Nobelpreis? Halt's Maul!

Otto Köhler

Zeit in sich zu gehen. Wer vor der Wahl Günter Grass kritisierte, weil der für die Verleihung des Friedensnobelpreises an Gerhard Schröder plädierte, wurde von den Anhängern des Literaturnobelpreisträgers abgestraft. Grass war dem Irrtum erlegen, daß Gerhard Schröder, der sich 1999 als erster deutscher Kriegskanzler seit Hitler profiliert hatte, doch noch Friedenskanzler geworden sein könnte. Und das nur, weil er sich allen sichtbar dem US-Krieg gegen den Irak als Bundesgenosse verweigert hatte – unmittelbar vor der Wahl 2002, die er gewinnen wollte, gewinnen mußte.

Vor der Wahl im letzten September hätte Grass, als er sich für seinen Friedenskanzler einsetzte, bei zumutbarer Anstrengung auch seines Verstandes erkennen müssen, wie sehr er sich irrte. Schon im Juni hatte das Bundesverwaltungsgericht den Major Florian Pfaff vom Vorwurf der Gehorsamsverweigerung freigesprochen, mit der Begründung, daß die Bundesregierung sich völkerrechtswidrig an Angriffshandlungen gegen den Irak beteiligt habe – genau so, wie der Major seine Verweigerung begründet hatte.

Aber jetzt kann es selbst Günter Grass nicht länger ignorieren. Unter der Verantwortung der Regierung Schröder hat der von Hitlers Foltergeneral Gehlen gegründete Bundesnachrichtendienst zum Kriegsbeginn gegen den Irak Angriffsziele für Luftangriffe ausspioniert.

Und während die Blüte unserer Intelligenz beim Friedenskanzler – der sich bei anderen Gelegenheiten der »Enttabuisierung des Militärischen« rühmte – dessen vorzüglichen Rotwein pries und sich um den Verstand trank, weilten Verfassungsschutz und BND sechs Tage lang zwecks »Informationsgewinnung« im US-Folterzentrum Guantanamo. Auf ausdrückliche Anordnung der Regierung, zu deren »Reformpolitik« es für unseren Literaturnobelpreisträger noch Tage nach der Wahl »keine Alternative« gab.

Es würde Günter Grass ehren, wenn er in aller Form sein öffentlich geäußertes Verlangen zurückzöge, Gerhard Schröder den Friedensnobelpreis zu verleihen, den Carl von Ossietzky einst zu Recht bekam. Aber er hält es jetzt wohl eher mit dem Vorschlag, den er Oskar Lafontaine machte, als der 1999 sein Buch »Das Herz schlägt links« veröffentlichte: »Halt's Maul! Trink deinen Rotwein, fahr in die Ferien.«

Und mit Schröder verbindet Grass weiterhin, ob wahr oder unwahr, die Behauptung: »Wir lassen uns beide nicht die Haare färben.«

Martin Runow, Nobelpreis? Halt´ s Maul ! (07. Mar. 2006, 18:22)

Erschienen in Ossietzky 2/2006