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Am Nachmittag kehrte ich zum Neustädter Bahnhof zurück, um am Albertplatz den einzigen kleinen Laden aufzusuchen, in dem es noch Schreibmaschinenpapier gibt, das 70 Gramm pro Quadratmeter wiegt, also leichter und dünner ist als Computerpapier. Geht man auf dem linken Fußweg vom Bahnhof zum Albertplatz, kommt man nach einem Altersheim und einer Apotheke nur noch an toten, verfallenen Häusern vorbei, sie sind zugemauert und vollgeschmiert, Fenster stehen offen oder sind eingeschlagen, zerbrochen. Nur ins leerstehende Hochhaus am Albertplatz (das erste Hochhaus Dresdens aus den zwanziger Jahren) hat noch niemand Steine geschmissen... Blühende Landschaften sind im Frühling die Apfelfelder bei Borthen oder die Pfirsichplantagen an der Südseite des Borsbergs. Beim Beschriebenen handelt es sich um verblühende, verblühte, noch richtiger: krepierende Landschaften. Ich sehe sie nicht nur im nebeldunstigen Winterwetter so, Sonne würde nicht helfen. Die Elbe fließt dem Zug entgegen. Die alten Sandsteinbrüche, Lilienstein und Königstein, Schrammsteine und Winterberg sind Dauerkulissen. Tschechische Zillen eilen gen Hamburg. Die vietnamesischen Arbeiter, die der Sozialismus beschäftigt hat, sind in Böhmen noch im Lande, besser: in den Grenzorten; es sind die erwachsenen Kinder der früheren Arbeiter. Sie haben alle ihre Waren ausgebreitet, Textilien, Schuhe, Dessous, Popmusik, Kitschgegenstände jeglicher Art. Die Männer stehen bei Brettspielen zusammen. Die Frauen frieren. Ich denke, an solchem Wintertag – mit einem Zug kommen zwanzig Deutsche nach Hrensko – wird das Handeln für manche Vietnamesen ohne Ergebnis sein, keine Krone, keinen Euro verdient, im fremden Land gefroren. 30 Paar Socken, dünne, kosten fünf Euro. Eine Frau hat einen Turm Zigarettenstangen vor ihre Bude gebaut. Sie spricht mich an, bietet mir meine Sorte, zehn Schachteln, für 13 Euro an. Zuhause kosten sie 34 Euro. Als ich zögere, unentschlossen gehen will, zupft sie mich am Ärmel und überläßt mir die Zigarettenstange für zehn Euro. Es ist Mittag, ich habe nicht gefrühstückt und gehe in den »Rák«. »U raka«, Zum Krebs heißt das alte Gasthaus in der Ortsmitte, in das ich immer einkehre. Vor dem Fachwerkbau sind viele Klafter Holz aufgeschichtet, Kaminscheite von Birke und Buche; in der Gaststube flackert das Feuer in einem offenen Kamin. Die beiden großen slowakischen Hirtenhunde sind nicht mehr da, sie linsten früher durch ein Tor neben dem Haus. Der alte Wirt, ein Liebhaber und Sammler von Jagd- und Militärgeräten, scheint sein Wirtshaus verkauft oder verpachtet zu haben. Neues Personal. Doch die Gaststube mit Kamin, wenigen Tischen, Bänken, Stühlen, vielen Jagdtrophäen und Flinten und alten Bildern an den Wänden, Krügen auf Borden – all das ist geblieben. Und auf einem Brettchen in einer Ecke steht die Büste des Thomas Garrigue Masarýk, des Präsidenten nach 1918. Knoblauchsuppe mit Kartoffelstücken, Rauchfleisch mit Kraut und Knödeln, Bier trinke ich nicht mehr. Ich bestelle einen Kaffee, aber keinen Nescafé, sondern kávu turkou, also einen Topf mit sich setzendem Kaffeesatz und Zucker. Das Böhmische, Tschechische ist in mir, meine Bauernvorfahren sollen aus Böhmen nach Sachsen gekommen sein, ich rufe sozusagen die Sprache und den Tonfall ab. Die Kellnerin freut sich darob. »Tady nesmím kourit?« – Hier darf ich nicht rauchen? frage ich. »Ne, bohuzel«, sagt sie, »ale vedle dvere muzete.« – Nein, leider, aber neben der Tür können Sie. Die Tschechische Republik hat ein Gesetz erlassen, daß man in der Öffentlichkeit nicht mehr rauchen darf. Kürzlich verhaftete die Polizei einen Mann, der an einer Bushaltestelle rauchte. Die Tschechische Republik scheint keine größeren Sorgen zu haben. Das barocke Kirchlein auf dem Dorfplatz ist renoviert, doch an der Tür hängt nicht mehr das Schild, das die Messe am Sonnabend um 15 Uhr anzeigt. Kaum noch Einwohner, keine Meßbesucher mehr. Sonst bin ich immer auf den alten, aufgelassenen Friedhof in ein Seitental hinaufgegangen oder auf die Aussichten über dem Ort oder die Kamenice entlang. In ihr habe ich schon einen Fischotter und Forellen beobachtet. Breit strömt jetzt im Flußbett klares, reines Schneewasser aus den Lausitzer Bergen. Der Teufel reitet mich. Im Lebensmittelladen, dessen matka mich erkennt, kaufe ich noch fünf Schachteln tschechische Zigaretten, Marke »Start«. Eine Schachtel kostet 40 Kronen, das sind 1 Euro 30 Cent. Freilich haben sich die Tschechen nicht die deutsche Trickbetrügerei einfallen lassen, in eine Schachtel 17 statt 20 Zigaretten zu stecken. Dabei spiele ich mit dem Gedanken, mir das Rauchen abzugewöhnen.
Erschienen in Ossietzky 3/2006 |
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