Mehr Grün in Berlin

Wolfgang Helfritsch

Endlich! Der Bundestag hat der Abrißbirne endgültig den Weg freigemacht. Schon an Ostern soll das Gras auf der Brache sprießen und den Langohren das Eierlegen im Zentrum Berlins erleichtern.

Damit wird ein loderndes Beispiel für den Umgang mit unrühmlichen Bauwerken unserer ansonsten überwiegend patriotischen Geschichte vorgegeben. Um die Aufarbeitung konsequent fortzusetzen, sollten wir jetzt unverzüglich eine Liste der Gebäude erstellen, deren Anblick dem freiheitlich-demografischen Bundesbürger nicht mehr zugemutet werden kann. Ich gestatte mir, dazu Vorschläge zu unterbreiten:

Bevor sich die DDR-Politbürokratie in Wandlitz mit Stacheldraht eingewickelt hat, wohnten die Bonzen in Berlin, unter und neben uns, manchmal sogar mitten in uns drin. So hat Erich Honecker, damals mit seiner gerade neuen Margot, in Lichtenberg schräg gegenüber dem Bezirksrathaus gewohnt, Kielblockstraße 1, zwei Treppen. Dieses verruchte – nach außen ganz unauffällige – Domizil muß weg!

Das Brandenburger Tor diente 40 Jahre lang als Nadelöhr an der Mauer und als Kontrollstelle. Vertierte Grenzbüttel wußten dort rührende West-Ost-Begeg-nungen guter Deutscher zu verhindern. Weg damit!

Ich schlage die Gründung eines Vereins zur kompletten Erfassung geschichtsbelasteter Berliner Gebäude und Gebäudekomplexe vor und fordere dazu auf, den politischen Mißbrauch weiterer baulicher Zeitzeugen wie des Reichstages, des Doms, des Kronprinzenpalais, der Marienkirche, des Preußischen Abgeordnetenhauses, des Finanzministeriums, des Außenministeriums, des Schlosses Bellevue, der Berliner Gerichtsgebäude, des Olympiastadions, des Flughafens Tempelhof, der Berliner Rathäuser, Fernbahnhöfe und Postämter zu prüfen und gegebenenfalls die Abrißbirne in Stellung zu bringen.

Als Kriterium für die Plattmache sollte – entsprechend den Darlegungen der Abgeordneten Pflüger und Thierse im Bundestag – jeweils geprüft werden, inwieweit diese Gebäude zur »Identität der Deutschen« gehören oder eine Diktatur symbolisieren.

Ich verspreche mir davon nicht nur eine prinzipielle historische Abrechnung, sondern durch die Wiedergewinnung von Grün- und Forstflächen zwischen Spree und Havel zugleich eine Neubelebung von Fauna und Flora. Auf diese Weise wird es auch gelingen, in der deutschen Hauptstadt fast ausgestorbene Kriechtiere zu neuem Leben zu erwecken.

Erschienen in Ossietzky 3/2006