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Ihr Fall liegt bei Gericht. Seit mehreren Monaten arbeitet die kaufmännische Angestellte Anita B. in der niedersächsischen Kleinstadt Varel (Friesland) in der örtlichen Geschäftsstelle des regionalen Monopolblatts, der Nordwest-Zeitung ( NWZ ) aus Oldenburg. Seitdem streiten sich Geschäftsführung und Betriebsrat, ob Frau B. dort rechtmäßig beschäftigt wird. Denn sie hat keinen Arbeitsvertrag mit der NWZ . Anders als ihre in den Ruhestand gewechselte Vorgängerin ist sie nicht als Arbeitnehmerin der NWZ -Verlagsgesellschaft eingestellt worden. Sie wird als Leiharbeitnehmerin geführt. Anita B. ist angestellt bei der NW-Personaldienstleistungsgesellschaft mbH & Co. KG. Diese Zeitarbeitsfirma, an welcher der NWZ- Konzern mit 25 Prozent beteiligt ist, verfügt über eine Lizenz zur Arbeitnehmerüberlassung und leiht nicht nur Frau B., sondern auch etliche andere Angestellte und Redakteure an die Nordwest-Zeitung aus. Alle Entliehenen verdienen weniger als ihre bei der NWZ angestellten Kolleginnen und Kollegen, obwohl sie durchweg die gleiche Arbeit machen. Und obwohl das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vom Prinzip »equal pay« ausgeht, wonach Leiharbeitnehmer der Stammbelegschaft grundsätzlich gleichzustellen sind. Der NWZ -Betriebsrat hat deshalb der Einstellung und der finanziellen Eingruppierung der Entliehenen widersprochen. Er protestiert gegen Lohndumping. Außerdem macht er vor Gericht geltend, daß die von der NWZ -Geschäftsführung angekündigte Praxis, Leiharbeitnehmer statt Stammpersonal einzustellen, eine Betriebsänderung darstelle, die laut Betriebsverfassungsgesetz ohne Beteiligung des Betriebsrates nicht zulässig sei. Zudem sei diese Verleihpraxis grundgesetzwidrig, sie verstoße gegen Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie. Denn 1999 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden: »Eine Einschränkung oder Behinderung der Koalitionsfreiheit liegt (...) auch in Abreden oder Maßnahmen, die zwar nicht die Entstehung oder den rechtlichen Bestand des Tarifvertrages betreffen, aber darauf gerichtet sind, dessen Wirkung zu vereiteln oder leerlaufen zu lassen.« Bei der NWZ , so der Betriebsrat, treffe dies heute schon für die Journalisten-Lehrlinge (Volontäre) zu. Inzwischen hat nämlich die Mehrheit der Volontäre des Oldenburger Blattes den Status von Leiharbeitnehmern. Der bundesweit gültige Ausbildungstarif für Redakteure, den die damalige IG Medien nach einer zehnjährigen Kampagne Ende der 1980er Jahre bundesweit erstreikt hatte, sei somit als »kollektive Ordnung« rechtswidrig aus dem Betrieb verdrängt und seiner zentralen Funktion beraubt worden. Mit Unterstützung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) will der NWZ -Betriebsrat den Streit notfalls durch alle Instanzen treiben. Denn, so erläutert Betriebsratsvorsitzender Ulrich Janßen: »Es geht dem Verlag nicht darum, vorübergehend höheren Personalbedarf abzudecken oder erwerbslose Menschen über Leiharbeit in feste Arbeitsverhältnisse zu bringen.« Erklärtes Ziel der Geschäftsführung sei vielmehr, mit der dauerhaften Einstellung von Leiharbeiternehmern die Branchentarife zu unterlaufen, um den Gewinn zu steigern. Das böse Beispiel macht Schule. In Bremerhaven versammelten sich dieser Tage die Redakteure der Nordsee-Zeitung, um gegen eine drohende »Zwei-Klassen-Gesellschaft« in ihrer Redaktion zu protestieren. Denn der Verlag will mehrere Redakteursstellen mit Leih-Journalisten besetzen, die unterhalb des Redakteurstarifs entlohnt werden sollen. Bei der Bremer Tageszeitung AG, die den Weser-Kurier und die Bremer Nachrichten herausgibt, ist eine Mehr-Klassen-Gesellschaft bereits etabliert: An den Rotationsmaschinen arbeiten rund 50 Prozent der Drucker weit unter Tarif im Rahmen eines Werkvertrages, den die Bremer Tageszeitungs AG mit der Personalservice-Firma TMI aus Ahrensburg bei Hamburg abgeschlossen hat. Gleichzeitig werden seit einiger Zeit Kaufleute und Redakteure außerhalb der gültigen Branchentarifverträge als LeiharbeitnehmerInnen beschäftigt. Inzwischen hat auch eine Reihe kommunaler Unternehmen, besonders im Krankenhausbereich, entdeckt, wie sich mit eigenen Verleihfirmen Gehälter nach unten drücken lassen. Volker Homburg, der Vorsitzende des »Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V.« (IGZ), freut sich derweil, daß die Leiharbeitsbranche boomt: »Eine Erfolgsgeschichte!« So bilanzierte er zum Jahreswechsel die Entwicklung der Zeitarbeitsfirmen, die prächtig am Verleih von Arbeitskräften verdienen und zweistellige Wachstumsraten vorweisen. Rund 400.000 Beschäftige sind gegenwärtig bei Zeitarbeitsunternehmen unter Vertrag, etwa 1,5 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigen. In vier Jahren werden es, so die IGZ-Prognose, bereits 800.000 sein. Der »wachsende Zwang der Unternehmen zur Flexibilisierung«, freut sich die IGZ-Spitze, lasse die Nachfrage nach Leiharbeitern boomen: »Während Beschäftigung überall abgebaut wird, legt die Zeitarbeit stetig zu.« Dafür sorge nicht zuletzt die »Deregulierung, die im Zuge der Hartz-Gesetze durch das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eingeführt wurde«. Helmut Platow verweist ebenfalls auf die Hartz-Kommission. Der Rechtsanwalt und ver.di-Justitiar berät die betroffenen Betriebsräte. Er sagt, Umstrukturierungen und Betriebsübergänge hätten den Unternehmern jahrelang »als Königsweg der Tarifflucht« gegolten. Nun gebe es mit Leiharbeit eine neue Variante. Möglich mache dies das 2004 mit dem »Ersten (Hartz-) Gesetz für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« geänderte Arbeitnehmerüberlassungsgesetz – allerdings entgegen der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers, meint Platow. »Es war und ist nicht das Ziel der Gesetzesänderung, breit angelegtes Lohndumping zu fördern und Stammarbeitsplätze zu substituieren«, betont auch eine Referentin des SPD-Vorstands in ihrer Antwort auf eine Anfrage des NWZ -Betriebsrates beim damaligen SPD-Partei- und Fraktionschef und heutigen Arbeitsminister Franz Müntefering. Die Unternehmer aber sehen ihr Vorgehen durch zwei Änderungen legitimiert: Seit 2004 dürfen Leiharbeitnehmer ohne zeitliche Begrenzung ein und demselben Entleihunternehmen überlassen werden. Bei dieser Entscheidung sei bedacht worden, wusch im vergangenen Jahr der damalige Wirtschaftsstaatssekretär Rudolf Anzinger die Hände des Gesetzgebers in Unschuld, »daß damit die Gefahr der Verdrängung von Stammbelegschaften besteht«. Um dies zu vermeiden, sei gegen den Protest der Unternehmerverbände der (von der EU in einer Richtlinie verbindlich vorgegebene) Grundsatz der Gleichbehandlung von Stamm- und Leiharbeitnehmern gesetzlich verankert worden. Der funktioniert in Deutschland allerdings nach dem Motto von Radio Eriwan: Im Prinzip ja, aber...: Durch tarifvertragliche Vereinbarungen darf von »equal pay« abgewichen werden. »Damit«, so freute sich der Staatssekretär, »liegt es in der Verantwortung der Sozialpartner, hier ausgewogene Regelungen zu finden, die einerseits die Flexibilitätsinteressen der Unternehmen und andererseits die Schutzinteressen sowohl der Stammbelegschaften als auch der Leiharbeitnehmer berücksichtigen.« Die Spitzen der DGB-Gewerkschaften glauben, dieser Verantwortung gerecht geworden zu sein. Im Wettlauf mit dem Christlichen Gewerkschaftsverband haben sie parallel zur Gesetzesänderung flächendeckende Tarifverträge mit den Arbeitgeberverbänden der Zeitarbeitsbranche geschlossen. Die Stundensätze beginnen bei rund sieben Euro im Westen und sechs Euro im Osten, also unterhalb des von ver.di geforderten gesetzlichen Mindestlohns von 7,50 Euro. Und sie liegen in der Endstufe (für Hochschulabsolventen) bei rund 17 Euro. Ein Vertragsabschluß, in dem sich auch der minimale Organisationsgrad der Leiharbeitnehmer spiegelt: Die Gewerkschaften haben unter ihnen kaum Mitglieder. Amadore Kobus, Landesleiterin des ver.di-Medienfachbereichs in Hannover, rechnet vor: Während ein Drucker laut Branchentarif derzeit 17,97 Euro pro Stunde an Grundlohn erhält, würde er laut Zeitarbeitstarif nur zwischen 10,66 und 11,46 Euro erhalten – und keine Zuschläge für Überstunden, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, weniger Jahressonderzahlung und Urlaubsgeld, er müßte länger arbeiten und erhielte weniger Urlaub. Redakteursgehälter differieren laut NWZ-Betriebsrat zwischen Branchen- und Zeitarbeitstarif je nach Eingruppierung um mindestens 4.300 und bis zu 23.000 Euro im Jahr. Einige Betroffene in Bremen, die sich um »equal pay« betrogen sehen, haben inzwischen ihren Gewerkschaftsaustritt erklärt – was sie nicht stärker gemacht hat.. Der IGZ jubelt dagegen, »durch die Sozialpartnerschaft mit den Gewerkschaften« habe sich »die Attraktivität der Zeitarbeit« erhöht. Gleichzeitig sieht er »große Gefahren«: Sollte Zeitarbeit ab Ende dieses Monats wie geplant unter die neue EU-Dienstleistungsrichtlinie, die sogenannte Bolkestein-Richtlinie, fallen und für grenzüberscheitende Arbeitnehmerüberlassung das Herkunftslandprinzip gelten, würden ausländische Verleihfirmen das deutsche Tarifniveau ganz legal unterlaufen dürfen. Also noch mehr Lohndumping. Dies gelte um so mehr, so der IGZ, »weil es in Deutschland anders als in anderen EU-Staaten keine Lohnuntergrenzen gibt«.
Erschienen in Ossietzky 2/2006 |
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