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Einem Mann, der nach über hundert Jahren noch so tatkräftig wirkt wie Jacobsohn am 14. Januar 2006 in der FAZ , dem schreibt man keinen Gedenkartikel. Stadelmaier, dem Mann ist nicht zu helfen, glaubt in der Tat, er sei ein Theaterkritiker wie Jacobsohn. Nein, noch etwas Besseres: »Wozu muß ich, der ich die Theaterkritiken von heute schreibe, historisch kommentiert nachlesen…« – und dann folgt ein völlig falsch verstandenes Zitat, mit dem wir uns hier nicht aufhalten müssen. Stadelmaier – er gehört zu den besten Federn seines Blattes – versteht manches vom Theater, ja er setzt für die FAZ -Leser zuverlässige Maßstäbe. Am 30. Januar zum Beispiel hat der hochspezialisierte Musenkenner seinem Publikum im Feuilleton-Aufmacher gewissenhaft ein hochdifferenziertes Bild von »unterschiedlichster Unterwäsche« entworfen, »deren Baumwollanteil im Deutschen Theater freilich höher als im Berliner Ensemble zu sein scheint, wo man offenbar eher zu Satin tendiert«. Auch von den »Privatpimmeln« auf der Bühne berichtet er brühwarm seinen Lesern. »Jetzt liegt Jacobsohn als Text wieder vor«, schreibt Stadelmaier und fragt: »Aber soll man auf ihn achten?« Natürlich nicht. Vor allem soll man ihn nicht lesen, sondern statt dessen schreiben: »Daß der Lebensgefühl-Sucher den ›Wallenstein‹ als ›zu rhetorisch‹ und als ›blaß und vag‹ einstuft, andererseits gegen Leute auf der Bühne, die Worte wie ›Ehre‹, ›Vaterland‹ und ›Freiheit‹ im Munde führen, aber ›zwei Minuten vorher versucht haben, eine Frau zum Ehebruch zu verführen‹ oder ›Zofen befingerten‹, entschieden nach dem Zensor und dem staatlichen Knüttel schreit, man quittiert's mit amüsiert historisiertem Achselzucken.« Ach Du armes FAZ -Dummerchen. Erstens: Jacobsohn hat viel und höchst Unterschiedliches über den »Wallenstein« geschrieben, je nach Inszenierung, geschenkt. Aber dies »andererseits«. Verfügt Stadelmaier nicht mal mehr über Restbestände von Verstand? Oder ist er Legastheniker? Und warum merkt das keiner beim – ehemals – Blatt »für die Gebildeten aller Stände«? Also, zweitens: Die Glosse, aus der er zitiert, stand am 8. Oktober 1914 in der Schaubühne . Und was er daraus zitiert, kommt darin vor – bis hin zum Zofenbefingern, ja gewiß. Doch der Titel der Glosse heißt: »Schrei nach dem Zensor« – Stadelmaier merkt nichts. Die Glosse beginnt: »Wo steckt Herr von Glasenapp? Wenn er nicht vorm Feind ist – auf seinem Posten ist er keinesfalls. Sonst würde er verbieten, was sich jetzt auf den Theatern seines Amtsbezirks begibt.« Stadelmaier merkt immer noch nichts. Und dann steht es tatsächlich da, beweisbar, schwarz auf weiß: »Worte wie ›Freiheit‹, ›Ehre‹, ›Vaterland‹ werden in Mäuler genommen, die zwei Minuten zuvor versucht haben, eine Frau zum Ehebruch zu überreden. Deutsche Fahnen werden da geschwungen, wo soeben ein Friseur eine Zofe lüstern befingert hat.« Aber Stadelmaier merkt nichts. Gewiß, Comics lesen, das bereitet FAZ -Redakteuren kaum Schwierigkeiten. Aber Ironie und Satire, die kann ein FAZ -Redakteur so wenig lernen wie einst ein Ärmelschonerbeamter des Berliner Polizeipräsidiums. Der schrieb 1917 – nachzulesen im Kommentarband – an das Auswärtige Amt: »Daß Jacobsohn hier und da, auch den Behörden gegenüber, scharf auftritt, soll ihm von hier aus nicht im geringsten verübelt werden, im Gegenteil hat das Temperament, das dabei zu Tage tritt, in Verbindung mit dem Umstande, daß er aus Beweggründen handelt, die an sich nur zu billigen sind, hier einen günstigen Eindruck gemacht. Immerhin geht die Tonart, die er zum Beispiel in dem in der Schaubühne erschienenen (…) Aufsatz ›Schrei nach dem Zensor‹ anläßlich der ästhetisch minderwertigen, aber harmlosen Volksstücke ›Immer fest druff‹ und ›Gewonnene Herzen‹ anschlägt, indem er von ›Schweinerei‹ spricht und den Zensor der Pflichtvergessenheit zeiht, in der Ausdrucksweise zu weit, abgesehen davon, daß er vergißt, daß der Zensor zu einer ästhetischen Zensur garnicht berufen ist.« Der alte Spruch muß umgeschrieben werden. So: Die Satire, die ein FAZ -Re-dakteur versteht, ist keine Satire. Er ist so klug wie der Zensor, der Jacobsohn seinen »Schrei nach dem Zensor« durchgehen ließ. Aus dem Geburtstagsartikel für Jacobsohn ist nichts geworden. Besser man liest ihn selbst – so man nicht bei der FAZ angestellt ist. Fünf Monate dieser Zeitung für Deutschland kosten 165 Euro, fünf Bände Jacobsohn dagegen nur 149. Vom Wallstein Verlag in Göttingen ist man mit diesen 2662 Seiten besser bedient als mit den weit mehr und großformatigen Blättern aus der Frankfurter Hehlerhofstraße. Und für alle Theaterkritiker, die nicht für die FAZ schreiben müssen, gibt es nur eine Empfehlung: Lest Jacobsohn, lest, lest, lest.
Erschienen in Ossietzky 3/2006 |
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