Freiheit und democracy

Evelyn Enzian

Warten Sie ebenso gespannt wie ich auf das Wahlergebnis aus dem Irak? Am 15. Dezember hat George W. Bush dort wählen lassen – ein Triumph des nun bald drei Jahre währenden heldenhaften US-amerikanischen Militäreinsatzes, der ja, wie wir alle wissen, mit seinem hohen Aufwand an Menschen und Material, Geld und (zumeist irakischem) Blut hauptsächlich dem edlen Ziel der Demokratisierung des Irak dient. Ende Januar, so der neueste Stand der Verhandlungen, werden die zuständigen Gremien zum Ergebnis gekommen sein.

Dem Wählerwillen, das ist klar, muß geholfen werden. Auch jetzt in Jerusalem. Die Araber dürfen sich dort zwar an der Wahl beteiligen, aber ihre zweitstärkste Partei, die Hamas, darf keine Kandidaten aufstellen. Sonst wäre die Wahl vielleicht allzu frei. Die Wähler müssen lernen, die richtige Partei zu wählen.

Altbewährt ist finanzielle Hilfe. Jüngst bestätigten sich Informationen über illegale Wahlkampffinanzierung zugunsten des israelischen Ministerpräsidenten Scharon. Dessen Sohn wurde überführt. Wenige Stunden später erlitt Scharon einen schweren Schlaganfall. Jetzt schweigt man respektvoll über die Affäre.

Schon heute steht fest, daß die bevorstehende Wahl in Weißrußland unkorrekt ausgehen wird, denn allgemein wird erwartet, daß die Belarussen mit großer Mehrheit ihren erfolgreichen Präsidenten Lukaschenko wiederwählen werden. Da er sich weigert, Belarus an russische, westeuropäische oder US-amerikanische »Oligarchen« zu verscherbeln, ist seine Wiederwahl unerwünscht, also unkorrekt. Nun braucht man nur ein paar hundert Revolutionäre, die aus Protest gegen das Ergebnis das Parlamentsgebäude in Minsk stürmen und in Brand setzen – wie früher schon in Belgrad und anderswo. Ihnen wäre weltweite Unterstützung sicher. (In Rußland, wo Präsident Putin womöglich einige Entscheidungen des großen Revolutionärs Jelzin rückgängig macht, hat Angela Merkel bei ihrem Antrittsbesuch den Menschenrechtsgruppen immerhin schon mal die Deutsche Botschaft als Schutzraum und Beratungsort angeboten – nach dem Vorbild der US-Botschaft in Havanna.)

Je seltener gewählt wird, desto weniger Gelegenheit haben die Wähler, falsch zu wählen. Und desto mehr Zeit haben unsere Oligarchen, auf ihre Weise den Gewählten klarzumachen, was sie tun müssen und vor allem was sie nicht tun dürfen. In diesem Sinne bereiten jetzt die Spitzen der Koalitionsfraktionen im Bundestag eine Wahlrechtsänderung vor, um die Wahlperiode von vier auf fünf Jahre zu verlängern. Warum nicht gleich auf sechs oder sieben? Wenn zu oft gewählt wird, könnte sich der ALG2-Empfänger an den Gedanken gewöhnen, seine Stimme zähle so viel wie die eines Oligarchen.

Wir wissen: Das Parlament hat allenfalls optischen Wert. Der Staat soll so aussehen, als wäre er demokratisch. Wie die Vereinten Nationen. In der UN-Vollversammlung haben die USA wie jedes große oder kleine Land nur eine Stimme. Dieses Parlament der Völker beschloß jüngst mit 182 gegen vier Stimmen (USA, Israel, Marschallinseln, Palau), »die Beendigung der Kuba von den Vereinigten Staaten von Amerika auferlegten Wirtschafts-, Handels- und Finanz-blockade« zu fordern. Erwartet etwa jemand, daß die USA, die großen Präzeptoren der Demokratie, diesem Beschuß nachkommen?

Erschienen in Ossietzky 2/2006