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Die Szene wird von der Forderung begleitet: »Sofort aufheben! Oder verstehst du etwa kein Russisch?« Außerdem hört man den Aufruf, Moskau »vom Abfall zu säubern«. Nur das Wort »Kanake« fehlt. Im Gegenzug präsentierte Rogosin dem Gericht Flugblätter von Schirinowskij. Sie forderten dazu auf, sich »für Moskau mit russischen Gesichtern« einzusetzen. Schirinowskij hatte Glück: Sein Konkurrent rutschte selbst auf der Schale aus und wurde von der Wahl ausgeschlossen. Schirinowskij wurde anders bestraft: Seine Partei scheiterte an der Zehn-Prozent-Klausel. Xenophobie war im Wahlkampf nichts Ungewöhnliches. Viele Politiker appellierten an niedere Instinkte. Soziologen ermittelten, daß 66 Prozent der Mos-kauer zunehmende »Überfremdung« der Stadt befürchten. Die Vereinigung der Bürokraten und Neureichen, »Einheitliches Rußland« (ER), die sich selbst ohne falsche Bescheidenheit als »Partei der Macht« tituliert, erhob von Anfang an den Anspruch auf Alleinvertretung im Stadtparlament. Ihre machtgierige Spitze schien dem Spruch eines Satirikers zu folgen: Auch das Einparteiensystem hat seine Vorteile; aber des Wissens, worin sie bestehen, ist der Normalsterbliche unwürdig. Ihr prominentes Mitglied Schojgu, Chef des Ministeriums für Katastrophenschutz, entwickelte einmal eine originelle Idee: Man solle sämtliche Wahlverweigerer ausbürgern. Das fand aber selbst die ER-Spitze ein bißchen übertrieben – unter der weisen Führung demokratischer Reformer nimmt die russische Bevölkerung ohnedies alarmierend ab. Die Bezirkswahlkommissionen haben der ER nach Kräften geholfen. Einige Konkurrenten blieben draußen; sie hatten die erforderliche Wahlkaution an eine falsche Kontonummer überwiesen. Die Angaben hatten sie freilich von Mitarbeitern der Wahlgremien erhalten – die sich nachher selbstverständlich aus dem Staube machten. Für die Betroffenen stellte sich dieser unglückliche Umstand natürlich viel zu spät heraus, als daß der Fehler noch hätte korrigiert werden können. Mehr noch: ER-Wahlhelfer konnten sich etwas leisten, was jeder anderen Partei prompt die Zulassung zur Wahl gekostet hätte: Sie verteilten unter den Einwohnern eines Wahlbezirks unentgeltlich Bettwäsche. Die Behandlung anderer Parteien war oft skandalös. Ein Beispiel noch: Die Partei »Jabloko« mit dem eingefleischten Liberalen Jawlinskij an der Spitze wollte ihren Wahlaufruf in der Iswestija veröffentlichen. Kostenpflichtig, als Anzeige. Fehlanzeige: Die Redaktion »empfahl« den Reformfreunden, den Text leicht zu korrigieren. Das Machtsystem, das im Aufruf als »autoritäres« bezeichnet wurde, sollte man stattdessen »vorhandenes« nennen und die Worte »Verhältnisse des Autoritarismus« durch die »gegebenen Verhältnisse« ersetzen. Weiterhin wurde vorgeschlagen, zwei Passagen zu streichen, die sich mit kriminellen Seilschaften in den Behörden befaßten und die Korrektheit der Wahl an-zweifelten. Es wäre allerdings falsch, die oppositionellen Parteien als Unschuldslämmer darzustellen. Derselbe Jawlinskij, dessen liberalen Bündnis nur wenig Wählergunst fand, hatte sich die überhebliche Bemerkung erlaubt: »Moskau ist die Stadt der Satten, jedoch sind die Moskauer nicht so stark überfüttert, daß ihr Gehirn mit Cholesterin vollgestopft ist.« Zu verstehen ist der Satz so: Als Meßlatte des gesunden Menschenverstandes gilt die Stimmabgabe für die Liberalen. Ich war zuerst angenehm berührt von dem Gedanken, wie viele Kandidaten bereit waren, sich selbstlos um mein Wohl zu kümmern. Rund 450 bewarben sich um die 35 Mandate. Später ließ meine Bewunderung nach. Es wurde publik, daß mehr als 100 von ihnen an Gedächtnisschwund leiden. Sie hatten vergessen, ihre zweite oder auch dritte Privatwohnung, ihre prachtvollen Landhäuser und Aktienpakete pflichtgemäß anzugeben. Auf den Kandidatenlisten tauchten auch polizeilich gesuchte Kriminelle auf. Ein Mann aus der ukrainischen Stadt Charkow, der mit einem falschen russischen Paß kandidierte, trat mit dem Slogan »Ausländer raus!« auf. Bei dieser Wahl fehlte ein wichtiger Herausforderer, im Volksmund der »Kandidat gegen alle« genannt. Gemeint ist eine Zeile auf dem Stimmzettel: »gegen alle«. Die Obrigkeit selbst hatte den Nihilisten Anfang der 90er ins Leben gerufen. Auf diese Weise wollte sie die Parteiverdrossenen zur Wahlurne locken. Inzwischen wurde die Grenze für die Gültigkeit der Wahl schrittweise von 50 auf 20 Prozent Wahlbeteiligung herabgesetzt (in einigen Regionen sogar auf 15 Prozent). Dem Regime ist es heute ziemlich gleichgültig, wie viele Bürger mit den Füßen abstimmen. Und weil sich der Homunculus als recht undankbar erwies, indem er rasch außer Kontrolle geriet und gelegentlich bei Regionalwahlen alle Direktkandidaten überflügelte, also Wahlsieger wurde, so daß die Wahlergebnisse für nichtig erklärt werden mußten, wurde entschieden: Raus mit ihm. Fazit: Rund zwei Drittel der wahlberechtigten Moskauer blieben diesmal den Wahllokalen fern. Erwartungsgemäß hat ER gesiegt: Einheitliches Rußland erhielt 28 von 35 Sitzen in der Stadtduma. Und die Demokratisierung geht weiter: Der Moskauer Oberbürgermeister wird nun – wie die Gouverneure in anderen Regionen des Landes – nicht mehr direkt von der Bevölkerung gewählt, sondern durch das Stadtparlament (mit ER-Mehrheit) auf Vorschlag des russischen Präsidenten bestätigt. Idyllisch wie im engen Familienkreis. Die Abstimmung in Moskau gilt übrigens als Test für die folgenden Parlaments- und Präsidentenwahlen.
Erschienen in Ossietzky 1/2006 |
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