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Dieser aktuelle Dialog unter Experten findet statt in Hamburg, im Malersaal des Schauspielhauses, wo das Stück »Der moderne Tod – Vom Ende der Humanität« uraufgeführt wird. Als Vorlage dient das Buch des schwedischen Schriftstellers Carl-Henning Wijkmark, erschienen vor 28 Jahren. Vor einem Jahr brachte die FAZ einen Auszug, der Zweifel aufkommen ließ, ob es sich um eine Fiktion handelt. Jetzt, nach dem Auftreten des radikalen Sterbehilfe-Vereins »Dignitas« auch in Deutschland, ist die Aktualität noch gewachsen. Crescentia Dünßer hat die Theaterfassung erarbeitet und führt Regie. Das Publikum betritt den Theaterraum durch einen niedrigen Gang, in gleißendes Licht getaucht – wie der Todestunnel, über den Menschen berichten, die dem Tode nahe waren. Eine Kamera filmt unbemerkt die Hereinströmenden, die auf einer Leinwand sich selbst zusehen können. Eine kahle Bühne (Otto Kukla), Stehpulte auf Rollen, eine nüchterne Konferenzatmosphäre. Rechts ein Tisch mit elektronischen Geräten. Die Tür zum Tunnel wird geschlossen, das Symposion kann beginnen. Leicht und entspannend die Musik, Mozart natürlich, verschworen lächelnd die Vortragenden, drei Damen und drei Herren. Leider sind sie hier namen- und funktionslos, im Gegensatz zur schwedischen Fassung. Kein Ministerialdirektor im Sozialministerium – man darf dafür, wenn man will, den Hamburger Justizsenator Roger Kusch einsetzen, der bei irreversiblen Krankheiten, die zum Tode führen, das Tötungsverbot abschaffen will. Selbstverständlich nur mit notariell beglaubigter Erklärung des Kranken. Kusch verfolgt die Aufführung im Malersaal mit Interesse – um seine Argumente zu schärfen? In den Raum geworfen, auf die Leinwand: die »Altersexplosion«. Graphiken, Diagramme, Skalen, rote Linien: Beweise. Aus dem Mund des Vorsitzenden (Michael Prelle) fließt es wie nebenbei: »Wir brauchen schnell mehr Tote, um es ganz brutal zu sagen.« Die Lösung ist das »freiwillige Obligatorium«. Freiwillig meint einen »im Vorfeld in gut demokratischer Ordnung gefaßten zentralen Beschluß«, der die Altersgrenze fixiert, etwa bei 70 bis 75 Jahren. Die Alten spüren es ja selbst, die grauhaarige Vortragende (Hedi Kriegeskotte) spricht es aus, daß sie der Allgemeinheit nicht zur Last fallen wollen. Zwei jüngere Konferenzteilnehmer stürmen auf die Bühne. Sie im Sportdreß mit karierten Kniestrümpfen und Pferdeschwanz (Helene Grass) springt vor lauter Kraft die Wände hoch. Er (Marco Albrecht) verwandelt sich vom jungen Geschäftsmann in einen Affen im Gorillakostüm, er macht den Affen (später kehrt er in sein hellblaues Jackett und zur Designerbrille zurück, wird wieder einer, der zu allen Themen, die gerade gefragt sind, etwas sagen muß). Die Beiden rollen ihre älteren Kollegen an die Wand, ins Abseits; die aber lassen sich noch nicht abschieben, bleiben im Rennen. Bilder aus einem Fotoalbum sollen Beweise liefern. Greisengesichter mit gequälten Zügen, daneben das entspannte Toten-antlitz. Überzeugend. Zahlen, ans Pult geschrieben, wie viel gespart werden könnte, wenn... Schon Luther hat das Problem gekannt. Die Wechselbälge, nur ein Stück Fleisch ohne Seele, ein Monster, kein Mensch. Der Affe hat seinen Kopf abgenommen – so läßt es sich besser dozieren –, hält den Gesellschaftswert gegen den Menschenwert. »Jetzt sitzen wir da mit einer Menge gut trainierter Rentner, die sehr gut weiter arbeiten könnten und es auch tun würden...« Was anfangen mit dieser »überjährigen und vollkommen unnützen Lebenskraft«? Die arbeitslose Jugend drängt nach. Warum, die Frage stellt sich, sollen nicht alle Menschen die gleiche Lebensdauer haben. Man muß Grenzen setzen gegen den »blinden Vitalismus« – in den USA habe man Versuche unternommen, weiß er. Die Kirchen ständen dahinter. Die Musik unterstreicht die Worte, Big Band ist angesagt, Aufbruch. Die Tür geht auf, und ein neuer Konferenzteilnehmer erscheint. Langsam geht er auf ein Pult zu, ein alter Mann. Steht da, sagt kein Wort, steht auf der Bühne wie ein Requisit. Später wird er hinten an die Wand geschoben und verschwindet schließlich im Todestunnel – nur ein Anschauungsobjekt, das keine Stimme hat. Ein weiteres Requisit wird auf die Bühne gerollt, ein leeres Krankenhausbett, mit allen Raffinessen ausgestattet, elektronisch zu bewegen. Der Pfleger (Tim Grobe) spielt mit blöd verschmitztem Gesicht an der Fernbedienung. Bis die Kissen herunterfallen und ein Teddy auf dem Boden landet. Dann wird der Pfleger zum stimmgewaltigen Redner, der wie ein Talkmaster mit dem Mikrophon herumläuft, das Publikum direkt anspricht und sein Mitgefühl jammernd darbietet: ein »früher blühendes Geschöpf, das nun abhängig von Apparaten...« Sein Heulen geht in ein Schreien über, er geilt sich auf an der eigenen Rede, eine Werbenummer für eine Ethik der besonderen Art. Und die Musik spielt Tango, alle tanzen wie in einer Show, um die Ware Tod besser zu verkaufen. Wie die Geburtenkontrolle muß eine »Todeskontrolle« eingeführt werden, sagt der Vorsitzende. Und: »Wir glauben, daß das am besten im Namen der gesellschaftlichen Solidarität geschieht.« Einfach an das »Wir-Gefühl« appellieren. Fast unmerklich baut sich die Opposition (Marlen Diekhoff) auf, nennt Hitler, sieht die damalige Situation der heutigen ähnlich: Depression und Arbeitslosigkeit. Sagt, was hier verhandelt wird, diesen Vernichtungsplan, werde sie weiterhin Mord nennen, »Gerontocid«. Sie hofft auf einen Protest der Alten, eine Widerstandsbewegung gegen die Erwartungen der Gesellschaft. Ihre Mimik, ihre leisen, eindringlichen Worte rufen zum Eigensinn auf, zur Flucht aus dem Land. Die andern nennen es »Körperflucht« ins Ausland, die man verhindern muß. Denn ein B-Projekt, das am Ende noch vorgestellt wird, bestimmt die industrielle Verwertung der Menschen, dieser »unerschöpflich nachwachsenden Rohstoffquelle«. Helfen sollen dabei »Terminalstationen«, die überall errichtet werden. Die Körper, die nicht mehr Produktionsmittel sind, sollen zu Produkten verarbeitet werden. Und so liegen am Ende hinten auf der Bühne zwei zerquetschte, zermahlte, zerbröselte Gestalten – an Max und Moritz zu denken, kommt mir makaber vor, nach allem, was vorausging. Die grausige Vision findet großen Beifall. Wie aber Justizsenator Kusch reagiert, kann ich nicht sehen. Eine eigene Bearbeitung des Stückes hat am 26. Januar an der Neuen Bühne Senftenberg Premiere.
Erschienen in Ossietzky 2/2006 |
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