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Du bist DeutschlandIn der FAZ , dem von Ex-Maoisten und verblühten Spontis gelegentlich aufgepeppten Zentralorgan der Heuschrecken, entdeckte kurz vorm letzten Heiligen Abend wieder mal eine besonders helle Nuß die Mitschuld Carl von Ossietzkys am Untergang der Weimarer Republik. Über Tucholsky salbadert der Verfasser als »besonders übles Exemplar«, dafür salutiert die kernige Schreibschnecke vor Theodor Heuss, »der auf weise Art aus seinen Erfahrungen in Weimarer Parlamenten und im Dritten Reich lernte«. Aber gewiß doch, Papa Heuss (vor 1945 mit ß, danach mit ss), ein Unterschied muß sein, stimmte 1933 brav für Hitlers Ermächtigungsgesetz, schrieb dann für Goebbels‘ Zeitung Das Reich und für die »Machtsphäre des Reiches« sowie den »Führungsanspruch der Deutschen«. Damit ließ es sich nach 1945 glänzend weiter politisieren. Ossietzky und Tucholsky konnten das leider nicht. Der eine starb an den Folgen der KZ-Haft, dieser Folge des Ermächtigungsgesetzes, der andere nahm sich im schwedischen Exil das Leben. Selber schuld? Angenommen aber, beide hätten überlebt. Wäre vielleicht einer von ihnen statt Heuss Bonner Bundespräsident geworden? Etwa als Papa Ossietzky oder Papa Tucholsky? Ganz bestimmt nicht. Denen fehlte dazu einfach das Blut im Schuh. Gert Gablenz Gruß aus dem HochtaunusDiese Zeilen gelten unserem am 8. Dezember 2005 in Santa Barbara verstorbenen Kollegen Kurt Singer, der in dieser Zeitschrift über Jahre hin seinen »Brief aus Kalifornien« publizierte und für immer mit Carl von Ossietzky verbunden bleiben wird, weil Singer den Anstoß für die Friedensnobelpreis-Verleihung an Ossietzky gab. Der jüdische Emigrant schrieb in Schweden, wie er selbst urteilte, »das erste, wenn auch nicht das beste Buch über C.v.O«, das es dort im Lande binnen kurzem auf drei Auflagen brachte und die Kampagne vorantrieb. Schon mit dreizehn Jahren hatte Kurt Texte verfasst. Seine zahlreichen mexikanischen Freunde, die er in seinem letzten Wohnort Galeta um sich sammelte, nannten ihn »Kurtito«, was ihm gefiel. Wir standen seit 2001 per E-mail mit ihm in Kontakt, zustande kam er über Ossietzky. Resultat: round about 800 Seiten aus Übersee, manchmal mit drei, häufiger mit 30 Zeilen. Rasch stellte sich trotz der Entfernung große Nähe her. Verzögerte sich mal eine Antwort, reagierte er besorgt: Heute noch keine Nachricht. Ist einer von Euch beiden krank? Dabei hatte er es selbst schwer genug. Vor Jahren mußte ihm ein Bein amputiert werden – wegen Versagen des Kreislaufs, den er so rührend wie hartnäckig »Blutlauf« nannte. Im übrigen war sein Deutsch hervorragend, wenn man bedenkt, daß er es jahrzehntelang nicht mehr benutzt hatte. Auf den Rollstuhl angewiesen zu sein, beschränkte seine körperliche Beweglichkeit, nicht die des Kopfes. Ungebrochen bewahrte er das Interesse für Politik, Literatur, Film und Musik ebenso für den Kampf gegen Kriege, wie ihn einst Ossietzky geführt hat. Enthusiastisch reagierte Singer auf das GZ-Buch über Tucholskys Zeit im schwedischen Exil, Titel: »Gute Witwen weinen nicht« . In seiner Begeisterung gerieten Kurtito die Daten etwas durcheinander, als er fragte: Wie ist diese Intensität und Vertrautheit der Schilderung möglich, hat Gerhard den Tucholsky noch gekannt? Nun sind wir ja auch nicht mehr die Jüngsten, doch als Tucho sich 1935 umbrachte, zählte Gerhard gerade mal zehn Jahre. Einem Mann von über 90 mit einem derart ereignisreichen Leben darf so ein Irrtum schon mal zustoßen, er mailte danach voller Selbstironie, an der es ihm nie fehlte: »I have now entered the spring-time of my senility.« Dabei konnte gerade bei Singer bis ins höchste Alter von Senilität nicht die Rede sein, der Menschen-, Friedens- und Tierfreund blieb ein wacher, kritischer Geist, die »Patriot Act« und der mit ihr verbundene Demokratie-Abbau in den USA alarmierten und empörten den entschiedenen Bush-Gegner. Kurt Singer wird fehlen, der Welt und dieser Zeitschrift. Und uns. Ingrid Zwerenz
Ein Bürgerlicher im linken AbseitsEr stand für die Verfassung und die Erfüllung des Friedensvertrages. Er verteidigte nach seinen Kräften die Republik und suchte den Ausgleich nicht nur mit den westlichen Mächten, sondern gleichfalls mit dem kommunistischen Osten, sowohl nach dem Ersten als auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Er prägte den bis heute gültigen Satz: »Der Feind steht rechts.« Das haben sie ihm nie verziehen, die Konservativen – die Rechten und Nationalisten sowieso. Er starb vor 50 Jahren, am 3. Januar 1956, als armer Mann. Denn die Adenauer-Regierung hatte sich geweigert, ihm für seine Zeit als Reichskanzler (1921–1922) und Reichsminister (1920–1921 und 1929–1931) Pension zu zahlen. Dabei war der Mann aus Freiburg im Breisgau nicht etwa Sozialist, auch wenn er sich einmal kokettierend so beschrieb: »Ich bin wie Schwarzwälder Schinken, außen schwarz und innen rot.« Er war gläubiger Katholik und Mitglied der Zentrumspartei, aber in die Haßtiraden gegen die Linke stimmte er nicht ein. Ich spreche hier vom fünften Reichskanzler der ersten deutschen Republik, Joseph Wirth, geboren 1879. Schon kurz nach seiner Wahl ging die Hetze gegen ihn los. Auf den Straßen hörte man die Freikorpsmänner singen: »Haut immer feste auf den Wirth / haut ihn, daß der Schädel klirrt / knallt ab den Walther Rathenau / die gottverdammte Judensau.« Und wie zuvor schon Matthias Erzberger, der 1918 den Waffenstillstand unterzeichnet hatte, wurde im Juni 1922 Außenminister Rathenau von ihnen ermordet. Wirth ließ sich nicht einschüchtern. Auf seine Anregung hin verabschiedete der Reichstag wenige Wochen später, am 18. Juli, das »Gesetz zum Schutz der Republik«, das unter anderem das Ziel, die Verfassung und die Republik zu beseitigen, zum Straftatbestand erklärte. Daß später die weitgehend konservative Justiz dieses Gesetz benutzte, um entgegen seinem Sinn vor allem Linke zu bestrafen, kann man Wirth nicht vorwerfen. Mit seinem Namen verbunden ist auch der Rapallo-Vertrag zwischen Deutschland und der jungen Sowjetunion, mit dem beide Staaten gegenseitig auf Kriegsentschädigungen verzichteten und ihre außenpolitische Isolation durchbrachen. Wirth blieb auch nach Machtantritt der Nazis seiner republikanischen Überzeugung treu. So wandte er sich, allerdings vergeblich, vehement dagegen, daß die Zentrumspartei dem Hitlerschen Ermächtigungsgesetz zustimmte, dieser Scheinlegalisierung der Diktatur. Unmittelbar darauf floh er nach Frankreich und lebte dann in der Schweiz, wo er gemeinsam mit Sozialdemokraten eine Widerstandsgruppe gründete. Erst Mitte 1948 ließ ihn die französische Besatzungsmacht nach Deutschland zurückkehren. Das Zentrum war nur noch eine Splitterpartei, denn unter der Führung Konrad Adenauers hatte sich in der überkonfessionellen CDU das katholische und evangelische Bürgertum vereinigt. Wirth wurde abermals zur tragischen Figur. Sein Versuch einer neutralen Deutschlandpolitik – einen Ausgleich mit dem Osten zu finden und so die Einheit zu schaffen – scheiterte sowohl an der weltpolitischen Lage als auch an der von Adenauer und gleichfalls von der SPD geschürten Kommunistenfurcht. Wirths Schritt, durch die Gründung des »Bundes der Deutschen« seine Absichten populär zu machen, endete im linken Abseits. Der BdD blieb eine Splitterpartei, die nach einiger Zeit sang- und klanglos verschwand. Am Ende seines Lebens galt er in den Medien als Handlanger der SED und »Kommunistenfreund«. Er starb verarmt und verbittert. Werner René Schwab
Anna Seghers im Rembrandt-JahrAls ihr ein Buch eines jüngeren Kollegen allzu düster erschien, verwies Anna Seghers auf ein künstlerisches Prinzip bei Rembrandt: Der hatte immer – manchmal auch versteckt – Lichtpünktchen in seinen Bildern. (Anna Seghers blieb dabei im Fach: Ihre Dissertation hatte sie über Rembrandt geschrieben.) Seitdem waren viele Kritiker – auch ich – stolz, in ihren neuen Werken jeweils die Lichtpünktchen zu finden. Weniger beachtet wurde, daß Rembrandt die »Pünktchen« im hauptsächlich Dunklen, Düsteren, manchmal scheinbar bodenlos Schwarzen aufleuchten ließ. Komponierte Anna Seghers nicht ähnlich? Aber wir sahen damals – zum großen Bedauern der Dichterin – nur das Licht. Beispielsweise ihre letzten Erzählungen »Drei Frauen von Haiti«: Tollina – »ihr Haar ist schwarz, aber mit goldenen Punkten« – lebt in einer dunklen Höhle, in die sie sich vor den spanischen Eroberern geflüchtet hat. Dort besuchen sie zeitweise Freunde, dort bringt sie Kinder zur Welt, dort dünkt sie sich trotz Enge und Dunkelheit frei. Es ist eine düstere Freiheit, allein bestärkt von der festen Hoffnung auf eine andere Zukunft der Kinder und Kindeskinder. Anna Seghers' Alltagsprosa ist ähnlich spröde wie die Geschichten zu Beginn ihres Schaffens. Reizte sie Anfangs das ihr Fremde, Abenteuerliche, herrscht nun die Weisheit, ja Abgeklärtheit des Alters: Nichts ist so wie erhofft, wenn auch die Hoffnung nie ganz stirbt. Der Genuß an dem Geheimnis dieser Texte ist noch größer, wenn man sie laut vorliest. Da wird Lebenserfahrung zu Bildern, die man so noch nie sah. Wilde Phantasie, gezügelt vom Zwang des Alltags. Welt- und Geschichtskenntnis ver-mischt mit der Wahrheit von Mythen. Eben wie Rembrandt: viel Dunkles, Ungeklärtes, manchmal Konturloses und auch ein paar Lichtpünktchen, wenige ... Band 6 der neuen Werkausgabe des Aufbau-Verlages enthält die Erzählungen von 1967 bis 1980. Eva Kaufmann hat sie mustergültig ediert und ein fundiertes Nachwort geschrieben. Christel Berger Anna Seghers: »Erzählungen 1967–1980«, Werkausgabe Bd. II/6, Aufbau Verlag, 452 Seiten, 35
Walter Kaufmanns LektüreDas Korrespondenten-Netz Osteuropa »n-ost« wie auch das Netzwerk »Journalisten Ost-West« wird von Andreas Metz koordiniert, der heute fünfunddreißig ist, drei Jahre Wirtschaftsredakteur beim Wiesbadener Kurier war und schreiben kann, daß es Lust macht – in diesem Fall Tagebuchaufzeichnungen, die den guten Beobachter und guten Erzähler erkennen lassen. Ich habe sein »Kosmonaut in Kaliningrad« mit Gewinn und Vergnügen gelesen. Mag auch der Buchtitel abwegig sein (warum dieser Bezug auf den in Kaliningrad beheimateten Kosmonauten Leonow?), der Untertitel trifft: »Entdeckungsreisen durch das Universum Ost«. Metz entdeckt. Und als sein rastloses Jahr im Osten um ist, er die abenteuerlichsten Reisen von Kaliningrad bis zum Uralgebirge überstanden hat, findet er sich verwandelt in Mainz wieder: »Die Welt, die 30 Jahre ausreichte, ist nun eng und leer geworden.« Wenn er an Heimat denkt, denkt er sich, wo er gewesen ist: »Oh Rußland ... Gastfreundschaft als höchstes Gut. Daß das Licht im Gang kaputt ist und die Klospülung klemmt, daß der Teller einen Sprung hat und die Gabel viel zu groß ist – wsjo rawno! Zusammensein, Essen und Trinken ist das wahre Glück auf Erden. Vergessen wir, daß wir keine Zukunft haben, sondern stoßen wir auf sie an. Vergessen wir den Wahnsinn der Welt ..., solange nur der Mensch von innen leuchtet.« Was Metz jedoch, der das russische Leben sehr vielfältig zu erfassen vermochte, nicht zum eigenen Leitsatz werden ließ. Nach all seinen Monaten als Deutschlehrer in jener »Stadt mit den zwei Namen« (einstiges Königsberg und jetziges Kaliningrad) wird er – auf Verständigung hoffend – zu Erkenntnissen gelangen, die für ganz Osteuropa gelten dürften: »Die Zeit war noch nicht für alle lang genug, um sich über den Gräbern die Hand zu reichen. Aber irgendwann wird es zu stehen kommen, auf demselben Boden wie Puschkin und Gagarin, Kant und Rupp, ein Denkmal mit dem ersehnten Versöhnungswort ›Mir wsjem – Friede allen!‹« Walter Kaufmann Andreas Metz: »Kosmonaut in Kalinin-grad. Entdeckungsreisen durch das Universum Ost«, Westkreuz Verlag, 352 Seiten, 19.90
Geschichten der GeschwisterDie schrecklich nette Familie hat diesmal den Allerweltsnamen Brown. Geschrieben hat die Szenen der Familie James Brown. Der erfolgreiche amerikanische Drehbuch- und Romanautor hat den Stoff für »Die L. A. Tagebücher« nicht vor der eigenen Schwelle suchen müssen. Ins eigene Heim geschaut, das eigene Ich betrachtet, hatte er alles vor Augen, was »Stoff« aus Menschen machen kann. Stoff, der in der Flasche, in Pillen und Pulver steckt. Alkohol und Drogen machen die drei Brown-Geschwister zu Säufern und Süchtigen. Browns Buch ist kein schlichter Erlebnisbericht, der vom Verfall einer Familie berichtet. Persönliches Versagen findet nicht nur im privaten Raum, nicht nur innerhalb der Familie statt. Versagt ein Mensch, versagt auch die Gesellschaft. Weder provokant noch polemisch wird in den Szenen wieder und wieder auf das gleichzeitige Versagen von Individuum und Gemeinschaft hingewiesen. James Brown hat einen ausgeprägten Sinn für die Gleichzeitigkeit dramatischer Ereignisse. Schildert er auf einer halben Seite einen Ehekrach, die Ermordung J. F. Kennedys und das Verhältnis Hollywoods zum Vietnamkrieg, sagt er Wesentlicheres, Prägnanteres, als in einem Dutzend Sachbüchern gesagt ist. Durch den Autor ist der Erzählstoff zu einem Lesestoff geworden, der die Forderung erfüllt, die ein Produzent dem Drehbuchschreiber Brown stellt: »Das muß sich zackig runterlesen lassen...«. Bernd Heimberger James Brown: »Die L. A. Tagebücher. Mein Leben am Abgrund«, aus dem Amerikanischen Axel Henrici, Knaur Taschenbuch Verlag München, 205 Seiten, 7.95
Fabel vom FabelhaftenFabelhaft ist die bevorzugte Vokabel der renommierten amerikanischen Journalistin Pamela Clarke Keogh. Alles ist immer fabelhaft. Nicht nur das Aussehen, alles Tun und Lassen des Sängers Elvis Presley. Allzu fabelhaft. Und deshalb höchst fragwürdig: Ohne Unterlaß werden bekannte wie unbekannte Zeitgenossen zitiert, die zur Elvis-Family, zur Fan-Gemeinde gehörten. Knapp wird jede lokale Szenerie skizziert. Das soll die Darstellungen realistisch, objektiv, authentisch machen. Teilnahme wird suggeriert, die tatsächliche Anteilnahme kaum zuläßt. Die versuchte objektivierende Authentizität verwirkt vieles. Weil die Journalistin so fabelhaft vom Fabelhaften schwärmen kann, zeigt sie sich gern Arm in Arm mit der Kolportage, ihrer engen Vertrauten. Fatal für den Fabelhaften und das Fabelhafte. Viel Schmelz, viel Schmalz, viel Schmus. Schade! Elvis hatte bessere Seiten, hatte bessere verdient. B. H. Pamela Clarke Keogh: »Elvis Presley. The King«, Henschel Verlag Berlin, 264 Seiten, 29.90
Neue deutsche FassungenVor etwa hummzich Jahren war ich Redakteur einer humoristischen Zeitschrift. Ich schlug Abdrucke aus dem »Satirischen Erbe« vor: »Unsere Leserschaft wäre zweifellos hell begeistert.« Chefredakteur Walter Heynowski meinte: »Ich wäre zweifellos hell begeistert, wenn die satirischen Erbstücke sich unserer Typografie unterwerfen! Also nicht mehr oder weniger als genau zwei Schreibmaschinen-Seiten plus sechs Schreibmaschinen-Zeilen pro Erbstück!« Nichts sei leichter als dies, erklärte ich scheinheilig und widmete mich der Lektüre von Swift, Gogol, Shaw, Mark Twain, Sterne, Cervantes, Hašek, Lukian und so weiter. Ich versuchte auch, Casanova, Sostschenko und Ibsen in der neuen Rubrik unterzubringen. Casanova erschien dem Chef »nicht für alle Leser geeignet«, und wegen Sostschenko wollte er sich noch »kundig machen«. Bei Ibsen fand ich keine besonders lustigen Texte. Die Leseproben der internationalen satirischen Klassiker, mit dem Hackebeil aufs vorgeschriebene Format gestutzt, wirkten schwer genießbar. Die Elaborate waren stets ruhmfördernd mit dem Hinweis »Neue deutsche Fassung« und mit meinem Namen gekennzeichnet. In Neil Simons unverwüstlicher Komödie »Sonny-Boys« (übersetzt von Gerry Agoston) probieren die ergrauten Varieté-Komiker Al und Willie ihren ebenfalls ergrauten Doktorsketch. Willie: ... also die Tür. Stell dich hierher und sage: Poch-poch-poch! Al (ballt die Faust, klopft scheinbar mit den Fingerkuppen an die Tür): Poch-poch-poch! In der Aufführung des Erfolgsstücks im Deutschen Theater Berlin, Regie: Martin Duncan, spielen Christian Grashof und Jürgen Gudzuhn aufs Feinste und Lustigste die Hauptrollen. Die bewußte Szene klingt wie folgt. Grashof: Stell dich hierher und sage: Klopf-klopf-klopf! Gudzuhn: Klopf-klopf-klopf! Haben Sie den feinen Unterschied zwischen Poch-poch-poch und Klopf-klopf-klopf bemerkt? Die Urheber der grandiosen Variante hat uns der Theaterzettel nicht verschwiegen: »Sonny Boys. Neue deutsche Fassung nach der Übersetzung von Gerty Agoston von Oliver Reese und Katja Hagedorn.« Reese & Hagedorn haben also auch noch den Bindestrich aus Sonny-Boys entfernt und Gerry in eine Gerty verwandelt! Mehr kann man von einer neuen deutschen Fassung wirklich nicht erwarten. Lothar Kusche Gleiche IdeeDer Bericht über die Tagung der Kurt Tucholsky Gesellschaft ( Ossietzky 23/05) enthielt einen kleinen Lapsus: Der Ufa-Film »Viktor und Viktoria« entstand nicht nach Tucholskys für die Nero-Film geschriebenen Vorlage »Seifenblasen«, wie gelegentlich vermutet wurde. Vielmehr gibt es Grund zu der Annahme, daß die Ufa aus Konkurrenzgründen ihren Autor Robert Liebmann betraute, ein Szenarium nach der gleichen Ausgangsidee zu liefern. Dies war offenbar die Grundlage für Reinhold Schünzels Tonfilmoperette »Viktor und Viktoria«. Der Berliner Robert Liebmann war mit Kurt Tucholsky gleichaltrig, studierte wie er Jura und wurde wie er in jungen Jahren Journalist. Seit 1919 schrieb Liebmann zahl- und erfolgreiche Filmvorlagen und war zeitweilig Chefdramaturg der Ufa. Vier Monate, bevor »Viktor und Viktoria« im September 1933 in Produktion ging, erhielt der Jude Robert Liebmann seine Entlassung von der Ufa und emigrierte nach Frankreich. Sein Name durfte nicht mehr genannt werden. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs verliert sich Liebmanns Spur. Vielleicht gibt es ja Ossietzky -Leser, die sich noch an Robert Liebmann erinnern und etwas über sein Schicksal wissen. Frank-Burkhard Habel
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Press-KohlÜberall soll gespart werden, und dies selbst an Lebewesen. So erfuhr ich aus der Zeitung, was ich vorher für völlig undenkbar gehalten hätte, daß nämlich in gewissen Gegenden jeweils vier Männer nur noch eine gemeinsame Nase haben: »Vier Männer erlitten einen Nasenbeinbruch«, meldete Neues Deutsch-land . Eine Nase, ein Nasenbeinbruch. So ist die chirurgische Behandlung einfacher und billiger zu erledigen. Nach der wünschenswerten Heilung dürfte durch Einsparung von Taschentüchern auch das kollektive Schnauben der Vierlings-Nase preiswerter werden. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 1/2006 |
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