Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Des Kriegsverbrechers letzte SchlachtWolfram Wette Frauen dienen neuerdings als Soldatinnen in der Bundeswehr, und in der Geschichtswissenschaft kann man beobachten, daß mehr junge Historikerinnen sich der Männerdomäne der Kriegs- und Militärgeschichte nähern. Die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges steht im Brennpunkt ihres Interesses. Zunächst nahmen sie solche Vorgänge aus dem Umfeld der Wehrmacht unter die Lupe, in denen Frauen eine Rolle spielten, sei es als Mittäterinnen oder als Opfer, zum Beispiel die Geschichte der Wehrmachthelferinnen, die Frauen in der Kriegsproduktion und an der »Heimatfront«, die Opfer sexueller Gewalt im Zweiten Weltkrieg, die Sexualpolitik der Wehrmacht oder die Rolle der Ehefrauen in der »SS-Sippengemeinschaft«. Mit der Dissertation der Tübinger Historikerin Kerstin v. Lingen betritt, möglicherweise erstmals, eine Frau das klassische Terrain der Militärgeschichte. Kenntnisreich schreibt sie die Biographie eines herausgehobenen militärischen Führers der deutschen Wehrmacht. Neues bieten die quellennah gearbeiteten Abschnitte über den Kesselring-Prozeß von 1947 und über die sich hernach formierende »Kriegsverbrecherlobby«, die Freiheit und Rehabilitierung für den zum Tode verurteilten Kriegsverbrecher forderte. Generalfeldmarschall Albert Kesselring war 1943-1945, nach dem Kriegsaustritt Italiens, als »Oberbefehlshaber Südwest« der verantwortliche militärische Führer der in Italien kämpfenden Heeresgruppe C. Wie fast alle hochrangigen Generäle von ehedem ist er heute fast vergessen, nachdem sich die deutsche Gesellschaft weithin von der Kriegskultur vergangener Zeiten verabschiedet hat. Damals allerdings, während des Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit, als sich die alliierten Militärtribunale mit den Kriegsverbrechen deutscher Generäle auseinandersetzten, gehörte der Luftwaffenoffizier Kesselring zu den populärsten Wehrmachtführern. Bei Millionen ehemaliger Wehrmachtsoldaten, denen an einem eher unkritischen Rückblick auf die Kriegsjahre gelegen war, genoß er beträchtliches Ansehen. Es war die Zeit, in welcher mit großem Aufwand an der Legende von der »sauberen« Wehrmacht gestrickt wurde. Nach der Auffassung vieler Veteranen schien der hitlertreue Befehlshaber Kesselring dieses Bild geradezu idealtypisch zu verkörpern. Dabei lief zunächst einmal alles gegen den Ex-Generalfeldmarschall. Zumindest auf dem Felde der Justiz. Zwei Jahre nach Kriegsende wurde er vor ein britisches Militärgericht in Venedig gestellt, das – nach einer Absprache unter den Siegermächten – für die Ahndung deutscher Kriegsverbrechen auf dem italienischen Schauplatz zuständig war. In dem nach ihm benannten Prozeß wurde er wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt. Ihm, als dem Oberkommandierenden, wurde die formale Schuld an Verbrechen der Wehrmacht angelastet, besonders an Geiselerschießungen und Repressaltötungen. Kesselring ist nach heutigem Wissensstand vor allem vorzuwerfen, daß er mit seinen »Bandenbefehlen« den Terror gegen italienische Zivilisten freigegeben und geduldet hat. Erstaunlicherweise bezeichnet ihn die Autorin gleichwohl, indem sie seine Taten und Unterlassungen mit denen anderer, im Osten eingesetzter deutscher Offiziere vergleicht, als einen »Minderbelasteten« (S. 353) und spricht von einer »Überbetonung der Kriegsverbrechen« durch die deutsche Historiographie (S. 24). Einer klaren Sicht abträglich war bereits die Perspektive der damaligen britischen Militärrichter und Militärstaatsanwälte. Sie verstanden sich offenbar nicht als Anwälte der italienischen Opfer deutscher Kriegsverbrechen, sondern vielmehr als eine Art militärische Gutachter, wenn nicht gar als »Kameraden«, die über die Zulässigkeit bestimmter Befehle zu befinden hatten. Unmittelbar nach dem Todesurteil gegen Kesselring wurde in Westdeutschland eine »Begnadigungskampagne« (S. 28) inszeniert, an welcher sich neben der Wehrmacht-Lobby auch ein illustres Kartell internationaler Militaristen beteiligte. So erklärt es sich, daß diese Kampagne einen nachhaltigen Eindruck auf die amtierenden Politiker in London machte. Auf der Grundlage von Archivstudien in Deutschland, Italien, Großbritannien und den USA vermag die Autorin hinter die Kulissen der »Kriegsverbrecher-Lobby« zu schauen und die damaligen geschichtspolitischen Wandlungen zu erklären. Sie zeigt, welche Kräfte nicht nur in Deutschland, sondern auch in Großbritannien und in den USA an dem wohlgefälligen Bild von einem ganz normalen Krieg in Italien gebastelt haben. Diesen Kampf um die Köpfe – und nicht etwa ein kriegerisches Ereignis während des Zweiten Weltkrieges – meint die Historikerin, wenn sie in ihrem Buchtitel von »Kesselrings letzter Schlacht« spricht. Die Begnadigungskampagne bewirkte schließlich einen Richtungswechsel in der britischen Vergangenheitspolitik gegenüber deutschen Kriegsverbrechern. Dieser Wandel ist allerdings nur vollständig zu erfassen, wenn man – wie es auch die Autorin tut – die Sogwirkungen des inzwischen entfalteten Ost-West-Konflikts und der Vorbereitungen zu einer Wiederbewaffnung des westdeutschen Teilstaates in die Betrachtung einbezieht. Jedenfalls wurde Kesselring bereits 1952 unter Hinweis auf seine angegriffene Gesundheit begnadigt und aus der Haftanstalt Werl freigelassen, »nicht weil er unschuldig gewesen wäre, sondern weil das Zusammenspiel aus gelenkter Presse, politischen Interventionen und innerdeutschen Zwängen sich zu einer beispiellosen Kampagne ausgewachsen hatte, die unter dem Druck der Wiederbewaffnungsdebatte seine Freilassung erzwang« (S. 352). Mehrere rechtslastige Soldatenverbände – der »Luftwaffenring«, der »Stahlhelm« und der »Verband deutsches Afrikakorps« – machten Kesselring sogleich zu ihrem Ehrenvorsitzenden und signalisierten damit der Öffentlichkeit ihre Deutung, daß er rehabilitiert sei. In diesen Veteranenkreisen galt eine Verurteilung durch die »Siegerjustiz« gleichsam als eine Auszeichnung (S. 299). Kesselring seinerseits wurde nicht müde, die Freilassung der noch inhaftierten deutschen Kriegsverbrecher zu fordern und sich selbst sowie die Wehrmacht insgesamt in einem positiven Lichte darzustellen. Die Untersuchungen der Autorin lassen keinen Zweifel daran, daß der ehemalige Wehrmacht-General und seine Mitstreiter besagte »letzte Schlacht« damals gewonnen haben. Denn noch bis in die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein, also zwei bis drei Jahrzehnte über Kesselrings Tod 1960 hinaus, herrschte in der deutschen Öffentlichkeit die Vorstellung, wenigstens auf dem italienischen Kriegsschauplatz sei es einigermaßen »anständig« zugegangen. Erst eine Streitschrift von Erich Kuby (1982) und die seit 1990 publizierten Forschungen der deutschen Historiker Gerhard Schreiber, Lutz Klinkhammer, Friedrich Andrae und einiger italienischer Autoren deckten auf, daß der deutsche Krieg in Italien 1943-1945 nach denselben Befehlen geführt worden war, die zuvor schon den Vernichtungskrieg im Osten angeleitet hatten. Der Priebke-Prozeß von 1996, der Prozeß gegen Friedrich Engel 2002 und das im Jahre 2004 eröffnete Verfahren wegen der Tötungen in Sant' Anna di Stazzema vermittelten der deutschen und europäischen Öffentlichkeit eine – noch längst nicht vollständige – Vorstellung von der Wirklichkeit der Rückzugkämpfe der deutschen Wehrmacht, der sogenannten Bandenkämpfe gegen italienische Partisanen und der in diesem Zusammenhang begangenen deutschen Kriegsverbrechen. Damit kam auch der angeblich »gute General« Kesselring wieder ins Blickfeld, der auf dem italienischen Kriegsschauplatz seinerzeit die Gesamtverantwortung getragen hatte. Nachdem Kesselring zuvor schon in der Gefangenschaft Gelegenheit gehabt hatte, sich mit dem Kriegsgeschehen in Italien intellektuell auseinanderzusetzen, veröffentlichte er 1953 seine selbstgefälligen Memoiren »Soldat bis zum letzten Tag«. Der damalige Rezensent der Zeit , Heinz Hell, erkannte die »fragwürdige Tendenz« des Buches und vermißte bei dem General Verantwortungsbewußtsein: »Befehl ist Befehl! Dieser ebenso lapidare wie dumme Satz hallt durch die ganzen 475 Seiten – bis zum letzten Tag.« Heute muß man hinzufügen: Für diesen ewiggestrigen und lernunfähigen Militaristen blieb die Wehrmacht zeitlebens das Maß aller Dinge. Schon bald nach seiner vorzeitigen Freilassung mischte er sich mit öffentlichen Stellungnahmen in die Planungen für die neuen deutschen Streitkräfte ein. Er wollte sie wiederum als »Wehrmacht« und nicht als »Bundeswehr« bezeichnet sehen, und er wünschte sich eine Armee, die, gestützt auf einen »Kern von Ostfront-erfahrenen Soldaten, (...) denselben Kampfgeist gegen den Bolschewismus zeigen wird wie die Wehrmacht« (S. 307). Wenig später empfingen Bundeskanzler Konrad Adenauer und sein Vize Erich Mende den einflußreichen Soldatenvertreter zu Aussprachen – der in West- wie in Ostdeutschland mehrheitlich kriegsgegnerisch eingestellten Bevölkerung zum Trotz. Kerstin von Lingen: »Kesselrings letzte Schlacht. Kriegsverbrecherprozesse, Vergangenheitspolitik und Wiederbewaffnung: Der Fall Kesselring«, Ferdinand Schöningh Verlag, 392 Seiten, 35.90
Erschienen in Ossietzky 4/2006 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |