Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Begegnungen mit KaulHeinrich Hannover Friedrich Karl Kaul, der Schrecken bundesdeutscher Richter und Staatsanwälte, wäre am 21. Februar hundert Jahre alt geworden. Er gehörte zu den rassisch und politisch unerwünschten Antifaschisten, die nach dem Zusammenbruch des Hitler-Reichs aus dem Exil zurückkehrten und in der DDR das bessere Deutschland sahen. Selbst seine Feinde aus dem westlichen Lager des kalten Krieges, die ihn in diskriminierender Absicht gern als »Staranwalt der DDR« oder als »SED-Anwalt« bezeichneten, konnten seine Qualitäten als kompetenter und eloquenter Verteidiger in politischen Strafverfahren gegen Kommunisten und andere Linke sowie als engagierter Nebenklagevertreter in Prozessen gegen Naziverbrecher nicht bestreiten. Ich habe ihn bei Gelegenheit des Düsseldorfer Prozesses gegen führende Persönlichkeiten des Friedenskomitees der Bundesrepublik Deutschland (November 1959 bis April 1960) kennen gelernt, in dem es um die antikommunistisch motivierte Kriminalisierung der Friedensbewegung ging. Sein Beitrag zur gemeinsamen Verteidigertätigkeit, an der auch die Kollegen Walther Ammann (Heidelberg), Diether Posser (Essen) und der britische Kronanwalt D.N.Pritt (London) mitwirkten, war beeindruckend. Das galt nicht nur für sein vehementes Auftreten vor Gericht, sondern auch für die mit einem Großverfahren verbundene organisatorische Hintergrundarbeit. Kauls Mitarbeiterstab hatte, wohl auch zum Schutz vor amtlichen Mithörern, ein ganzes, nicht sehr großes Hotel gemietet, in dem ein mit allem nötigen Arbeitsmaterial ausgestattetes Büro eingerichtet worden war, wo wir uns täglich zur Vor- und Nachbereitung der Verhandlungen versammelten – eine für ein Verfahren dieses Umfangs und dieser Bedeutung notwendige logistische Investition, wenn man wenigstens annähernd Waffengleichheit mit der Staatsanwaltschaft und deren Zuträgern herstellen wollte. Was war das für eine Zeit, in der eine sozialistische Weltmacht und deren deutscher Ableger keine Kosten scheuten, um auch auf juristischem Felde für die Erhaltung des Weltfriedens zu kämpfen. Den in antikommunistischer Engstirnigkeit befangenen Richtern konnte allerdings die Mitwirkung eines kommunistischen Verteidigers und die aufwendige Ladung von Zeugen aus aller Welt nur als Indiz dafür erscheinen, daß die von den Angeklagten repräsentierte Friedensbewegung ein hinterhältiges kommunistisches Unternehmen war, um das christliche Abendland der von Adenauer verkündeten Gefahr aus dem Osten wehrlos preiszugeben. Kauls angebliche Abhängigkeit von der SED war denn auch das immer wiederholte Scheinargument, mit dem man sein Auftreten vor bundesdeutschen Gerichten zu behindern oder ganz zu verhindern versuchte. Auch im Friedenskomitee-Verfahren konnten wir diese Umsetzung antikommunistischer Feindseligkeiten in juristisch verbrämte Prozeßentscheidungen hautnah miterleben. So etwa als die Vernehmung eines von uns an Gerichtsstelle präsent gestellten Zeugen mit einer Begründung abgelehnt wurde, die davon ausging, daß man schon wisse, was ein in der DDR wohnhafter, von Kaul gestellter Zeuge sagen würde. Sicher war Kaul als politischer Mensch prinzipiell solidarisch mit der SED-Führung, aber als Anwalt ein auch für diese mitunter durchaus unbequemer, eigenwilliger Opponent. So war er Ansprechpartner für Westkollegen, wenn es um die Freilassung oder den Austausch von Gefangenen ging. Und er scheute sich auch nicht, der Parteilinie nachdrücklich zu widersprechen, etwa als Gegner der Todesstrafe oder in der Frage der Zusammenführung von Republikflüchtlingen mit ihren zurückgelassenen Kindern. Wenn von Kauls Persönlichkeit die Rede ist, muß man sich an Schillers Satz erinnern »Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt schwankt sein Charakterbild in der Geschichte«. Daß ihn Richter und Staatsanwälte nicht mochten, denen er mit vollendeter Höflichkeit und in kunstvoller dialektischer Verpackung die größten Unverschämtheiten sagen konnte, ist kein Wunder. So soll er einem Bundesrichter, der ihn fragte, ob er dem Gericht vorsätzliche Rechtsbeugung vorwerfen wolle, entgegnet haben: »Natürlich vorsätzlich! Ich würde es niemals wagen, einem Bundesrichter Fahrlässigkeit vorzuwerfen.« Einmal soll Kaul sein Plädoyer von einem Platz im Zuschauerraum aus gehalten und die Aufforderung, sich auf den Verteidigerplatz zu begeben, so beantwortet haben: »Zeigen Sie mir den Paragrafen, der mir verbietet, von hier aus zu sprechen!« Verbürgt ist folgende Geschichte: Auf die Bemerkung eines Staatsanwalts, er sehe dem Rechtsmittel der Verteidigung mit Ruhe entgegen, antwortete Kaul: »Ich weiß, mit Karls-Ruhe.« Es war immer ein intellektuelles Vergnügen, seinen schlagfertigen rhetorischen Eskapaden zuzuhören. Richter und Staatsanwälte mögen sie weniger geschätzt haben. Aber auch bei Gesinnungsgenossen, die ständig mit ihm zu tun hatten, erfreute er sich nicht ungeteilter Beliebtheit. Sein Umgang mit Mitarbeitern und Kollegen soll nicht immer angenehm gewesen sein. Auch seine Reisefreiheit, sein westlicher Lebensstil und sein Ford-Mustang stießen sicher auf Kritik und Neid. Aber das tat seiner Popularität beim Fernsehpublikum der DDR keinen Abbruch. Er war der Mann, an den man sich in Rechtsfragen wenden konnte. Und er hat vielen geholfen. Seine von Selbstbewußtsein und Temperament strotzende Persönlichkeit gaben Anlaß zu vielen Anekdoten und wahren Geschichten, zu deren Verbreitung er selbst gern beitrug. Die folgende Geschichte erzählte er, als wir nach einem leidenschaftlichen Vortrag über faschistische Judenverfolgung, den er vor fasziniertem jungem Publikum in einem Bremer Szene-Lokal gehalten hatte, noch in kleiner Runde beim Bier zusammensaßen: Er sei zu einem Ortstermin in der DDR mit dem Gericht und dem Staatsanwalt vor einer Dorfkirche verabredet gewesen und habe dort lange Zeit vergeblich auf die Prozeßbeteiligten gewartet. Schließlich habe er einen Jungen gefragt, ob es in diesem Dorf noch eine weitere Kirche gebe. Der habe ihn angeschaut, in ihm den Autor einer in der DDR beliebten Fernsehsendung erkannt und mit deren Titel geantwortet: »Fragen Sie Professor Kaul.« Ich höre noch sein dröhnendes Lachen. Annette Rosskopf hat im Rahmen ihrer Promotion eine sorgfältig recherchierte und ziemlich gerecht abwägende umfangreiche Biografie über Kaul geschrieben, der viele Leser zu wünschen sind. Die riesigen Archivbestände über seine anwaltliche und publizistische Tätigkeit konnte die Autorin freilich nur zu einem Bruchteil auswerten. Eine weitere Doktorarbeit eines Erfurter Kollegen soll schon im Entstehen sein. Kaul sollte auch als Buchautor nicht in Vergessenheit geraten. Von seiner »Geschichte des Reichsgerichts« ist leider nur der die NS-Zeit betreffende Band fertig geworden, eine erschütternde Dokumentation der Mittäterschaft konservativer Richter und Staatsanwälte an der Unrechtsjustiz des deutschen Faschismus. Auch seine Mitwirkung an Prozessen gegen Nazigewaltverbrecher hat Kaul in zahlreichen Broschüren dokumentiert. Sehr unterhaltsam und leicht zu lesen sind seine Bücher über sensationelle Justizfälle in der Weimarer Republik und der davor liegenden Zeit (»So wahr mir Gott helfe«, »Von der Stadtvogtei bis Moabit«, »Justiz wird zum Verbrechen«, »Verdienen wird groß geschrieben« und »Es knistert im Gebälk«), die nicht nur ungemein spannend geschrieben sind, sondern auch ein historisch getreues gesellschaftskritisches Bild der Justiz und ihrer Opfer bieten. Wann entdeckt ein findiger Verleger diese längst vergriffenen Schätze? Kaul hat mir im Laufe unserer langjährigen kollegialen Verbindung mehrere seiner Bücher und Broschüren, jeweils mit freundlicher Widmung, geschenkt. Seinen Roman »Der blaue Aktendeckel« bekam ich schon im März 1960, einen vergriffenen Band seines »Weimarer Pitaval« ließ er sogar für mich fotokopieren (er umfaßte immerhin 336 Seiten) und mit festem Deckel binden, und die gedruckte Fassung seines am 5.März 1981 vor dem Schwurgericht Düsseldorf gehaltenen Plädoyers im Majdanek-Prozeß erhielt ich wenige Tage vor seinem Tod. Friedrich Karl Kaul ist am 16. April 1981 als 75-jähriger mitten aus der Arbeit weggestorben. Nach seinem Tod übernahm ich durch Vermittlung seines Mitarbeiters Winfried Matthäus das Mandat der Tochter des im KZ Buchenwald von einem SS-Kommando ermordeten Vorsitzenden und Reichstagsabgeordneten der KPD, Ernst Thälmann. Kaul hatte sich jahrelang vergeblich bemüht, die zur Verfolgung von Naziverbrechen zuständige Staatsanwaltschaft in Nordrhein-Westfalen, die von einem ehemals gewährbietenden Nazi-Juristen geleitet wurde, zu einer Anklageerhebung gegen einen der noch lebenden Täter zu veranlassen. Ich hatte zwar mit einem Klageerzwingungsverfahren Erfolg und erreichte beim Landgericht Krefeld sogar eine Verurteilung, scheiterte dann aber am Bundesgerichtshof und dem von ihm beauftragten Landgericht Düsseldorf, so daß auch dieses Verfahren mit dem üblichen Freispruch des Naziverbrechers endete. FKK, wie wir Kollegen ihn nannten, hat den Zusammenbruch seiner von ihm stets unbeirrbar solidarisch und mit Herzblut verteidigten DDR nicht mehr erlebt. Ich versuche mir vorzustellen, wie dieser wortgewaltige und zutiefst überzeugte Kämpfer für eine antifaschistische Herrschaftsordnung auf die kapitalistische Machtübernahme von 1989 ff., auf die Enteignung und Entwürdigung der DDR-Bevölkerung und auf die neue antikommunistische juristische Verfolgungswelle reagiert hätte. Undenkbar, daß er einen Kompromiß mit den neuen Herren eingegangen wäre und auch nur einen Schritt von dem abgerückt wäre, was er sein Leben lang für richtig gehalten hat. Ich kann ihn mir nur in der Rolle des großen Redners vorstellen, der seine Landsleute zum Widerstand aufgestachelt und ihnen gesagt hätte, wes Geistes Kind die westlichen Kolonisatoren sind. Und bin mir doch darüber im Klaren, daß die neuen politischen Machthaber und Medienherren auch ihm den Zugang zu einer großen Öffentlichkeit, die ihnen gefährlich werden könnte, versperrt hätten.
Erschienen in Ossietzky 4/2006 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |