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Bei »Frieden« lassen Schlagerfreunde es schon mit »einem bißchen« genug sein und übertreiben die Tugend der Neuen Bescheidenheit. Man möchte ihnen zurufen: »Freunde, bitte keine Halbheiten, der ganze Frieden, die ganze Freiheit – ungeschmälert, ungeteilt müssen sie sein. Ein Bißchen, so ein Appetithäppchen, ist entschieden zuwenig. Seht dagegen unsere Volksvertreter. Die haben die Untat der Luftpiraten am 11. September nicht nur mit Worten mißbilligt, nein, sie haben gehandelt – nach Auffassung mancher Kritiker zu heftig und am Rande der Legalität – und das rasch zusammengezimmerte Luftfahrtgesetz beschlossen. Damit hat der Bundestag eine Handhabe für unser Militär geschaffen, den Schurken im Luftraum die Luft abzudrehen. Sie werden mit Raketen vom Himmel geholt, falls zu befürchten ist, daß sie das gekaperte Flugzeug als Angriffswaffe benutzen und damit auf der Erde großen Schaden anrichten. Bei den Gesetzesberatungen hatten die Abgeordneten besonders die denkbar schlimmste Katastrophe im Blick, die Zerstörung eines Atomkraftwerkes, ein in der Tat scheußlicher Gedanke, der uns schaudern läßt. Die vom Parlament dem Verteidigungsminister erteilte Ermächtigung gilt selbst dann, wenn die Insassen dabei den Tod finden. Andere Maßnahmen, die den befürchteten Angriff abwehren, aber gleichzeitig Gesundheit und Leben der in Geiselhaft genommenen Fluggäste schonen, hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Man bedenke, wie kraß sich das Risiko für dich und mich erhöht, wenn wir eine Urlaubsreise antreten und – ein unkalkulierbares Pech – das falsche Flugzeug gebucht haben. Das Gesetz sorgt dafür, daß der Passagier diesen Fehlgriff todsicher mit dem Leben bezahlt. Wo sind da Frieden und Freiheit geblieben? Die Parlamente versprechen durch friedensstiftende und friedenserhaltende Maßnahmen das Leben sicherer zu machen. Sie verschweigen aber, daß es für den Bürger dabei um Kopf und Kragen gehen kann. Da singt niemand mehr von »grenzenloser Freiheit über den Wolken«. Damit ist nun Schluß. Frieden und Freiheit werden in die Warteschleife geschickt oder bleiben auf der Strecke. Das Gesetz hat starken Widerspruch erfahren. So hat der Strafrechtler und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel von der Universität Hamburg Verfassungsbeschwerde eingelegt und seine Bedenken in der Zeit veröffentlicht: »Über die Reichweite von Grundrechten kann man lange streiten. Zum unbestrittenen Kernbestand ihres Sinnes gehört es jedoch, die Zulässigkeit solcher lebensverrechnenden Kalküle kategorisch auszuschließen. Niemand, der ein Grundrecht auf Leben hat, muß dieses Leben zugunsten anderer, denen er nichts getan hat und nichts tun will, die er nicht bedroht, ja nicht einmal kennt, opfern lassen. Das außer Zweifel zu stellen, gehört zu den schlechthin primären Funktionen des Lebensrechts. Gestattet sich der Staat nun unter bestimmten Bedingungen selbst eine Opferung von Menschenleben zugunsten Dritter, so excludiert er die Betroffenen im Anwendungsfall aus der Sphäre des Rechts. Er entzieht ihnen den Status als Inhaber von Grundrechten.« Man wundert sich, warum diese zentrale Frage in der Öffentlichkeit kaum Echo hatte. Schuld ist neben Mangel an Information der Zeitgeist, für den Menschenwürde eine leere Phrase ist: Unbedenklich werden Menschenleben gegen Menschenleben aufgerechnet. In diese Richtung zielt auch die Bitte des Bundes-präsidenten, der angemahnt hat, die »Abschußregelung« zu überprüfen, weil sie das von der Verfassung garantierte Grundrecht auf Leben verletzen könnte. Die Einwände gegen das Gesetz haben zugenommen. Das Bundesverfassungsgericht wird im Frühjahr entscheiden. Zu den Beschwerdeführern gehört auch der frühere Bundesinnenminister Burkhard Hirsch (»… kein Rechtstaat hat bisher gewagt, seiner Polizei oder seinen Soldaten zu erlauben, auf Verdacht hin die Opfer eines Verbrechens in wohlmeinender Absicht zu erschießen«). Offen ist auch die Frage, wer die Kosten für die Sicherheitsmaßnahme trägt. Die Fluggesellschaften? Der Staat, der seinen Haushalt schon kräftig überzogen hat? Zu Recht kann der Bürger fordern, über Gesetzesvorhaben von dieser Tragweite und Brisanz rechtzeitig, vollständig und vorbehaltslos unterrichtet zu werden, um sich an der demokratischen Willensbildung beteiligen zu können. Vielleicht war es voreilig, Begriffe wie Perestroika und Glasnost als veraltet abzutun. Mit ihrer Hilfe könnten, wenn ein Gesetz so unausgegoren ist und die Experten sich um die Auslegung streiten, wenigstens im Falle der Anwendung die ärgsten Pannen vermieden werden. Sonst müßten wir bei bloßem Verdacht, der nach dem Flugsicherheitsgesetz zum Abschuß einer vermeintlich entführten Maschine ausreicht, auf die Gedenktafel für die Opfer schreiben: »Killed bei mistake«. So war es im Wilden Westen guter Brauch, wenn jemand irrtümlich als Pferdedieb aufgehängt wurde, was gelegentlich vorkam.
Erschienen in Ossietzky 2/2006 |
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