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Hans-Werner Sinn, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München (ifo), erklärt den »Pessimismus der Deutschen« immerhin als »rationale Reaktion auf die Erkenntnis objektiver wirtschaftlicher Probleme, insbesondere der Massenarbeitslosigkeit und der allgemeinen wirtschaftlichen Stagnation«. Notwendig seien »Reformen, die die grundlegenden Strukturprobleme des Landes angehen«. Die bisherigen »Reformen« des Arbeitsmarkts und der Sozialsysteme gehen ihm nicht weit genug. Als scheinbar positives Beispiel nennt er Neuseeland: Dort hätten »Reformen« die Wirtschaft einen Schritt nach vorne gebracht, nach fünf schwierigen Jahren seien die Neuseeländer heute optimistisch. Professor Sinn verschweigt, daß Neuseeland nicht das einzige Land ist, in dem »Reformen« dieser Art durchgeführt wurden. Nehmen wir meine Heimat Argentinien: Kaum ein anderes Land hat in den 90er Jahren so radikale »Reformen« des Arbeitsmarktes und der Marktwirtschaft durchgemacht. Als Resultat sind 60 Prozent der Menschen dort arm. Nach offiziellen Angaben leben acht Millionen Kinder unter dem Existenzminimum; 3,5 Millionen sind unterernährt. Und das ist nur ein Gegenbeispiel. Paul Nolte, Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin, ist der Meinung, daß die Deutschen unter einem Mangel an pragmatischem Optimismus leiden; es fehle eine Lebenseinstellung des »can do«. Dem Leben mit Bescheidenheit und Hartnäckigkeit entgegenzutreten, könne zwar die Wirklichkeit nicht ändern, helfe aber, an die Möglichkeit eines Wechsels zu glauben. Nolte erklärt nicht, welche Art von Wechsel er meint. Positiv denken ist ja nicht schlecht, aber die Frage steht: Was tun? Ich denke, daß die Montagsdemonstranten gegen das Hartz-IV-Gesetz eine richtige Lösung gefunden haben. Aber ob Nolte daran gedacht hat? Henning Scheich, Direktor des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg, verkündet, daß Optimismus nicht nur eine äußere Belohnung bekommt: »Sobald der Mensch eine Lösung für sein Problem gefunden hat, gibt es einen kurzen, als angenehm empfundenen Dopamin-Ausstoß im Gehirn … Das Gehirn belohnt sich also selbst ... Diesen kleinen Kick muß sich jeder selbst erarbeiten.« Die Darstellung der chemischen Reaktion mag richtig sein. Nur vergißt Scheich zu erwähnen, daß der Mensch in einer Gesellschaft lebt, also immer auf Kontakte zu anderen Menschen angewiesen ist. Nehmen wir als Beispiel den Optimismus eines Kapitalisten, der einen Rekordgewinn für seine Firma erzielen will. Zu diesem Zweck wird er neue Techniken einführen, Arbeiter entlassen oder ihre Löhne kürzen oder ihnen einen längeren Arbeitstag aufzwingen. In diesem Fall wird sein optimistischer »Kick« zum Pessimismus seiner Arbeiter. Denkt Herr Scheich, das Problem von Langzeitarbeitslosen läge darin, daß sie ihren eigenen, höchstpersönlichen »Kick« nicht finden? Noch zynischer kommt uns Susan Neiman, Direktorin des Einstein-Forums in Potsdam. Die Deutschen vergäßen, was sie in den letzten 60 Jahren erreicht haben. Deshalb helfe »der Blick ins Ausland ..., den Unmut über den unvollkommenen Wohlstand zu relativieren ... Wir leben nicht in der besten aller möglichen Welten. Aber die Welt, in der wir – vor allem in Europa – leben, ist gut genug, um die Bedingungen dafür zu liefern, daß sie verbessert werden kann – solange wir die Hoffnung nicht verlieren.« Wenn es den Deutschen nicht gut geht, sollen sie also an die Franzosen denken, denen es schlechter gehe. Die Franzosen können ein Gleiches in bezug auf die Spanier tun. Die Spanier können dann ihre Realität mit der lateinamerikanischen vergleichen. Die Lateinamerikaner können denken, daß den Afrikanern noch schlimmer geht. Und die Afrikaner können an Hunger sterben. Für Norbert Bolz, Professor für Medienwissenschaft an der Technischen Universität Berlin, gilt: »Je mehr die Politik in ihrer unendlichen Fürsorglichkeit für uns entscheidet, um so hilfloser werden wir.« Eine solche Betreuung dürfe man nicht einfordern. Einstweilen könnten wir »immerhin trainieren; zum Beispiel Sport treiben oder Diät halten«. Die deutschen ALG-II-Empfänger werden für diesen Rat gewiß dankbar sein. Oliver Voss von der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt (»Werbung kann, ganz einfach und ganz kurz, Stimmungen reflektieren und mit einem starken Motto beeinflussen«) ist der Erfinder des Slogans »Du bist Deutschland«. Er teilt mit, daß er versucht habe, dem deutschen Volk Mut und Motivation zu geben, damit man die Reformen und die gegenwärtige Realität optimistischer und hoffnungsvoll akzeptiere. Denn das sei für »den wirtschaftlichen Aufschwung ... zentral«. Voss vergleicht: 60 Prozent der US-Amerikaner glaubten, daß sie ihr Schicksal selbst in der Hand haben und daß sie selbst etwas bewegen können, aber nur 30 Prozent der Deutschen seien derselben Meinung. Das Ziel der Kampagne »Du bist Deutschland« sei, die Anzahl der Optimisten zu erhöhen. Aber es gibt nun einmal einen Unterschied zwischen mir, wenn ich mir als personifiziertes Deutschland vorkommen soll (Student, arbeitslos, ohne finanzielle Unterstützung, noch dazu Ausländer), und dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Josef Ackermann, wenngleich auch er Ausländer, nämlich Schweizer, ist. Deutschland wurde Export-Weltmeister, deutsche Großunternehmen erzielen Rekordgewinne. Das reicht der Wirtschaft nicht, sie will mehr – da ist sie sehr optimistisch. Dafür braucht sie »Reformen«. Dem Rest der Gesellschaft (Arbeiter und ihre Familien, Studenten, Arbeitslose und Rentner) soll nicht anderes übrigbleiben, als diese zu ertragen. Sie sollen glauben, sie seien Deutschland. Sich als Teilhaber von etwas fühlen, dessen Urheber sie eigentlich sind und von dem sie trotzdem nur wenig kriegen: den enormen Profiten des Kapitals. Wir sind nicht alle »Deutschland«. Es gibt Reiche und Arme; die einen leben vom Reichtum, den die anderen schaffen. Um diese Erkenntnis zu verhindern, werden wir mit Werbekampagnen bombardiert und mit Artikeln, in denen begründet wird, daß es besser sei, ruhig und passiv zu bleiben und geduldig zu warten, bis die Probleme irgendwann von selbst verschwinden. Es gibt jedoch Ideen, diese Welt zu verändern: Sie müssen nur noch verwirklicht werden – mit Optimismus, versteht sich.
Erschienen in Ossietzky 2/2006 |
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