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Wie der Generalbundesanwalt im Fall Abu Omar in einem Schreiben vom 25.8.2005 ausgeführt hat, wird »Verschleppung« historisch als Straftat gesehen, die von totalitären Regimen ausgeht, zum Beispiel von der DDR. Im Falle Abu Omar (und ähnlich wird der Generalbundesanwalt wohl auch seine Entscheidung im Fall El Masri begründet haben) seien die Täter aber nicht in einer Diktatur, sondern wahrscheinlich in einer Demokratie, nämlich in US-amerikanischen Institutionen zu suchen. An dieser Begründung ist mehrerlei schief. Daß die Verschleppung von einer Diktatur oder gar einem totalitären Regime ausgehen müsse, wird von § 234 a StGB nicht als Tatbestandsmerkmal gefordert. Auch in den Kommentaren zu § 234 a StGB sucht man nach einer solchen Interpretation vergeblich. Der Generalbundesanwalt fügt also dem Gesetz eine neuartige Bedingung der Strafbarkeit hinzu. Mit einem solchen Erfordernis – der Gesetzgeber hätte mit einer bestimmten Täterkonstellation rechnen müssen – hätten die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen nie verfolgt werden können. Denn bei der Schaffung des Strafgesetzbuches hat niemand sich träumen lassen, Verbrechen, gar Massenmorde könnten im Namen des Staates begangen werden. Voraussetzung ist nach § 234 a StGB allein, daß die Verschleppung einen Menschen der Gefahr aussetzt, aus politischen Gründen verfolgt zu werden und hierbei im Widerspruch zu rechtstaatlichen Grundsätzen durch Gewalt- oder Willkürmaßnahmen Schaden an Leib oder Leben zu erleiden oder der Freiheit beraubt zu werden. Nicht erforderlich ist hingegen, daß sich auch die historische Konstellation, die den Gesetzgeber zum Erlaß des Gesetzes veranlaßt hat – hier: Verschleppung durch stalinistische Regime – im konkreten Fall wiederholt hat. Auch die Gründe der Verschleppung, nämlich der mit ihr verfolgte Zweck, brauchen nicht verwerflich zu sein. Die Verschleppung eines Menschen (mit Auslieferung in einen rechtsfreien Raum) ist immer verwerflich. Auch hier heiligt der Zweck nicht das Mittel. Besonders im Fall einer Auslieferung in ein Land wie Ägypten (Fall Abu Omar) besteht die Gefahr politischer Verfolgung. Dort prallen religiös-politische Fronten aufeinander, deren Exponenten zur gegenseitigen Bekämpfung nicht vor ungesetzlichen und menschenrechtswidrigen Maßnahmen zurückscheuen. Wenn jemand mit der Verdächtigung, er sei in die gesetzwidrigen Aktionen der einen oder anderen Seite verstrickt, in ein solches Land überstellt wird, liegt die Gefahr auf der Hand, daß ihm dort – nicht aus irgendwelchen, sondern gerade aus politischen Gründen – Schlimmes widerfährt. Der Generalbundesanwalt meint, im Fall einer Entführung nach Ägypten sei der Entführte nicht der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt. Denn »ausschließliches Ziel« der USA sei in solchen Fällen allein die »Bekämpfung des radikal islamistischen Terrorismus«. Der Generalbundesanwalt geht hier von einem einseitig verengten Politikbegriff aus. Wie weit man die wirkliche oder angebliche Absicht der Bekämpfung des radikal islamistischen Terrorismus in den Dienst politischer Ziele stellen kann, ohne dabei vor gröbsten Rechtsverletzungen zurückzuschrecken, haben gerade die USA in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder gezeigt, zuletzt erneut mit völkerrechtswidrigen Angriffskriegen, rechtsstaats- und menschenrechtswidriger Behandlung von Gefangenen und anderen Maßnahmen. Nochmals zu der angeblichen Voraussetzung, die Straftat müsse von totalitären Regimen ausgegangen sein: Mit dieser Voraussetzung, die in dem Gesetzeswortlaut keinerlei Stütze findet, stellt der Generalbundesanwalt die Dinge nahezu auf den Kopf. Ist es denn weniger schlimm, ist es nicht sogar besonders unerträglich, wenn Verschleppungen und andere Menschenrechtsverstöße in einem Staat mit dem Anspruch des demokratischen Rechtstaats begangen werden, vielleicht sogar unter Mitwirkung oder Billigung der staatlichen Organe? § 234 a StGB würde dann in der Mehrzahl der Fälle obsolet: Die im Zugriffsbereich einer rechtsstaatlichen Justiz lebenden Täter brauchten eine Kontrolle durch die Strafverfolgungsbehörde nicht zu befürchten. Der Täter im Herrschaftsbereich einer Diktatur wird man dagegen voraussichtlich frühestens nach dem Zusammenbruch des Regimes habhaft. Und dann sind die Taten meist verjährt – wie im Fall der DDR, übrigens einem der seltenen Ausnahmefälle, in denen man an solche Täter überhaupt herankommt. Der Generalbundesanwalt hat die Vorschrift des § 234 a StGB im Dienst außenpolitischer Interessen instrumentalisiert. Menschenrechtsverächter in Demokratien und in totalitären Staaten können sich hier die Hände reichen. Nach der Begründung des Generalbundesanwalts spielt selbst die Auslieferung an ein totalitäres Regime keine Rolle: Der Umstand allein, daß Abu Omar einem totalitären System überantwortet worden ist, könne an der Bewertung, der Tatbestand der Verschleppung sei nicht erfüllt, nichts ändern. Ich sehe es umgekehrt: Die Zusammenarbeit, durch die sich ein Staat mit rechtstaatlichem Anspruch in die Komplizenschaft zu einem menschenrechtswidrigen System begibt, muß geradezu als ein erschwerendes Merkmal gewertet werden. Unter den mit den Ermittlungen in den Fällen El Masri und Abu Omar befassten Strafverfolgungsbehörden steht der Generalbundesanwalt allein da. Die Staatsanwaltschaft Memmingen betrachtet den Fall El Masri weiterhin als Verschleppung. Weil der Tatbestand der Verschleppung in die Kompetenz des Oberlandesgerichts München und der dortigen Staatsanwaltschaft falle, hat sie den Fall nach München abgegeben. Im Ergebnis ist allerdings zu befürchten, daß die Staatsanwaltschaften gegenüber außenpolitischen Freunden, mögen sie sich noch so schwerwiegender Verstöße gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte schuldig gemacht haben, beide Augen zudrücken. Ebenso wie es neuerdings böse Folter und gute Folter und böse Lügen und gute Lügen (insbesondere zur Begründung völkerrechtswidriger Angriffskriege) gibt, gibt es nun auch strafrechtlich zu verfolgende Verschleppungen im Dienst der schlimmen und nicht verfolgbare im Dienst der guten Sache. Und nachdem bereits Artikel 26 Grundgesetz und § 80 StGB (Strafbarkeit der Vorbereitung eines Angriffskriegs) praktisch außer Geltung gesetzt worden sind, droht dem Tatbestand des § 234 a StGB ein ähnliches Schicksal. Oder sollte es bei den beteiligten Strafverfolgungsbehörden doch Staatsanwälte mit Rückgrat geben?
Erschienen in Ossietzky 2/2006 |
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