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PS.: Auch wenn Sie den Staatsbürgern jetzt schon Gesichtsausdruck und Körperhaltung verbindlich vorschreiben, so habe ich doch noch einigermaßen Hoffnung, daß beim nächsten Paßmusterverordnungs-Änderungsgesetz vom Delinquenten nicht verlangt wird, mit erhobenem rechten Arm in die Kamera zu grüßen, damit die biometrischen Merkmale der Handinnenfläche gespeichert werden können. * An die Barmer Ersatzkasse, Hannover, mit der Bitte um Weiterleitung an die BEK-Hauptverwaltung
Sehr geehrte Damen sowie Herren, vielen Dank für Ihr informatives Schreiben vom 21.11.05 und die Übersendung der Auszüge aus § 28 a Abs. 1 Sozialgesetzbuch IV bzw. Art. 2 Nr. 8 Buchstaben a i. V. m. Art 17 Abs. 3 des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt. Jetzt ist alles klar. Sie teilen mir nämlich mit, daß ich nach § 28 f Abs. 3 Satz 1 SGB IV in der ab 1.1.06 geltenden Fassung Meldungen und Beitragsnachweise in Papierform per Post oder Fax nicht mehr abgeben darf. Soll ich Sie jetzt immer anrufen oder besuchen? Ist Ihnen wirklich so langweilig, daß Sie Lust auf ein Pläuschchen haben? Nein, Sie verlangen von mir, meiner Pflicht gegenüber der Sozialversicherung verschlüsselt und auf elektronischem Wege per E-Mail nachzukommen. Ich schreibe nun aber doch noch mal unverschlüsselt im Klartext und muß Ihnen leider mitteilen, daß ich objektiv nicht in der Lage bin, Ihrer Forderung nachzukommen. Aus guten Gründen besitze ich nämlich keinen E-Mail-Anschluß und denke auch nicht daran, einen solchen Anschluß einzurichten. Vergleichen Sie dazu das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 20. Februar 1987, in dem festgelegt wird, daß mein Vater lange Zeit alle meine Briefe, Telefonate und Faxe rechts- und verfassungswidrig mitgelesen oder mitgehört hat. (Damit keine Mißverständnisse auftreten: Gemeint ist selbstverständlich mein Vater Staat.) Nach Beweisen, die mir vorliegen, lauscht mein Vater trotz Urteil noch heute. Ich möchte nun in Übereinstimmung mit der Bundesregierung keine Arbeitsplätze vernichten, indem ich helfe, bei unseren Geheimdiensten die Arbeit des Abschreibens von Telefonprotokollen und des Kopierens von Briefen und Faxen wegzurationalisieren. Nebenher, obgleich es mich ja nichts angeht: Wieviele Kolleginnen und Kollegen setzen Sie selbst eigentlich durch die neue Regelung vogelfrei beziehungsweise auf die Straße? Ich habe als Freiberufler nur einen einzigen Angestellten als Sekretär und Buchversandleiter in Personalunion. Kann ich Ihnen da entsprechend den Ankündigungen seriöser Politiker die Sachen nicht schon jetzt in moderner vereinfachter Form auf einem Bierdeckel schicken? Ich habe bereits Kontakt zu einer Brauerei aufgenommen, die mich hier sponsern würde. Wenn es so nicht geht, teilen Sie mir doch bitte mit, welches Gesetz den Bundesbürger verpflichtet, einen Computer und einen E-Mail-Anschluß sein eigen zu nennen. Wie hoch ist die Strafe für Nichtbesitz? Stellen Sie mir gegebenenfalls einen Computer und E-Mail-Anschluß kostenlos zur Verfügung? Übernehmen Sie auch die Haftung, falls irgendwelche Viren meine lichtvollen elektronischen Ausführungen anknabbern sollten? Würden Sie mir dann bitte auch einen Computer-Grundkurs für Senioren finanzieren? Terminlich paßte das im Januar und Februar bei mir jeweils Montag bis Mittwoch. Aber nicht vormittags, denn als Nachtarbeiter schlafe ich lange. Am 11., 18. und 24. Januar sowie 14. Februar geht es auch nicht, weil ich dann Interviews habe oder im Studio tätig bin. Am 20. Januar haben meine Frau und ich unseren 46jährigen Hochzeitstag. Da will ich nicht. Es gibt noch ein Problem; Als altmodischer Künstler halte ich mich gern möglichst weit von Computern fern, weil die öde Mattscheibe heftig mit meinen künstlerischen und ästhetischen Anschauungen kollidiert. (Vergleichen Sie dazu meinen Artikel »Aus der Welt der Technik« auf Seite 293 meines Buches »MORDs-GAUDI«, Köln 2004.) Ich mag Computer nicht mal riechen und weiß infolgedessen nicht, ob Ihre Kurse bei mir Erfolg hätten. Setzen Sie sich bitte nicht aufs hohe Roß, und sehen Sie die Sache mal anders herum, nämlich selbstkritisch. Nach Meinung meiner ehemaligen Lehrer und Professoren, im Urteil zahlreicher Literatur- und Theaterkritiker und laut Auskunft einschlägiger Fachlexika beherrsche ich die deutsche Sprache in Wort und Schrift. Sogar überdurchschnittlich gut, wie viele Zeitungen mir attestieren. Können wir uns da nicht irgendwie einigen? Oder ist es schon soweit, daß Sie schriftliche Mitteilungen in unserer gemeinsamen Sprache nicht mehr verstehen? Hier würde ich notfalls meinerseits mit einem Sprachkurs helfen. Dann ginge es vielleicht doch wieder schriftlich auf Papier? Oder? Derzeit ist mir – wie gesagt – die Erfüllung Ihres Wunsches objektiv nicht möglich. Muß ich nun notgedrungen meinen Arbeitnehmer im Zuge des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt entlassen? Oder wollen Sie uns beide zu ungesetzlicher Schwarzarbeit zwingen? Ich bin gespannt auf Ihre Antwort. Bitte ausschließlich schriftlich per Fax oder Post. Anders ist mir leider nach § 17, Abs. 5 meiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) eine Bearbeitung nicht möglich. Überdies wissen Sie doch: Nach herrschender Rechts- und Verwaltungspraxis sind E-Mail-Mitteilungen allein sowieso rechtlich unverbindlich. Jede Behörde ist gehalten, eine solche Mitteilung schnellstmöglich in Papierform nachzureichen, damit sie auf diese Weise rechtskräftig wird. Fragen Sei mal einen Amtsleiter! Mit freundlichen Grüßen und eigenhändiger Unterschrift Dietrich Kittner
PS.: Sollte es demnächst eine gesetzliche Regelung geben, wonach Meldungen zur Sozialversicherung nur noch in chinesischer oder amharischer Sprache abgegeben werden dürfen, bitte ich um frühzeitige Information (wenigstens drei Jahre vor Termin), damit ich rechtzeitig einen entsprechenden Sprachkurs belegen kann. PS. PS.: Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich werde Ihnen selbstverständlich auch zukünftig alle notwendigen Meldungen und Nachweise auf dem bisher gebräuchlichen Formblatt zukommen lassen. Steuer- und Abgabenhinterziehung ist nicht meine Sache. Weitere Auskünfte erhalten Sie auf meiner Homepage www.dietrich-kittner.de.
Bis 12. Februar spielt Dietrich Kittner jeden Donnerstag, Freitag und Samstag um 20 Uhr, jeden Sonntag um 18.30 Uhr im Theater am Küchengarten in Hannover, Fon 0511 - 44 55 62
Erschienen in Ossietzky 1/2006 |
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