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Lee habe Deutschland aufgefordert, die vielfältigen Möglichkeiten Singapurs zu nutzen. Hervorgehoben hätten die Regierungschefs beider Länder die »sicherheitspolitische Zusammenarbeit und die Terrorismusbekämpfung«. Bundeskanzlerin Merkel ließ diesbezüglich erklären, es gebe ein »großes gemeinsames Interessenspektrum«. Darunter kann man sich erst dann etwas Schlimmes vorstellen, wenn man mehr von Singapur weiß, als daß es am Äquator liegt. Der Insel-Stadtstaat ist eine humanitäre Katastrophe, über die Frau Merkel entweder gleichgültig oder diplomatisch hinwegging. Unkenntnis kann man ihr gewiß nicht zugute halten – dafür hat sie Berater. Aber sie schwieg. Und auch unsere Massenmedien berichteten über die Verhältnisse in Singapur fast nichts – was Wunder. Holen wir hier ein wenig nach. Singapur praktiziert die Todesstrafe. Es verstößt also gegen elementares Menschenrecht. Premier Lee hat einen Tag nach seinem Gespräch mit Merkel, noch von Berlin aus, einen in Singapur inhaftierten Australier wegen Drogenbesitzes henken lassen. Vier Wochen zuvor hatte er gutgeheißen, daß ein Vietnamese aus gleichem Grund hingerichtet wurde. l aut Amnesty International hat Singapur, gemessen an seiner v ier-Millionen-Bevölkerung, eine der höchsten Raten an Todesurteilen. Nach 1991 (seitdem die Menschenrechtsorganisationen genau mitzählen) sind dort mehr als 420 Menschen exekutiert worden. Singapurs Drogengesetze schreiben die Todesstrafe bei mehr als 20 verschiedenen Tatbeständen zwingend vor. Sie steht außerdem auf viele weitere Verbrechen, sogar schon auf schwerwiegende Eigentumsdelikte. Geschworenengerichte gibt es in Singapur nicht. Meist wird nur vor Einzelrichtern verhandelt. Singapurs Prozeßrecht enthält Bestimmungen, wonach fallweise die Beweislast nicht der Anklage, sondern der Verteidigung obliegt – ein Hohn auf jede Rechtspflege. Das Lee-Regime vertritt den Standpunkt, bei der Todesstrafe handele es sich um kein menschenrechtsrelevantes Thema. Chef dieses gnadenlosen Regimes ist seit kurzem der 52jährige Berlin-Besucher Lee Hsien-lung. Vater Lee Kuan-yew schusterte ihm den Posten zu. Der Patriarch herrschte selbst 31 Jahre mit fast absoluter Macht. 1990 trat er formal zurück. Die Macht ließ er aber nicht aus den Händen. Er zieht jetzt als »Mentor-Minister« die Strippen. Die Lee-Dynastie herrscht längst nicht mehr durch blanken Schrecken, sondern durch Einvernehmen mit ihren angepaßten Untertanen, die dafür materiell reich belohnt werden. Es gibt keinen Widerstand, keinen Untergrund, keine exilierte Opposition. Singapurs Bürger – mehr als 80 Prozent sind wie die Familie Lee chinesischer Abstammung, den Rest stellen Malaysier, Tamilen und Ausländer – erzielten 2004 nach Angaben der Weltbank mit 24.220 US-Dollar eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt. Wohlstand macht fügsam. Singapur fördert Biotechnologie und Biomedizin mit Milliardenbeträgen. Seit kurzem ist auch das Klonen menschlicher Embryonen erlaubt. Die Stadt hat früh auf die Elektronische Datenverarbeitung gesetzt, speziell auf die IT-Branche und auf die Entwicklung elektronischer Überwachungssysteme. Der EDV-begeisterte Papa Lee ließ mehr als achthundert Regierungsdatenbanken installieren und vernetzen. Motto: Kontrolliere und herrsche. Einwohner-amt, Schulen und Universitäten, Ärzte und Krankenhäuser, Rechtsanwälte, Polizei, Justiz, Finanzbehörde, alle Verkehrsträger, Post, Telefongesellschaft, Wohnungsverwaltungen (zu mehr als 80 Prozent staatlich), Geldinstitute, Energieversorger, Wirtschaftskammer, Handwerksbetriebe, Kaufhäuser, große Konzerne und selbst kleinste Hotels: Alle produzieren und liefern Unmengen Daten. Erfaßt wird alles, selbstverständlich auch die Etablissements im unauffälligen Rotlichtmilieu der Hafenstadt. Den Überwachungskameras und ungezählten elektronischen Schleusen entgeht nichts und niemand. Singapurs Bürger haben Personalpapiere mit biometrischen Daten. Bei Wah-len müssen sie ihre Personenkennzahl auf dem Stimmzettel eintragen – so daß der Staat von jedem seiner wahlberechtigten Bürger weiß, wen er gewählt hat oder ob er der Wahl ferngeblieben ist. Zensur gibt es offiziell nicht. Aber auch keine regimekritische Presse. d em oberflächlichen Betrachter erscheint Singapur als die Schweiz des Fernen Ostens. Schmuddeliges fällt nicht ins Auge. Verstöße gegen Gesetze kommen äußerst selten vor, amtlich registriert sind lediglich 55.000 pro Jahr ein-schließlich der Bagatellfälle – trotz der Vielzahl von Verboten. Bereits auf das Rauchen in der Öffentlichkeit, das Kaugummikauen, Taubenfüttern oder das Überqueren der Fahrbahn bei Rot stehen hohe Geldstrafen. Man findet auch nirgends Graffiti. Fassadenkünstlern drohen mindestens zehn Hiebe auf den entblößten Rücken. Das ist eine äußerst grausame Strafe jenseits unserer Vorstellungskraft, denn unter den Schlägen mit einem Bambusprügel löst sich das Fleisch von den Knochen. Ärzte überwachen den v ollzug – für den Fall, daß des Geschundenen Herz versagt. In extremen Fällen (im Frühjahr 2005 wurde ein Trunkenbold zu 120 Schlägen wegen Sachbeschädigung verurteilt) vollstreckt man die Strafe in monatlichen Raten vollstreckt. Der Delinquent wird zum Krüppel an Leib und Seele. Kanzlerin Merkel hat sich beim gnadenlosen Lee nicht, wie speziell gegenüber sozialistischen Politikern üblich, für die Beachtung der Menschenrechte eingesetzt. Nicht einmal für mehr Freiheit, die sie bekanntlich wagen will. d en Merkel-Satz, es gebe mit dem autoritären Singapur ein »großes gemeinsames Interessenspektrum«, sollten wir uns auf dem Trommelfell zergehen lassen. Viele Module aus dem Singapur-Modell passen auch hierzulande. Die Schäubles und Schilys können's bestätigen. Und ob man unmenschliche Strafen selbst einführt oder nur wegschaut, wenn sie andernorts praktiziert werden, macht keinen Unterschied. Würde der deutsche Michel, dieser obrigkeitshörige Saubermann, etwa anders reagieren als der Singapurer Untertan, wenn er zum Dank für seine Duldsamkeit nur gleichermaßen gut geschmiert und in Wohlstand eingewickelt würde? Oder würde er etwa aufmucken?
Erschienen in Ossietzky 1/2006 |
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