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Ich müßte dann künftig jede Woche fünf Stunden unbezahlt länger arbeiten als heute und erhielte auch noch weniger Urlaubs- und Weihnachtsgeld als meine Kolleginnen und Kollegen, die eine Tür weiter die selbe Arbeit machen wie ich. Ist das überhaupt rechtens?« Das war Ende vergangenen Jahres. Seit dem 1. Januar ist Anita B. arbeitslos, ihr befristeter Arbeitsvertrag bei einem großen Medienkonzern lief am 31. Dezember aus. Das Angebot, zur Tochterfirma zu wechseln, wurde zurückgezogen, der Arbeitsplatz anderweitig besetzt. Sie wisse den Wert einer unbefristeten Anstellung wohl nicht zu schätzen, höhnte ihr Vorgesetzter, als Anita B. an den Grundsatz »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« zu erinnern gewagt und sich ratsuchend an den Betriebsrat gewandt hatte. Der konnte für sie nichts tun. Anders als im Mutterhaus gilt für die Tochterfirma, in der der Konzern nach und nach Verwaltungsaufgaben billig bündeln will, kein Tarifvertrag. Die Arbeitsbedingungen werden dort individuell ausgehandelt. Das heißt, sie werden vom Unternehmen diktiert. Für die Beschäftigten bedeutet das: Länger arbeiten für weniger Geld. Anders als Anita B. schlucken die meisten das widerspruchslos. Zwar verdienen sie rund 30 Prozent weniger als im (noch) tarifgebundenen Mutterhaus. Doch vergleichbare Tätigkeiten werden bei Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern in der Regel noch schlechter entlohnt. Fünf Jahre lang war Anita B. bei dem Medienkonzern beschäftigt. Eine geschätzte Mitarbeiterin, kompetent, freundlich, engagiert. Mit »sehr gut« wurden ihre Leistungen fair bewertet, aber nicht belohnt: Sie erhielt immer nur zeitlich befristete Verträge, wurde als Schwangerschaftsvertretung mal für die eine, dann für eine andere in Elternzeit gewechselte Kollegin eingesetzt. Mit jeder Unterschrift unter die aus »sachlichem Grund« zeitlich befristeten Arbeitsverträge unterschrieb die 28-Jährige regelmäßig den Zeitpunkt ihrer quasi automatisch erfolgenden Kündigung gleich mit. Nun war für sie am 31. Dezember Schluß – wie auch für ein halbes Dutzend anderer Mitarbeiter des Unternehmens, die sang- und klanglos ausschieden. Auch diese Angestellten hatten zeitlich befristete Verträge. Sozialwissenschaftler zählen sie zur Gruppe der »prekär« oder »ungesichert« Beschäftigten. Seitdem der Gesetzgeber Befristungen des Arbeitsverhältnisses auch ohne jeden sachlichen Grund für die Dauer bis zu zwei Jahren erlaubt hat, wächst ihre Zahl auch im Mutterhaus des Medienkonzerns. Unbefristete Einstellungen sind dort zur raren Ausnahme geworden, in der Regel nur für hoch bezahlte Spezialisten, weil die anders nicht zu bekommen wären. Alle anderen werden grundsätzlich mit Zwei-Jahres-Verträgen oder unterschiedlich langen Befristungen »aus sachlichem Grund« abgespeist. Das gilt inzwischen schon für neun Prozent der Belegschaft. »Das Schlimmste ist diese Unsicherheit. Wie geht es nach der Befristung weiter? Das Leben ist immer nur in Häppchen, nie auf längere Sicht planbar«, stöhnt Walter S., der als Redakteur an einer der Zeitungen des Konzerns arbeitet. Er schlägt sich nun schon mit dem vierten aus »sachlichem Grund« befristeten Anstellungsvertrag durchs Leben. Mitte der 1990er Jahre hatte er nach dem Studium als freier Mitarbeiter angeheuert. Zwei Jahre lang wurde er mit Zeilenhonorar bezahlt. Ein Hungerlohn. Dann schien sich die Schinderei gelohnt zu haben. »Ich bekam ein Volontariat, wurde zum Redakteur geadelt.« Doch statt der erhofften Festanstellung gab es regelmäßig nur zeitlich befristete Vertretungen. »Die Tarifgehälter sind zu hoch«, lautet eine der Begründungen des Konzerns, der Jahr für Jahr dicken Gewinn macht. Vor allem Redakteure würden viel zu viel Geld verdienen, wenn es nach dem Tarifvertrag ginge. Es sei nicht bezahlbar, daß ein Redakteursgehalt nach der tariflichen Berufsjahresstaffel binnen 15 Jahren von 2800 auf rund 4400 Euro steigt. Werde diese Gehaltsstaffel in den seit Monaten auf der Stelle tretenden Tarifverhandlungen nicht gestrichen, würden Redakteure eben alle zwei Jahre ausgewechselt oder als journalistische Billiglöhner bei einer ausgegliederten GmbH ohne Tarifbindung angestellt. Daß sich so auf Dauer keine gute Zeitung wird machen lassen, stört vorerst genauso wenig wie der Mangel an Plausibilität dieser Begründung: Verlagsangestellte werden ebenfalls nur befristet eingestellt, obwohl ihre Tarifgehälter deutlich unter denen von Redakteuren liegen. Wichtiger ist: Mit befristeten Beschäftigungsverhältnissen läßt sich die Mitarbeiterzahl des Unternehmens flexibel dem Produktivitätsfortschritt anpassen. Der Personalabbau, den die digitale Revolution in allen Abteilungen möglich macht, läßt sich so geräuschlos steuern. Anders als bei betriebsbedingten Kündigungen, die Ärger verursachen und einen Sozialplan kosten, fällt es nicht auf, wenn »Befristete« ausscheiden und ihr Arbeitsplatz nicht wieder besetzt wird. Die Stammbelegschaft schrumpft, bleibt aber ruhig. Kein Wunder, daß die Soziologen Klaus Dörre und Tatjana Fuchs eine »dynamische Expansion« befristeter Beschäftigungsverhältnisse diagnostizieren. Bei jungen Leuten liege der Anteil befristeter Beschäftigungsverhältnisse in der Altersgruppe der unter 20-Jährigen bundesweit schon bei 35 Prozent, in der Altersgruppe der unter 30-Jährigen bei 15 bis 24 Prozent. Das »alte Glücksversprechen des sozialstaatlich regulierten Kapitalismus, wonach ein Normalarbeitsverhältnis die Basis für langsam, aber stetig wachsenden Wohlstand bildet«, ist für diese Menschen außer Kraft gesetzt, urteilen Dörre und Fuchs. »Kinder kann ich mir nicht leisten. Dann müßte ich meinen Berufsstart sofort vergessen«, bekennt die junge Redakteurin Mirjana A., die ebenfalls nur befristet eingestellt worden ist. Sie sieht sich in einer »Schwebelage«, die sie »verwundbar« mache: »Einerseits weiß ich, daß ich alle Energien mobilisieren muß, um den Sprung auf eine unbefristete Redakteursstelle vielleicht doch noch irgendwann zu schaffen. Andererseits muß ich mich so oder so abstrampeln, um nicht dauerhaft abzustürzen.« Spurlos geht die Unsicherheit ihrer beruflichen Existenz an keiner und keinem der Befristeten vorbei. Sie alle versuchen als besonders willige Arbeitskräfte zu glänzen. Klaglos leisten sie Mehrarbeit, sind allzeit für das Unternehmen bereit. »Vielleicht«, sagt Mirjana A., »vielleicht werden ja doch mal wieder Stellen unbefristet besetzt.« Zusagen gibt es nicht. Proteste der Betroffenen auch nicht. An keinem der Streiks der vergangenen Jahre im Medienkonzern haben sich Befristete beteiligt. Sie arbeiteten – einige mit schlechtem Gewissen – als Streikbrecher. Als Dank gab es Pizza umsonst. Daß Anita B. Widerworte wagte, ist eine Ausnahme; sie plant eine Fortbildung, die ihr (vielleicht) neue Perspektiven eröffnet. Walter S., der als 35-Jähriger Frau und Kind zu versorgen hat, sieht sich »beruflich in der Sackgasse«. Er hatte sich schon beim Arbeitsamt als demnächst erwerbslos gemeldet, denn bis Anfang Dezember sah es so aus, als würde es auch für ihn nach Silvester keinen neuen Vertrag mehr geben. Nun darf er weiterarbeiten, 20 weitere Monate sind ihm sicher. Solange will eine aus Elternzeit zurückkehrende Kollegin ihre Arbeitszeit um 50 Prozent reduzieren. Walter S. bekommt während dieser Zeit die andere Hälfte der Stelle, auch sein Gehalt halbiert sich. Glücklich ist er nicht. Er sagt: »Hauptsache, es geht erst einmal weiter, irgendwie.«
Erschienen in Ossietzky 1/2006 |
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