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Kleiner UnterschiedEs starb der 78jährige Emir von Kuwait, Scheich Dschabir el Ahmed el Dschabir el Sabah, der nahe zu 30 Jahre über eines der (öl-)reichsten Länder der Erde geherrscht hatte. Sein Ableben war Bundeskanzlerin Merkel folgendes Telegramm an die Nachfahren wert: »Mit großer Trauer habe ich die Nachricht vom plötzlichen Tod von Sheikh Jaber Al-Ahmad Al-Jaber Al-Sabah, Emir des Staates Kuwait, erhalten. Ich möchte Ihnen und dem kuwaitischen Volk mein herzliches Beileid für diesen großen Verlust aussprechen. Über fast drei Jahrzehnte hinweg, auch durch sehr schwierige Zeiten, hat S. H. Sheikh Jaber Al-Ahmad Al-Jaber Al-Sabah die Geschicke seines Landes mit Weisheit geführt und für sich und sein Land hohes Ansehen erworben ...« Die Trauer der kuwaitischen Bevölkerung, vor allem der nahezu rechtlosen kuwaitischen Frauen, hält sich in Grenzen. Denn ihr weiser Führer war ein brutaler Alleinherrscher, der noch im Dezember fünf Menschen hatte hinrichten lassen. Todesurteile fallen in seinem Reich reihenweise: in den beiden ersten Januarwochen schon wieder sechs. Seit dem Golfkrieg 1991 betrachten die USA das Emirat Kuwait als einen ihrer wichtigsten Verbündeten im Nahen Osten. Die US-Besatzungstruppen im benachbarten Irak wickeln ihren Nachschub über Kuwait ab. Jeden Widerstand gegen diese Bündnispolitik (wie auch jeden anderen Widerstand gegen sein Regime) ließ der Emir gewaltsam unterdrücken. (Einzelheiten der dort üblichen Methoden erfrage man bei den Ministern Steinmeier und Schäuble, BND und BKA verfügen ja über Spezialisten mit hervorragenden lokalen Kontakten). Kuwait ist eine Diktatur, aber es kontrolliert rund zehn Prozent der weltweiten Ölvorkommen. Das erklärt wohl das »hohe Ansehen«, das die Kanzlerin dem Hingeschiedenen konzediert. Bereits Anfang Januar war der Emir von Dubai gestorben. An seinen Nachfolger schickte Angela Merkel diesen Text: »... Zum Tode Seiner Hoheit Scheich Maktoum Bin Rashid Al Maktoum, Emir von Dubai und Vizepräsident und Premierminister der Vereinigten Arabischen Emirate, möchte ich Ihnen, Ihrer Familie und dem Volk der Vereinigten Arabischen Emirate mein tief empfundenes Mitgefühl aussprechen ...« Nur Mitgefühl. Keine Trauer. Kein herzliches Beileid zu »großem Verlust«, keine Rede von »Weisheit« und »hohem Ansehen«. Dubai hat ebenfalls Öl. Aber eben nicht so viel wie Kuwait. Volker Bräutigam
IrrlehrenWeltweit wachsen die Sorgen um Klima und Energie. Pole und Gletscher schmelzen schneller ab, Überschwemmungen und Dürren häufen sich, die Energie-Verbraucherpreise steigen steil an aber den herrschenden Kreisen der Bundesrepublik fällt, auch auf die Gaskrise zwischen Rußland und der Ukraine, keine andere Antwort ein als der Ruf, die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern. Daß die Energieindustrie, die daraus Profit ziehen möchte, so reagiert, ist nicht verwunderlich. Auch nicht, daß die Zeitungen der großen Medienkonzerne hier einstimmen. Daß aber Sozialdemokraten, die sich kürzlich noch ihrer Atomausstiegspolitik rühmten, und daß auch manche Gewerkschafter keinen klaren Kopf bewahren, macht dann schon stutzig. Erst recht, wenn das im Jahr 20 von Tschernobyl geschieht, während in der Umgebung der britischen Atomfabrik Sellafield weiterhin hohe Blutkrebsraten gemessen werden und sich erdweit in den Reaktoren immer wieder kleine und größere Pannen ereignen, die wie zuvor verheimlicht werden. Nach wie vor ungelöst ist auch das Hauptproblem: die »Entsorgung« des Atommülls. Aber trotz all dieser Probleme wagen regierende Politiker, die Verlängerung der Reaktor-Laufzeiten zu propagieren. Und das in einem Land mit einer florierenden Windkraftindustrie und einer leistungsfähigen Solarforschung und -industrie. In einem der dichtestbesiedelten Länder der Erde, wo jeder größere Nuklearunfall eine Katastrophe bedeuten kann. Warum führen diese Probleme nicht zu gründlichem Umdenken in der Politik, aber auch beim Einzelnen? Ersetzt Konsumismus möglichst oft mit Billigfliegern unterwegs inzwischen unser aller Achtsamkeit und Nachdenklichkeit? Warum beschränkt sich individuell nachhaltiges Verhalten auf wenige, die häufig »verrückt« genannt werden? Wer oder was ist hier verrückt? Irre ist es, daß sich Tag für Tag große Me-dienerfolge erreichen lassen mit der Irrlehre, die Verlängerung der Wochen- und Lebensarbeitszeit helfe gegen die Arbeitslosigkeit oder die Erhöhung der Mehrwertsteuer mache dem Aufschwung Beine oder ein betriebswirtschaftlicher Umgang mit Bildung sichere die Zukunft unserer Jugend. Und die Atomenergie löse die Klima- und Energieprobleme. Johannes M. Becker
Lohnabzug für MitbestimmungDie »Bitburger Gespräche«, veranstaltet in Zusammenarbeit mit der Universität Trier, bieten im Januar eines jeden Jahres »wirtschaftsnahen« Juristen eine Gelegenheit, der Politik Ratschläge zu geben. Die akademische Verortung läßt es zu, daß hier Zukunftsmusik gespielt wird, die an Stätten der offiziellen Politik erst später zu hören ist. Diesmal wurde unter der Leitung des Arbeitsrechts-professors Bernd Rüthers diskutiert, was aus den in der Bundesrepublik noch bestehenden Regelungen für die Mitbestimmung der Arbeitnehmerschaft werden soll. Astrid Hölscher notierte in der Frankfurter Rundschau einige »Reform«-Ideen; darunter diese: Betriebsräte solle es nur noch geben, wenn mindestens ein Drittel der Belegschaft dies verlange, und die Kosten für die Betriebsratstätigkeit sollten wenigstens zur Hälfte auf die Beschäftigten umgelegt und direkt vom Lohn abgezogen werden. Dies werde zu »vertieftem Nachdenken« darüber führen, ob man denn einen Betriebsrat überhaupt brauche. Ein Vorschlag, der irgendwann demnächst sicherlich auch den Großkoalitionären einleuchten wird. Schließlich sind ja, wie in Bitburg dargelegt wurde, die jetzigen Mitbestimmungsrechte in der Bundesrepublik ein »Bremsklotz«. Und welcher Politiker will schon als einer dastehen, der das Tempo der Kapitalbewegung drosselt? Als Wachstumsver-hinderer? A. K.
Es muß nicht Harvard seinEinige Monate erst ist es her, aber doch schon vergessen: »Joschka wählen« als grüne Trumpfkarte beim Kampf um die Sitze im Bundestag, Fischer als politisches Alphatier seiner Partei, eine Kämpfernatur, der zugetraut wird, daß sie auch eine grüne Opposition lautstark anführen könne. Das war vor der Wahl, Danach, angesichts der schwarz-roten Regierungsmacht, mag sich Joseph gesagt haben: Was kümmert mich mein Joschka-Geschrei von gestern. Noch hält er seinen Sitz im Bundestag, aber Fraktion und Partei interessieren ihn nicht mehr. Fritz Kuhn, Vorredner der Grünen im Bundestag, wurde von der Presse befragt, was er denn von diesem Rückzug Fischers ins Private halte. So schlimm sei das nicht, meinte er, immerhin tauche der Ex-Außenmi-nister im Bundestagsplenum auf und Grünenpolitiker stünden im Telefonkontakt mit ihm. Aber nun ist Joseph Fischer doch wieder in die Medien geraten, und er hat gehörig darüber geschimpft, sogar mit seinen Anwälten gedroht. Bild berichtete, er werde eine Professur an der US-amerikanischen Elite-Universität Harvard übernehmen. Was findet er daran empörend? Weshalb freut er sich nicht darüber, daß ihm Deutschlands auflagenstärkste Zeitung eine Hochschulkarriere im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zutraut? Wir wissen es nicht. Wohl aber wissen wir, Fischer hat es selbst mitgeteilt, daß ihm eine andere US-Universität eine Gastprofessur ange-boten hat, darüber müsse er allerdings noch nachdenken, noch sei nichts entschieden. Ist es die falsche Hochschule? Nicht so elitär? Da sollte er nicht kleinlich sein, immerhin hat er schon eine Studentin in Aussicht: die derzeitige Grünen-Vorsitzende. Sie meinte: »Bei einem wie Joschka würde ich mir sogar überlegen, ob ich mein abgebrochenes Studium nicht doch mal beenden sollte.« Der Politiköffentlichkeit hierzulande würde es gewiß wohl bekommen, wenn Claudia Roth diese späte Qualifizierungsabsicht wahrmachen und sich für längere Zeit absentieren könnte. Es muß ja nicht Harvard sein. Peter Söhren
WillkommenDie Vorstände der Linkspartei/PDS, der WASG und der Fraktion Die Linke im Bundestag laden unter dem Motto »Gemeinsam. Für eine neue soziale Idee« zu einem Neujahrsempfang am 23. Januar im Roten Rathaus in Berlin. Hübsch rot ist auch die Außenseite der Einladung gehalten, mit einem Foto der Bundeskanzlerin darauf, die ihre rechte Hand ein bißchen hochhebt und zusammenballt, fast so, als wäre sie im Begriffe, demnächst »Rot Front« zu rufen. Und darunter steht ein Merkel-Spruch: »Beim Kampf um Gerechtigkeit sind uns jede und jeder, die es ehrlich meinen, willkommen.« Wie sollen wir es verstehen, wenn die Häupter der Linkspartei in spe mit diesem Zitat in die Politik des Jahres 2006 einsteigen? Schwarzer Humor bei den Roten? Das ist nicht anzunehmen. Eher handelt es sich um eine Mischung von Spaß- und Ernsthaftigkeit und darin um die Hoffnung, nach einer Phase der Bewährung werde die Linkspartei auch bei den staatstragenden Parteien Anerkennung finden, weil sie es ja »ehrlich meint«. Da kann Angela Merkel sich in ihr Fäustchen lachen. Wer willkommen geheißen werden will, wird sich dieses Glück nicht durch vorgängigen Radau verscherzen wollen. Das Wort »Gemeinsam« im Motto des roten Neujahrsempfangs ist weit dehnbar und die »neue soziale Idee« flexibel. Angela Merkel hat eine »neue Gerechtigkeit« ausgerufen, da könnten demnächst einmal Vereinnahmungen möglich werden, die jetzt noch als absurd erscheinen. Die Bundeskanzlerin ist eine kluge Frau, sie weiß, wie Opponenten zu zähmen sind. Und rote Farbe macht ihr keine Angst. Marja Winken
AnstellstopHerr Köhler lud ein, sein Haus zu besichtigen. Nichts Neues, aber neu herausgeputzt. War nötig, denn mit der »Bruchbude«, wie schon Herr Herzog sagte, war kein Staat mehr zu machen. Also nischt wie hin, wenn der derzeitige Hausherr für einen Tag Tür und Tor öffnet. Und sei's nur, weil er für die Sanierung der Bude, auch als Schloß »Bellevue« bekannt, nicht in die eigene Tasche greifen mußte. Bezahlt, bemerkte der bescheidene Finanzmann Köhler, hat der Steuerzahler. Besten Dank also, daß wir, das Volk, für unser Geld auch mal was zu sehen bekommen. Von 10 bis 18 Uhr, wie in der Einladung angekündigt. Wär's nur so gewesen! Um 15.48 Uhr tauchte am Schluß der Schlange, wie eine solche Ansammlung geduldig Wartender genannt wird, die Polizei auf und erklärte allen Hinzukommenden: »Hier herrscht ein Anstellstau!« Anstellstau! Da wäre man doch gern beteiligt. Aber die Polizei riet, sich sofort abzuwenden, denn: »Es ist Anstellstop!« Zu gut Deutsch: Der Gastgeber machte die Schotten dicht. Miese Aussichten, das Bauwerk »Schöne Aussicht« doch noch kennenlernen zu können. Wann, Herr Bundespräsident, darf man wieder mal vorbeikommen? Zum Empfang des Bundesverdienstkreuzes! Sie behalten mich im Blick, Herr Köhler? Bernd Heimberger
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Brauchen wir NS-Gedenkstätten?FAZ und taz , Tagesspiegel , Zeit und Freitag , Innen- und Kultusminister, Staatssekretäre, Professoren alle kürzen flott ab, wenn sie von Gedenkstätten für die Opfer der Nazi-Herrschaft sprechen: »NS-Gedenkstätten«. Etwa auch Sie? Dann machen Sie sich bitte einmal die Mühe, ganz auszusprechen, was mit der Abkürzung gemeint ist. Meinen Sie es wirklich so? Wünschen Sie »nationalsozialistische Gedenkstätten«? Wollen Sie des »Nationalsozialismus« gedenken? Oder der Opfer jenes Regimes, das sich zur Tarnung »nationalsozialistisch« nannte? Der Widersacher, Aufklärer, Kämpfer und Mahner? Dann beleidigen Sie sie bitte nicht mit der Abkürzung »NS«, wie es zum Beispiel auch der bisherige Bundesinnenminister Otto Schily tat, als er das Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas als »NS-Gedenkstätte« bezeichnete. Elna M. Reiff-Hundt
Der Hauptmann von ParisE rnst Jünger unterhielt als Besatzungsoffizier von 1941 bis 44 in der französischen Hauptstadt eine »Liebesaffäre ... mit der deutschstämmigen und ebenfalls verheirateten Kinderärztin Sophie Ravoux«. Mit dieser veritablen Sensation überraschte die feingebildete FAZ zu Jahresbeginn die begierig lauschende Weltöffentlichkeit. Ernst, der Tausendsassa! Im Ersten Weltkrieg ein Dutzend Verwundungen im Grabenkampf und im Zweiten Weltkrieg drei Jahre hindurch germanischer Bettschatz in der Stadt der Liebe. Dabei hatte er das Abenteuer in seinen Meisterwerken so plural und sorgfältig verschlüsselt: Bald treibt er es mit »Madame Dancart«, dann mit »Charmille«, »Madame R.« oder der »Doctoresse«, hinter welcher Vielzahl doch immer nur die eine Dame, genannt »Spinnen-Frau«, steckt, zu der er sich als tapfrer »Tiger-Mann« gesellte. Denn, erfahren wir aus Dichtermund: »Zeugung und Tötung werden zu simultanen Vorgängen: etwa in der Umarmung von Spinnen-Frau und Tiger-Mann ...« Paris als Zoo. Das FAZ -Feuilleton als Zoo-Handlung. Bald wird bei Ikea die Ernst-Jünger-Matratze im Angebot sein. Frau Gretha Jünger aber saß daheim als »Betrogene«, die »dreimal von dem Verhältnis« erfährt. Dreimal? War sie etwas vergeßlich? Der Held selbst über seine tragische »Rolle im Dreiecksverhältnis« in nobelster Herrenprosa: »Unter uns Männern: Zwischen zwei Frauen kann unsere Lage der des Richters beim salomonischen Urteil gleichen doch sind wir das Kind zugleich.« Wir danken dem Besatzungshauptmann Jünger und seinem Hausmitteilungsblatt FAZ für diese Sternstunde erotisch-literarischer Volksaufklärung. Eine Frage zu der speziellen Kinder-Rolle hätten wir noch: Wo deponierte der Tiger-Mann seinen Pour-le-merite-Orden, wenn er mitten im besetzten Paris seine deutsch-französische Spinnen-Frau bestieg? Gert Gablenz Selbstmitleid statt SchuldgefühleMit dem Buch »Opa war kein Nazi« wurde Harald Welzer vor einigen Jahren einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Im Familiengedächtnis, so die damalige These, werde der Opa ungeachtet des-sen, was er in der NS-Zeit tatsächlich getan hat als ein Guter erinnert, auf den man stolz sein könne; den National-sozialismus und den Holocaust hätten andere zu verantworten. Nun legt der am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen tätige Sozialpsychologe eine weitere Studie zum Thema Judenmorde vor: Anhand von zum Teil bislang nicht ausgewerteten Vernehmungsprotokollen aus NS-Prozessen, autobiographischen Aufzeichnungen und der reichhaltigen Fachliteratur beschreibt er die ganz nor-malen Männer des Polizeibataillons 45, die Initiierung der »Tötungsarbeit«, die danach einsetzenden gruppendynami-schen Prozesse, die Praxis der Mordaktionen (»learning by doing«) und die besonderen Probleme der Täter bei der Erschießung von Frauen und Kindern. Die Darstellung ist konkret, quellennah und daher besonders beeindruckend. Wie konnte ein ganz normaler Mann, der sich zunächst nicht einmal im Traum vorzustellen vermochte, einen Menschen zu töten, gleichsam unversehens zum Massenmörder werden? Und, damit unmittelbar zusammenhängend: Wie konnte der Täter dabei auch noch das Gefühl haben, »anständig geblieben zu sein« (wie Heinrich Himmler in seiner berüchtigten Rede vom 4. Oktober 1943 vor den in Posen versammelten SS-Gruppenführern sagte, um seine Offiziere in ihrem Identitäts- und Selbstwertgefühl zu bestätigen)? In den Jahrzehnte später protokol-lierten Aussagen von NS-Tätern vor Ge-richt fand Welzer diesen Geist noch immer ungebrochen präsent: Keinerlei Mitleid mit den Opfern, kein e Schuld-gefühle, keine Bereitschaft zur Übernah-me einer individuellen Verantwortung, statt dessen Selbstmitleid und die Über-zeugung, auf Befehl im Dienste höherer Notwendigkeit gehandelt zu haben. Für Welzer läßt sich die »Tötungs-moral« der NS-Täter wie auch die »Nachgeschichte des Tötens« nur verstehen, wenn man sich klarmacht, daß sich bereits seit 1933 der »Referenzrahmen« mit schnellen Schritten verschoben hatte. Damit sind die Maßstäbe für Humanität und Unmenschlichkeit gemeint, für Gut und Böse. Die Neuorientierung entlang der »nationalsozialistischen Moral« vollzog sich nicht primär über den Intellekt, also die Propaganda, sondern in der Praxis des politischen Prozesses der Ausgrenzung von Juden und anderen Minderheiten aus der als »arisch« definierten Volksgemeinschaft. Damit veränderte sich das soziale Gefüge grundlegend. Die »Arier« sahen sich zu Herrenmenschen aufgewertet. Zunehmend glaubten sie daran, daß die Nicht-Mitglieder der Volksgemeinschaft an allen gesellschaftlichen Problemen schuld seien und daher als Feinde behandelt werden müßten. Der Sozialpsychologe gibt sich nicht mit der Erklärung des Handelns der NS-Täter zufrieden. Er wirft auch einen Blick auf die nur teilweise vergleichbaren Schauplätze Vietnam, Ruanda und Jugoslawien aus der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, um zu dem Fazit zu gelangen: »Alles ist möglich.« Folgt man dieser Erkenntnis, so hängt alles am »Referenzrahmen«, an der Fra-ge also, ob eine Gesellschaft die Kraft und den unbeirrten Willen hat, sich an den Menschenrechten und am Rechts-staat zu orientieren. Wolfram Wette
Harald Welzer: » Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden«, S. Fischer, 323 Seiten, 19,90 »Meine eigenen Gefangenen«Die Wendung von den eigenen Kriegsgefangenen findet sich nicht in einer Meldung eines militärischen Führers, verfaßt nach einer Schlacht. Gebraucht wird sie vielmehr vom Inhaber der Großtischlerei H. Rottschäfer, der im Kriege als Zulieferer die besten Geschäftsverbindungen zu namhaften Rüstungsbetrieben pflegt. Das ist für ihn um so einträglicher, als ihm schon in der ersten Phase der Eroberungen reichlich Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter zur Verfügung gestellt worden sind. 1941, in Erwartung weiterer Arbeitskräfte aus besetztem Gebiet, stellt er einen Bauantrag, um sie in einer Baracke gleich neben seinem Fabrikgelände unterbringen zu können. Bauausführung: »durch meine eigenen Gefangenen«. Die hausen dann unter primitivsten und unhygienischen Verhältnissen, Mann, Frau, Heranwachsende, Kinder. Leider erzählt Wolfgang Müller in seinem Band über »Eichwalde unterm Hakenkreuz« die Geschichte nicht zu Ende. Man erfährt, daß der Inhaber der Firma sich nach dem Mai 1945 zu verantworten hatte und Zeugen gegen und für ihn aussagten. Man ahnt nur, daß der Betrieb enteignet wurde. Gern würde man auch wissen, ob nach 1990 Rückgabeansprüche gestellt wurden. Insgesamt aber gehört das Büchlein zu den Belegen für viele Fortschritte auf dem Felde der Erforschung der Lokalgeschichte in Ostdeutschland. Von ihnen profitiert niemand mehr als die Lehrer am jeweiligen Ort: Ihnen ermöglicht das gesammelte Material einen Geschichtsunterricht, der nicht im Staatsweiten verharrt. Der Band über Eichwalde an der Bahnstrecke von Berlin nach Königswusterhausen kann solchen Nutzen reichlich stiften. Er ist gründlich recherchiert, die Spannweite der an das Jahrzwölft gestellten Fragen breit gefächert. Dargestellt werden die politische und die kulturelle Entwicklung ebenso wie der Lebensalltag in Vorkrieg und Krieg. Wahlergebnisse, die Entwicklung und Tätigkeit von NS-Organisationen, die Emsigkeit der Häuslebauer, die schon vor 1939 allmählich zum Erliegen kommt, Vertreibung und Deportation der jüdischen Einwohner, das Leben von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen, die Folgen des Luftkrieges, Verfolgung und Widerstand werden dokumentengestützt dargestellt. Zu den Lücken gehört eine präzisere Beschreibung der sozialen und beruflichen Struktur des Ortes, in dem jeweils mehr als 40 Prozent der Einwohner Arbeiter und Angestellte oder Händler, Handwerker und Freiberufliche waren. Wer ein Leben abseits von Politik und Naziorganisationen bevorzugte, konnte es sich im Verband der Schäferhunde- oder Kaninchenzüchter oder im gleichgeschalteten Männerchor und unter den verbesserten materiellen Verhältnissen im Reich richten. Zeitzeugen kommen mehrfach zu Wort. Manche Aussage verdeutlicht die Unverläßlichkeit ihres Gedächtnisses. So beispielsweise, wenn behauptet wird, daß die Werbung der Nazipartei in Eichwalde nach der »Machtergreifung« wenig Erfolg gehabt habe. Die Quellen sagen anderes: Schon 1933 war die Zahl der NSDAP-Mitglieder von 51 auf 117 gestiegen, und mehr als 200 hatten sich als Anwärter für die Mitgliedschaft registrieren lassen. 1938 verzeichnete die Hitlerpartei bei 4660 Einwohnern im Wahlalter 588 Mitglieder. Sie kamen wie der ganze Ort vor den Toren Berlins und in der Nachbarschaft der kriegsindustriellen Werke von Wildau vergleichsweise glimpflich davon, auch in der Phase der sogenannten Endkämpfe, als für Eichwalde am 23./24. April 1945 mit der kampflosen Besetzung durch Truppen der sowjetischen Armee der Krieg beendet war. An ihn erinnert im öffentlichen Raum, wie Müller schreibt, nur noch im Innern der Kirche eine Tafel mit den Namen der »gefallenen« Einwohner. Die der acht umgebrachten Juden aus dem Ort sind nirgendwo erkennbar verzeichnet. Und der einstige »Platz der Roten Armee« ist bis auf Weiteres umgetauft worden. Kurt Pätzold
Wolfgang Müller: »Eichwalde unterm Hakenkreuz. Zur Geschichte des Ortes von 1933 bis 1945«, Eichwalder Hei-mathefte III, 184 Seiten, 10
Spurensuche in NizzaStella Silberstein war »Krankengymnastin in Auschwitz«. So der Titel ihres ersten Buches, in dem sie berichtete, daß sie, die Jüdin, im KZ keine Juden behandeln durfte. Vor dem Abtransport hatte sie als Putzfrau im Hotel Excelsior gearbeitet, der Gestapo-Zentrale in Niz-za. In ihrem zweiten, jetzt postum erschienenen Buch erfahren wir vom Leben wohlhabender Emigranten aus dem Nazi-Reich, die sich an der Cote d'Azur niedergelassen haben und sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen, bevor die Wehrmacht und die SS in Südfrankreich einrücken. In ihrer Schilderung werden mir diese Menschen, ihre Anschauungen und Verhaltensweisen nicht besonders sympathisch; fast durchweg erscheinen sie mir arrogant, borniert, dumm. Das gilt auch für den Arzt aus Wien mit Schmissen im Gesicht, den sie in Nizza kennenlernt und heiratet. Aber man muß das Milieu nicht mögen, um dann doch mit angehaltenem Atem zu lesen, wie sie alle beraubt, gedemütigt, gequält, manche ermordet werden. Der Arzt, den die Nazis beauftragt hatten, Verhaftete zu untersuchen, um zu klären, ob sie Juden sind wie er selber, bekam nach und nach mit, wie sich seine Auftraggeber persönlich bereicherten. Sie töteten ihn so, daß nichts von ihm übrigbleiben konnte: mit Dynamit. Stella Silberstein erfährt es und schreibt darüber im Winter 1945/46, als sie Überlebende des KZ Auschwitz, des Todesmarsches nach Bergen-Belsen und des dortigen Massensterbens an Hunger und Seuchen zu Spurensuche nach Nizza zurückkehrt ist. Ihre Erinnerungen fließen zusammen: die Liebe im Keller, das allgemeine Koitieren der von Angst Gepeinigten im Güterwagen, die Nacktheit im Lager. Welche Freude, als nach zwei Jahren die Monatsblutungen wieder einsetzen. Im Vorwort berichtet Ingeborg Hecht, daß Stella Silberstein 94 Jahre alt wurde, bevor ihr kurz vor ihrem Tod eine kleine Entschädigung zugesagt wurde. Gerade solche knapp und präzise benannten Einzelheiten sind es, die den Wert des Buches ausmachen. Eckart Spoo
Stella Silberstein: »Hotel Excelsior. Tagebuch einer Spurensuche«, hg. von Ingeborg Hecht und Kurt Kreiler, Dölling und Galitz Verlag, 276 Seiten, 14.80
Aus der Antifa-SchuleEin sowjetischer Major reicht Jupp, dem kriegsgefangenen jungen Düseldorfer Katholiken, die Hand, wünscht ihm alles Gute und erwähnt, daß er Jude sei seine jüdische Frau hätten die Deutschen ermordet. Ein junger Soldat will mit ihm über den Philosophen Ludwig Feuerbach diskutieren, von dem Jupp nie zuvor gehört hat. Und ein deutscher Emigrant, ein Kommunist, empfiehlt ihm den Besuch der Antifa-Schule. Was er dort lernt, läßt in ihm den drängenden Wunsch entstehen, nach der Entlassung mit ganzer Kraft am Aufbau eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands mitzuwirken. Der jetzt zweiundachtzigjährige Josef Angenfort, der sich dann in der Freien Deutschen Jugend, in der Gewerkschaft und in der KPD organisierte und engagierte, berichtet in dem Film »Josef genannt Jupp. Porträt eines Antifaschisten« konzentriert aus persönlichem Erleben: In Bad Harzburg trieb die Polizei westdeutsche Teilnehmer an den Ost-Berliner Weltfestspielen der Jugend und Studenten in ein Stadion. Philipp Müller wurde erschossen, als Polizei in Essen das Feuer auf Teilnehmer der eben noch genehmigten »Friedenskarawane« eröffnete. Nachher wurden elf Jugendliche verurteilt, gegen den Todesschützen ermittelte niemand. Josef Angenfort selber, inzwischen Landtagsabgeordneter, wurde, ohne daß ihm je ein Verbrechen oder Vergehen nachgewiesen werden konnte, verhaftet und mehr als fünf Jahre in westdeutschen Zuchthäusern eingesperrt wegen angeblicher Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens. Er erlebte, wie Recht gebeugt wurde, ließ sich aber nicht beugen. Begnadigungsangebote des Bundespräsidenten Lübke lehnte er ab, wies die Gnade eines Mannes, der den Nazis sehr nahe gestanden hatte, zurück. Freunde nennen ihn »den mit dem Grundgesetz« und der will er bleiben, weil diese Verfassung verteidigt werden müsse. Mit dieser Sequenz endet der beeindruckende Film. Der nordrhein-westfälische Landesverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Bund der Antifaschisten, in dem Angenfort weiter aktiv ist, vertreibt dieses Dokument von hohem historischen Wert als DVD. Gerhard Hoffmann
»Josef genannt Jupp. Porträt eines Antifaschisten« von Olaf Klein, Christel Priemer und Ulrich Sander. DVD. 49:30 Minuten. 20 Euro (zu beziehen über VVN-BdA NRW per Überweisung (mit genauer Anschrift) Konto Nr. 28212435, BLZ 36010043, Postbank
Nacherlebbare GeschichteAndreas Buro, Rainer Steinweg, Helga und Konrad Tempel und einige andere aktive Pazifisten haben Erinnerungen aufgeschrieben: viele kleine Szenen aus der Geschichte der westdeutschen Friedensbewegung. Manches ist nur knapp skizziert, einzelne Kapitel fehlen ganz, zum Beispiel der starke Protest gegen die Remilitarisierung in den 50er Jahren oder die Aktionen gegen die Irakkriege. Aber dieses Buch erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, auch nicht auf Objektivität. Gerade die ganz subjektive Wiedergabe persönlichen Erlebens (ich könnte Ähnliches, aber auch ganz anderes hinzufügen) macht Geschichte nacherlebbar und regt zum Weiterfragen an. Weiterzuforschen und weiterzusammeln scheint mir etwa an den Stellen sinnvoll, wo Buro berichtet, wie 1968 die Ostermarschbewegung von sich revolutionär gebärdenden Studenten, die sich an die Spitze setzten, für Jahre mattgesetzt wurde, oder wo Elke Steven polizeiliche Provokationen schildert. E. S.
Andreas Buro (Hg.): »Geschichten aus der Friedensbewegung«, zu beziehen beim Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostraße 7-11, 50670 Köln, 239 Seiten, 10
Merkel war nicht dabeiDas Personenregister kann die knappste, vielsagendste Informationsquelle eines Buches sein. Christof Geisels Buch »Auf der Suche nach dem dritten Weg« ist dafür ein blendendes Beispiel. Den Namen Merkel, Angela, wird vergeblich suchen, wer sich über »Das politische Selbstverständnis der DDR-Opposition in den 80er Jahren« informieren will, wie der Untertitel der Publikation lautet. Schnell ist im Personenregister auszumachen, woher der 1961 in Freiburg/Breisgau geborene Autor sein Wissen über die DDR-Opposition hat. Geisel profitiert vor allem davon, daß er einige Veröffentlichungen genau gelesen hat und einigen Zeit-Zeugen begegnete. Von vielen der aktivsten Aktiven der zumeist eher stillen Oppositionellen ist kaum mehr als eine Randbemerkung oder Fußnote übriggeblieben. Die Opposition war eine »Sache« von kaum mehr als anderthalb Tausend Personen. War sie völlig belanglos? Zu einer solchen Behauptung versteigt sich Christof Geisel nicht. Er hat Weg und Wirkung der DDR-Opposition in den achtziger Jahren nicht emotional verklärt, sondern sachlich erklärt. B. H.
Christof Geisel: »Auf der Suche nach dem dritten Weg. Das politische Selbstverständnis der DDR-Oppositionellen in den 80er Jahren«, Ch. Links Verlag, 331 Seiten, 24.90
Walter Kaufmanns LektüreOssietzky -Lesern in den alten Bundesländern werden DDR-Zeitschriften wie Das Magazin und Sibylle kaum ein Begriff sein, die seinerzeit sehr begehrt waren und hohe Auflagen hatten nicht zuletzt wegen des Fotografen Günter Rössler. In der Sibylle setzte er nicht nur schöne, auch rundum selbstbewußte Frauen ins Bild, den Stil und die Mode seiner Zeit mitbestimmend. Bei der Leserschaft des Magazin suchte er Freude am Akt zu wecken, an schönen Haltungen, schönen Körpern. Bei aller Erotik, die seine Bilder ausstrahlten, war er stets bestrebt, die Persönlichkeit der Frauen zu wahren. Er war der erste Fotograf des Landes, dem eine Einzelausstellung mit Aktfotografie ermöglicht wurde und dessen hochdotierte Bilder Kunstsammlungen bereicherten. Rössler wußte zwischen sich und seinen Modellen Unbefangenheit herzustellen und ihnen dies vor allem ihre Eigenheiten zu lassen. Das alles stellt der jüngst im Verlag Das Neue Berlin herausgegebene Bildband noch einmal unter Beweis ein anschauliches und zugleich informatives Buch, in dem der soeben achtzig Jahre alt gewordene Fotograf auf sein Leben und Schaffen zurückblickt. Walter Kaufmann
Günter Rössler: »Mein Leben in vielen Akten«, Verlag Das Neue Berlin, 256 Seiten mit 287 Fotografien, 24.90
Selbst den Herren machenDa stürzt sich nun, wer kann, auf den weltberühmten Jubilar, über den im Lauf von 200 Jahren mehr als 20.000 Titel erschienen sind. Hunderte von neuen Büchern allein in den letzten Wochen, rechtzeitig zum 250. Geburtstag (27.1.). Mozart hat seine Geburtsstadt Salzburg gehaßt, dennoch wirbt die Stadtverwaltung jetzt mit ihrem »genius loci«. Wien will in diesem Jahr 30 Millionen Euro für Mozart-Events ausgeben. Österreich und Deutschland bringen Mozart-Briefmarken heraus. Neben den bekannten Schokoladekugeln mit Marzipan sollen auch die Äpfel aus der Steiermark mit Mozarts Namen schneller ihre Käufer finden. »Mit Mozart sind wir auf der richtigen Spur,« so der Vorsitzende der Obstpartner Steiermark, Gerhard Meixner, »mit dieser Premium-Marke können wir insbesondere in Italien, Spanien, Griechenland, Deutschland, aber auch in Österreich Nischenmärkte bedienen.« Mit »Mozart-Technik der Schärfe« wurde die Solinger Metallfirma »Steinbrück & Drucks GmbH« so bekannt, daß sie sich entschloß, die Marke »Mozart« für die neu gegründete Aktiengesellschaft »Mozart AG« zu benutzen. Ob Rasierklinge, Apfel, Praline der Name Mozart bürgt, auch beim Börsengang, für Umsatz und hohe Renditen. Dabei stellt Mozarts Musik, wie Adorno schreibt, von sich aus nicht »die marktgängigen Emotionen bei, noch verhält sie durch Pomp, Macht und rhythmische Befehlsgewalt den Konsumenten zu jener Art von Gehorsam, die er sich wünscht. Mozart wird durch mehrfache Fälschungen adaptiert.« Wer Mozarts Schaffen würdigen will, sollte sein Engagement für die Frei-maurerei nicht übersehen. Hier fand er seine ideologische Triebfeder. Seine Oper »Die Zauberflöte«, deren Libretto der Freimaurer Schikaneder schrieb, zeigt ausführlich die Rituale und ethi-schen Grundsätze der Freimaurer und appelliert an die Vernunft und die Liebe der Menschen, die Erde menschlicher zu gestalten: »Mann und Weib, und Weib und Mann, reichen an die Götter an.« Mozarts Werk ist dem damaligen Kampf um Freiheit, Gleichheit, Brüder-lichkeit verbunden. Ohne den Regenten von Wien, Joseph II., der die Freimau-rerei gegen Angriffe des Papstes Pius VI. verteidigte, hätten wohl auch »Fi-garos Hochzeit«, »Don Giovanni«, »Cosi fan tutte« nicht entstehen können. Mozart lernte den Librettisten dieser Opern, Da Ponte, in der Freimaurerloge kennen, wo sich die revolutionären Geister trafen. Am 1. Mai 1786 wurde »Figaro« in Wien uraufgeführt, drei Jahre später war Beaumarchais' Schauspielfassung des Stoffes das Signal zur Französischen Revolution. Figaro erfährt von seiner künftigen Frau Susanna, daß der Herr Graf, dem beide zu Diensten stehen, von ihr das »Recht auf die erste Nacht« fordert. Er ersinnt nun ein tolles Verwirrspiel. Das einfache Volk, in Gestalt des Figaro, zeigt sich als schlauer, dabei aber stets menschlicher Gegenspieler des Aristokraten. »Tugend tut die Menschheit ehren; sich und andern Liebe lehren sei nun stets die erste Pflicht«, heißt es in einem Mozartlied (KV 623a). Mozart komponierte gegen Privilegien, Willkür, Borniertheit, Intoleranz. Seine Musik, sein Freimut, sein Witz müßten denen, die jetzt Geschäfte mit ihm machen, gegen den Strich gehen. Uns aber spricht der Diener im »Don Giovanni«, Leporello, aus der Seele, wenn er singt: »Keine Ruh' bei Tag und Nacht, nichts, was mir Vergnügen macht, Schmale Kost und wenig Geld, das ertrage, wem's gefällt! Ich will selbst den Herren machen, mag nicht länger Diener sein. Gnäd'ger Herr, Ihr habt gut lachen! Tändelt Ihr mit einer Schönen, dann muß ich als Wache fröhnen. Ich will selbst den Herren machen, mag nicht länger Diener sein.« Und mit Sarastro in der »Zauberflöte« singen wir: »In diesen heil'gen Hallen kennt man die Rache nicht, und ist ein Mensch gefallen, führt Liebe hin zur Pflicht. Dann wandelt er an Freundes Hand vergnügt und froh ins bessre Land.« Jürgen Meier
Press-KohlAls Claus Weinmann mal ein bißchen ins Glas geguckt hatte, teilte er den Lesern der Berliner Zeitung mit: »Langhansstraße welche Adresse wäre passender für die vielleicht größte WG dieser Stadt.« Keine Ahnung, welche Adresse passender für die vielleicht größte WG dieser Stadt wäre. »Auch wenn die Straße nach dem Architekten des Brandenburger Tores, Carl Gotthard Langhans, benannt ist, ist der Name hier Programm. Denn auch Rainer Langhans, Mitbegründer der Kommune 1, hätte an den Bewohnern seine helle Freude...« Aha. Die Langhansstraße in Berlin-Weißensee ist allerdings nicht nach dem Architekten des Brandenburger Tores, Carl Gotthard Langhans, benannt, sondern nach dem Generalbevollmächtig-ten des Großkaufmanns Schön, Johann Eduard Langhans. Ob dessen Name auch irgendwo Pro-gramm war, weiß nicht mal Weinmann. * In einer anderen Ausgabe des zitierten Blattes verriet uns Michaela Schlagenwerth etwas über die Wiederbegegnung mit einer sogenannten Ostliebe: »Die Ostliebe ist ihr im wirklichen Leben zuletzt vor fünf oder sechs Jahren wieder begegnet, durch Zufall, auf dem Ostbahnhof, ausgerechnet. Sie hatte es eilig, sie war hungrig und sie trug eine Plastiktüte mit warmem Asia Food in der Hand, die sie im Zug nach Leipzig verspeisen wollte.« Auf dem Ostbahnhof hat man schon manches erlebt. Jemand, dem die Ostlie-be zuletzt vor fünf oder sechs Jahren be-gegnete, durch Zufall, ausgerechnet, traf ich dort noch nicht. Öfter natürlich be-gegneten mir Geschöpfe, die es eilig hatten. Auch solche mit Plastiktüten in der Hand, vielleicht sogar mit warmem Asia Food, die sie im Zug nach Leipzig verspeisen wollen. Die Züge nach Leip-zig sollen manchmal geradezu überfüllt sein von Leuten mit warmem Asia Food. Man fragt sich nur, was sie verspeisen wollen: die Tüte? Die Hand? Die Ost-liebe als solche? Frau Schlagenwerth hat's nicht ausgeplaudert. Felix Mantel
Weltbühne -Jahrgänge 1978 bis Mitte 1990 nach Vereinbahrung abzugeben. Telefon: 030 97 16 405.
Erschienen in Ossietzky 2/2006 |
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