis, Sprachliebe und jene Szenen einer unfaßbaren, von Menschen lustvoll betriebenen Barbarei, die wir von heutigen Kriegen her besser kennen, als uns lieb sein kann. Scheißwissenschaftlich ausgedrückt waren diese Kämpfer zu Trojas Zeiten schon genauso blutrünstig, stinkverlogen, vater- und muttermörderisch wie die heutigen Kriegskameraden. So etwas nennt man kulturstrukturalistisch. Wer das liest, tut sich den Gefallen, danach besser zu wissen, warum man absolut dagegen ist. G. Z.
Gerd Bedszent: »Meuterei vor Troja«, trafo verlag Berlin, 250 Seiten, 17.80 ISBN 3-89626-478-8
Walter Kaufmanns LektüreDies ist eine gute Biographie. Und fesselnd ist sie auch. Reinhard Krumm, Historiker und Slawist, der 1991 als freier Journalist nach Rußland ging, ist dem Leben Isaak Babels mit viel Spürsinn nachgegangen. Er sprach mit Zeitzeugen, suchte Babels Lebensorte auf und fand Dokumente, die bislang nie ausgewertet wurden. Er hat es verstanden, den Mann in seine Zeit zu setzen – die Jahre, in denen Babels Bücher weltweites Echo fanden: 1926 bis 1939. Jahre des Aufbruchs waren es, sowjetische Jahre der Hoffnung und Gewalt. Wir erleben Babel im Odessa seiner Kindheit und Jugend, in Petersburg, wo sein literarischer Stern aufging, in Kiew, wo er der Arbeitswelt am nächsten kam, im pulsierenden Moskau des Umbruchs – und im Ausland, in Sorrent, wo er Gorki aufsuchte, in Paris, wo seine erste Frau und Tochter verblieben waren. Auch im Berlin der zwanziger Jahre begegnen wir ihm und in London. »Geschichten aus Odessa«: Wie doch die von Babel gestaltete Welt kraftvoller, selbstbewußter Juden sich abhebt gegen das gebrochene Dasein der Juden Galiziens, das in »Budjonnys Reiterarmee« gezeigt wird. Es hat, so lesen wir, Babel zerrissen, daß Budjonnys Kosaken im polnischen Krieg die Juden nicht weniger grausam behandelten als zuvor die Polen – für den jüdischen Chronisten, der zum Sowjetstaat Ja gesagt und sich der Reiterarmee angeschlossen hatte, war das eine einschneidende Erfahrung. Nicht von ungefähr wird in der Biographie die Erzählung vom »Sohn des Rabbis« hervorgehoben, jene ergreifenden Zeilen über einen jungen Juden, der für die Revolution starb: »Er starb, der letzte Prinz, inmitten von Gedichten, Amuletten und Lumpen... und ich war bei meinem Bruder geblieben, bis zu seinem letzten Atemzug.« Und ehe es in der Biographie zu Babels letztem Atemzug kommt – in der Nacht zum 27. Januar 1940 wird er nach bestialisch erzwungenen Geständnissen auf Befehl Stalins erschossen –, erfahren wir von einem Tatbestand, der all jenen zu denken geben muß, die in der Annahme waren, Babels Werk beschränke sich im wesentlichen auf die »Geschichten aus Odessa« und »Budjonnys Reiterarmee«. Bei seiner Verhaftung beschlagnahmten die Schergen des NKWD mehr, als Babel je veröffentlicht hatte. Fünfzehn Ordner mit Manuskripten, elf Ordner mit vollgeschriebenen Kladden, sieben Ordner mit Aufzeichnungen – die sämtlich bis heute verschollen sind. Daran erinnert zu haben, daß Babel nicht nur meisterlich schreiben konnte, sondern auch, seinem unsteten Leben zum Trotz, höchst produktiv war, bleibt von größter Bedeutung. Wo sind sie, all seine Werke, die wir nicht kennen? W. K .
Reinhard Krumm: »Isaak Babel –Schreiben unter Stalin«, Eine Biographie, Books on Demand, Norderstedt, 244 Seiten, 13.30
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Termine1 9.2., 11 Uhr Paderborn, Kulturwerkstatt: »Vom Konflikt um Karikaturen zum Kampf der Kulturen« mit Wolf Aries, Arno Klönne, Engin Saket 23.2., 19 Uhr Berlin, Haus der Demokratie und Menschenrechte: »Zwangsarbeiterentschädigung – alles erledigt?«, Republikanische Vesper mit Thomas Kuczynski, Günter Saathoff u.a. Dietrich Kittners Tournee-Termine: 18.2., 20 Uhr Wuppertal (Forum Rex), 24.2., 19.30 Uhr Leipzig (Haus Leipzig), 25.2., 19.30 Uhr Chemnitz (Rotes Haus), 26.2., 19.30 Dresden (Haus der Begegnung), 1.3., 18 Uhr Bernburg (Metropol-Theater) Red.
Press-KohlTorsten Wahl ( Berliner Zeitung ) hat her- ausgefunden: »Es ist nun schon über 15 Jahre her, daß das greise SED-Politbüro aus der ummauerten Wandlitzer Waldsiedlung ausziehen mußte. Doch noch immer gibt es Leute, die beharrlich die allerletzten Spuren von Honecker und Co. sammeln und verwerten: Thomas Grimm und seine Firma Zeitzeugen TV beliefern seit Jahren die Fernsehsender...« Und die Zeitungen lassen sich so oder so über Thomas Grimm und seine Firma aus. Damit sind wir wieder bei Herrn Wahl. Der schaute »Hinter die Kulissen der Macht«, welche Zeitzeuge Grimm ein bißchen beiseite geschoben hatte (der pfiffige Kulissenschieber), damit man Macht und Machthaber besser sehen kann. Diese werden »durch Aussagen der Bediensteten der Politbüro-Mitglieder«, also aus der Erinnerung der Kellner, blitzartig grell beleuchtet. Über die Zustände auf einer Ostsee-Insel erfahren wir: »Honecker badete gern nackt, die Badehose zog er allerdings unter Wasser aus. Außerdem mußten täglich frische Brötchen aus dem 300 Kilometer entfernten Wandlitz auf die Insel geschafft werden«, wo sie Honecker, nachdem er seine Badehose selber unter Wasser ausgezogen hatte, persönlich verspeiste und zwar, ihrer Frische wegen, über Wasser. »Der Stuart berichtete, wie er Margot und Erich Honecker auf der Ostseeinsel Vilm Kaffee und Kuchen an den Strand brachte.« Hoffentlich hat sich der Steward, den Wahl offenbar genealogisch auf Maria Stuart zurückführt, dabei nicht verhoben. Sonst könnte er jetzt unter einem Leistenbruch leiden. * Der unentbehrliche Ratgeber für alle Fährnisse des Lebens rettet uns jetzt aus sämtlichen irdischen Nöten. Der Eichborn Verlag inseriert: »Christian Ankowitsch, Dr. Ankowitschs Kleines Universal-Handbuch, 176 S. Unentbehrlicher Rat für alle Fährnisse des Lebens. Wie rettet man ein versalzenes Essen? Oder wie befreit man sich aus einem sinkenden Auto?« Vielleicht erfährt man sogar, wie man in einem Berliner Auto einen versalzenen Hamburger versenkt. Und das alles für 14 Euro 95! Endlich! Danke! Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 4/2006 |
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