Glatteis, wertemäßig

Harald Kretzschmar

Dummerweise haben wir nicht nur meteorologisch einen harten Winter. Das Glatteis, auf dem wenig diplomatisch agiert wird, liegt spiegelblank. Wie die Nerven der Akteure. Mancher, ins Straucheln geraten, sucht Halt an den Pfosten sogenannter ewiger Werte. Schon immer waren sie gut für Herstellung von Feindbildern. Ob Bilderverbot oder nicht – da ist alles erlaubt. Nur peinlich, daß nun die ehrenwerte Profession der Karikaturisten herhalten muß, in gewünschter Richtung Stimmung zu machen. Als einer dieser Zeichner dachte ich bisher, gezielt für den gesunden Menschenverstand zu wirken. Irrtum.

Egal ob ich dumm oder klug, plump oder geistvoll zeichne, die geheiligte Pressefreiheit ist es, in deren Namen ich alles machen darf. Aber auch alles und jedes. Qualitätsmaßstäbe sind als entbehrliche, weil unter Umständen geschäftsschädigende Werte abgehakt. Ich lerne: Medial ist gut, was gefällt. Gefallen finden, Aufmerksamkeit erregen ist alles. Schüren von Erregung, Herauskitzeln von Emotionen, das bringt Quote und Knete. Ob ich Zeitungen aufschlage, ob ich Radio oder Fernsehen anschalte – grinst mich die Fratze dümmlicher Verzerrung an? Nein, es ist das gewinnende Antlitz unterhaltsam die Welt interpretierender Wertevermittlung. Etwas verwirrend, mag sein. Aber: Ach so humorvoll. Ach so einfühlsam in die Belange anderer Menschen.

Die Medien helfen, wo sie nur können. Bekanntlich ist beim Menschen auf der Straße die Fähigkeit etwas unterentwickelt, andere Mentalitäten als die eigene gelten zu lassen. Da wird medial nachgeholfen. Deutsche Biografien Ost verstehen? Kein Problem. Ein Anruf bei der Birthlerbehörde genügt. Oder noch besser gleich bei Hubertus Knabe. Der formuliert immer so schön spitz. Polnische Befindlichkeiten erkunden? Kein Problem. Da der Vatikan nicht mehr passend besetzt ist, am besten direkt bei Erika Steinbach anklingeln. Nur vertrieben gewesen hat man das passende Feeling für unsere Nachbarn. Wie sie. Und nun: Muslime. Ach ja, diese Gruppe von Menschen, die uns so schrecklich fremd sind, weil sie schon so lange unter uns leben. Wie sollen wir sie nur verstehen? Immer banger wird die Frage. Da helfen uns nur die Experten von den Medien. Welch Glück, daß da Ralph Giordano und Henryk M. Broder so glasklar für den Islam argumentieren. Und endlich wird Huntingtons »Kampf der Kulturen« wieder fleißig zitiert. Dieser Bestseller aus dem Parteilehrjahr-Material der Feindbildsucher. Wer seinen Senf dazu geben will, der soll es tun dürfen. Und Edmund Stoiber und Jörg Schönbohm sollten uns nun auch im sogenannten »Karikaturenstreit« weiterhelfen. Diese ausgewiesenen Fachleute für einfühlsames Interpretieren ihnen fremd anmutender Handlungsweisen haben uns doch immer etwas zu sagen.

Wir sehen, es gibt noch viel zu tun. Befestigen wir unsere ewigen Werte, wie die anderen die ihren zementieren. Der Wert unserer Medien steht und fällt mit dem Satz: »Alles muß erlaubt sein!« Selbstverständlich inklusive mitgedachtem Zusatz »Was uns gefällt«. Warum wollen die anderen nicht erlauben, was uns gefällt? Ein Rätsel. Das müssen wir lösen. Wenn die Diplomatie versagt, dann eben Sanktionen. Militärisch müssen wir gewappnet sein, ganz klar. Und immer wieder reden und schreiben, deklamieren und disputieren. Ja, bitte auch zeichnen, ihr wackeren Dänen. Nicht müde werden. Wir glauben an unsere Werte. Also können wir alles bewerten, wir allein. Und wenn die Welt voll Feinde wär' – auf denn, frischauf, aufs Eis, aufs Eis!

Erschienen in Ossietzky 4/2006