Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Ostdeutsches WunderRalph Hartmann Kürzlich noch hatte die Mehrheit der Ostdeutschen in unterschiedlichen Umfragen erklärt, sich im vereinten Deutschland als »benachteiligt«, als »nicht gleichbehandelt«, eben als »Bürger zweiter Klasse« zu fühlen. Doch Ende vergangenen Jahres, kurz vor Weihnachten, geschah ein Wunder. In einer von der Zeitschrift Super Illu beim Institut für Marktforschung Leipzig in Auftrag gegebenen repräsentativen Befragung gaben 72 Prozent der Ostdeutschen an, die Menschen in den sogenannten neuen Ländern hätten nach dem Aufstieg von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin und von Matthias Platzeck zum SPD-Vorsitzenden nicht mehr das Gefühl, »Deutsche zweiter Klasse« zu sein. Tage- und nächtelang habe ich darüber gegrübelt, wie das Mirakel zustande gekommen sein kann. Sollten die Ostdeutschen, wenn die Umfrage halbwegs repräsentativ war, tatsächlich ihre Auffassung so blitzartig geändert haben, weil die in Templin aufgewachsene ehemalige FDJ-Sekretärin und der smarte Potsdamer künftig häufiger via Television zu sehen sein werden? Sollte die verballhornte Wendezeitlosung »Wir sind ein (dummes) Volk« doch zutreffen? Oder hat etwa der für den »Aufbau Ost« zuständige CDU/CSU-Vizefraktionsvorsitzende Arnold Vaatz Recht? Er formulierte die Sätze: »Der Aufstieg von Angela Merkel und Matthias Platzeck ist der Beweis, daß jeder Ostdeutsche ... im wiedervereinigten Deutschland eine Chance hat ... Millionen Ostdeutsche sollten es als Ermutigung betrachten, daß auch sie es bis ganz oben schaffen können. Daß in Ihnen das selbe Potential zum Sieger steckt.« Den Gedanken, das Umfrageergebnis könne fingiert sein, verwarf ich, schließlich gilt das Leipziger Institut als eine seriöse Einrichtung. Der Ausgang der Befragung blieb also unerklärlich – bis ich durch einen Zufall, genauer gesagt: dank einem »Maulwurf« in einem unserer demokratischen Geheimdienste, des Rätsels Lösung fand. Seine Dienststelle, so war zu erfahren, hatte an dem Forschungsinstitut vorbei das telefonische »Zufallsprinzip« bei der Auswahl der Befragten manipuliert. Aus diesem Grund war ihr ein großer Teil der Auserwählten vorher bekannt. Ihnen wurde dann durch den nicht näher genannten Dienst ein streng vertrauliches Dossier über ein zwischen Merkel und Platzeck vereinbartes »10-Punkteprogramm zur Beendigung der Ungleichbehandlung der Ostdeutschen« zugespielt, das noch vor der Fußballweltmeisterschaft veröffentlicht werden und folgende Punkte enthalten soll: Erstens , für die im Zuge der Vereinigung erfolgte Beseitigung des volkseigenen Vermögens in Höhe von rund anderthalb Billionen DM und die damit verbundene entschädigungslose Enteignung wird den ehemaligen DDR-Bürgern und ihren Erben im Laufe der kommenden fünf Jahre ein Wiedergutmachungs- und Kompensationsbetrag von jeweils 30 000 Euro ausgezahlt. Damit wird zumindest teilweise die im Vertrag über die Währungsunion in Aussicht gestellte Entschädigung der Ostdeutschen, denen beim Währungsumtausch von 2:1 die Hälfte ihrer Sparguthaben gestrichen wurde, nachgeholt. Zweitens , der durchschnittliche Jahresverdienst von Vollzeitarbeitnehmern im Osten wird um 29 Prozent, also von gegenwärtig 29 352 Euro brutto auf den im Westen gezahlten Durchschnittsverdienst von 41 068 Euro angehoben. Der Grundsatz »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« gilt zukünftig für ganz Deutschland. Drittens , die Rentenwertbestimmungsverordnung (RWBestV 2005) wird geändert. Angesichts der Tatsache, daß in Westdeutschland von Schleswig-Holstein bis Bayern ungeachtet unterschiedlichen Entwicklungsniveaus die Rentenpunkte gleichwertig sind, wird der bisherige Rentenwert Ost von 22,97 Euro auf die Höhe des Rentenwertes West von 26,13 Euro angehoben. Viertens , mittels gezielter wirtschaftsfördernder Maßnahmen wird die Arbeitslosenquote im Osten von 18 Prozent in einem ersten Schritt halbiert und damit auf das westdeutsche Niveau von 9 Prozent gesenkt. Damit werden Voraus- setzungen für eine freiwillige Rückkehr der rund zwei Millionen Wirtschaftsflüchtlinge geschaffen, die seit 1991 auf der Suche nach Lohn und Brot von Ost- nach Westdeutschland abgewandert sind. Fünftens , die ostdeutschen Städte und Gemeinden, denen im Durchschnitt 70 Prozent weniger Mittel als den westdeutschen Kommunen zur Verfügung stehen, werden aus Bundes- und Länderkassen finanziell so ausgestattet, daß sie ihren Bürgern die gleichen Arbeits- und Lebensbedingungen wie im Westen bieten können. Sechstens , alle Leitungsfunktionen in den ostdeutschen Ländern, Kommunen, Universitäten, Kliniken und anderen Institutionen, die noch immer von westdeutschen Koryphäen besetzt sind, werden neu ausgeschrieben und zukünftig nach tatsächlicher Befähigung besetzt. Siebtens , die Schulen in ganz Deutschland reduzieren im Geschichtsunterricht die DDR nicht länger auf den 17. Juni 1953, Mauer und MfS, sondern bringen in Erinnerung, daß sich die Bürger mit fleißiger Arbeit ein Leben in sozialer Geborgenheit, Vollbeschäftigung, Arbeitsplatzsicherheit, mit freiem Zugang zu Bildung, Kultur und Gesundheitsbetreuung, ohne Existenzangst, Obdachlosigkeit und barmherzige Suppenküchen gesichert hatten. Achtens , diskriminierende Äußerungen über ostdeutsche Bundesbürger wie zum Beispiel Jörg Schönbohms Erklärung, daß »die von der SED erzwungene Proletarisierung eine der wesentlichen Ursachen ... für Verwahrlosung und Gewaltbereitschaft« sei, oder Arnulfs Barings Behauptung, daß »die Menschen im Osten verzwergt, ihre Erziehung, ihre Ausbildung verhunzt« worden seien, werden zukünftig als Volksverhetzung betrachtet und als solche geahndet. Neuntens , Erfahrungen und Leistungen der Ostdeutschen werden nicht mehr negiert. Künftig wird zum Beispiel das erfolgreiche Schul- und Bildungssystem nicht mehr auf dem Umweg über Finnland, sondern direkt an dessen Vorbild, dem System der DDR, studiert. Gleiches gilt für die empfohlene regelmäßige Mütterberatung, die nicht mehr nach schwedischem, sondern nach dem originalen DDR-Muster angestrebt wird. Die von vielen Seiten gewünschten Gesundheitseinrichtungen der integrierten Versorgung und kurzen Wege werden nicht mehr wie jetzt in Berlin die lächerliche Neubezeichnung »Polikum« tragen, sondern wie in der DDR üblich »Poliklinik« heißen. Zehntens , der Abriß des Palastes der Republik, eines der letzten Symbole der DDR, wird gestoppt. Statt dessen wird er wie das ICC in Westberlin, das ehemalige Kanzleramt in Bonn und unzählige andere Gebäude nach erfolgter Asbestsanierung wiedereröffnet und als Zentrum der Kommunikation, der Kunst und Kultur genutzt. Zeitgleich zum Inkrafttreten des Programms startet, wie den Befragten vertraulich angekündigt wurde, in wichtigen Print- und elektronischen Medien die zweite Staffel der berühmten Aufklärungskampagne »Du bist Deutschland«, dieses Mal mit dem Text »Auch Ostdeutsche sind Deutschland« Als Hintergrundmusik sollen dazu Katja Ebsteins Erfolgsschlager »Wunder gibt es immer wieder, wenn sie Dir begegnen, mußt Du sie auch sehen« und – original ostdeutsch – Frank Schöbels Hit »Wie ein Stern in heller Sommernacht« mit dem schönen Refrain »Herrliches Wunder, das wir erleben« erklingen. Kein Wunder, daß sich bei solchen Nachrichten eine große Zahl der Ostdeutschen nunmehr selber als »erstklassig« betrachtet.
Erschienen in Ossietzky 1/2006 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |