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Dezember veröffentlichte der stern ein »Gespräch zur Jahreswende« mit dem Präsidenten, in dem der »anregende, intelligente Amateur« (so der Theatermann Claus Pey-mann über Köhlers Amtsführung) »Tacheles« ( stern ) redet und die Politiker zu größeren Reformschritten antreibt. Der Kanzlerin und der Großen Koalition warf er vor, zu »kleine Schritte« zu wagen; es gebe auch keinen »durchdachten, ausgestalteten Überbau«. Die Arbeitgeber wurden ermahnt, nicht »kurzsichtig« zu handeln und etwa zu versuchen, »die momentane Schwäche der Arbeitnehmerseite« auszunutzen. Köhler machte sich auch Sorgen um die gering Qualifizierten und nicht Ausgebildeten und warnte: »Diese Menschen dürfen wir nicht im Stich lassen.« Der Medienchor war zunächst überrascht und wirkte verwirrt bis verstimmt. Die FAZ argwöhnte, offenbar habe in diesem Interview »der Bundespräsident Oberhand über den Ökonomen, der Köhler von Hause aus ist, gewonnen…«, weil er sich plötzlich sozial klingende Forderungen wie »Grundeinkommen« und »Gewinnbeteiligung« für Arbeitnehmer zu eigen mache, statt die harten ökonomischen Erfordernisse nach weiterer Kostensenkung und mehr Flexibilität auf den Arbeitsmärkten einzuklagen. Die taz hatte ähnliche Bedenken und monierte gar: »Köhler kokettiert mit einer neuen Dimension des Wohlfahrtsstaates, ohne sich groß mit der Finanzierbarkeit aufzuhalten.« Für die FR war Köhler »in die Niederungen des Alltags« hinabgestiegen, ohne genügend »Sensibilität« und »politisches Feingefühl«. Ihr Kommentator Markus Sievers erteilte dem Staatsoberhaupt eine Abmahnung: Seine Kritik an Altkanzler Schröder und seine »Parteinahme für Kirchhof fällt so einseitig aus, daß sie sich für einen Bundespräsidenten nicht geziemt«. Die Welt vermutete, Köhler sei noch »auf Rollensuche«, sein Interview enthalte einen »bunten Strauß« und erinnere »mehr an ein Regierungsprogramm als an präsidiale Wegweisung«. Er sei eben »noch kein Papa Heuß« – den man sich in dieser Welt offenbar bald wieder wünscht. Doch Bild jubelte: »Bundespräsident kämpft für Arbeitnehmer: Grund-Einkommen und Gewinn-Beteiligung!« Damit war das Groschenblatt mit den weitaus höchsten Anzeigenpreisen wieder einmal mehr auf der Höhe der neoliberalen Zeit als die meisten anderen überregionalen, angeblich so seriösen Blätter. Bild hatte sofort erkannt (was die übrigen dann in den kommenden Tagen nachzuholen versuchten), daß der Lobbyist des Internationalen Währungsfonds im Amt des Bundespräsidenten von der Bundesregierung genau das fordert, was gegenwärtig im ureigensten Interesse von Unternehmen und Kapitalgesellschaften liegen müßte. Schließlich läßt sich ja nicht mehr geheim halten, daß die Kapitalseite in Folge der enormen rotgrünen Steuergeschenke sowie der viel zu niedrigen Lohnabschlüsse der letzten Jahre ihre Gewinne in unverschämtem Maße verbessern konnte. Zumindest gilt das für die Exportindustrie sowie die Banken und großen Versicherungsgesellschaften. Dagegen mußten Handel, Handwerk und Dienstleistungen, sofern von der Binnennachfrage abhängig, Einbußen verkraften. Im neuen Jahr zeichnen sich harte Tarifauseinandersetzungen ab, die Beschäftigten in boomenden Sektoren verlangen nicht nur einen Ausgleich für die um über zwei Prozent gestiegenen Preise, sondern auch einen Anteil an der Produktivitätszuwächsen – nicht zuletzt infolge der zunehmenden Arbeitsintensität. Ein anständiger Lohnzuschlag wäre auch nötig, um die Binnenkonjunktur nicht weiter abzuwürgen. Wirtschaftsminister Michael Glos und andere Regierungsmitglieder oder Ministerpräsidenten (Rüttgers, Wulff) – interessanterweise aus dem CDU/CSU-Lager - verlangen »höhere Tarifabschlüsse«. Wenn in dieser Situation Köhler den Unternehmern anscheinend ins Gewissen redet, will er zu verstehen geben, daß er ein guter Präsident für alle ist und sein Ohr auch am Mund des Volkes hat. So wird zum Beispiel seine Forderung nach »Gewinnbeteiligung« vielen nur billig und recht erscheinen. Daß der Kapitalseite durch Gewinnbeteiligung der Beschäftigten so gut wie gar nichts genommen, aber viel gegeben würde, merkt ja so schnell keiner: Die Aussicht auf »Gewinnbeteiligung« vermag zunächst einmal die Lohnforderungen klein zu halten, was dem Unternehmen Ersparnisse bei den Arbeitskosten beschert. Ob es tatsächlich eine »Gewinnbeteiligung« geben wird, zeigt sich erst später, nicht vor Ende des Jahres; bis dahin lässt sich viel gestalten. Sie würde voraussichtlich im Betrieb verbleiben, also die Kapitalverfügungsmasse der Firma erhöhen. Und was passiert, wenn die Geschäftsleitung Verluste vorrechnet oder gar der Konkurs droht? Bei General Motors ebenso wie bei Ford in den USA mußten die Gewerkschaften jüngst zustimmen, daß die einst gewährten Krankenversicherungsleistungen halbiert wurden, weil all das angesparte Geld weg war. Aber auch wenn alles gut geht, trägt verheißene Gewinnbeteiligung erheblich dazu bei, daß die Beschäftigten sich mit ihrem eigenen Betrieb identifizieren und die Konkurrenz unter der Gesamtarbeiterschaft immer noch zunimmt. Wie auf solchen Schwindel des Bundespräsidenten selbst Gewerkschaftsvorsitzende wie Hubertus Schmoldt (IG Bergbau, Chemie, Energie) oder Vertreter der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft hereinfallen, ist nicht zu verstehen. Sehen zum Beispiel die ver.di-Leute nicht, daß die meisten ihrer Mitglieder von der schönen »Gewinnbeteiligung« keinen Cent zu erwarten hätten, weil doch die öffentlichen Arbeitgeber nur Schulden vorzuweisen haben? Ähnlich verhält es sich mit Köhlers zweitem bunten Luftballon, dem »Grundeinkommen«, auch »Kombilohn« genannt. Ein Grundeinkommen sollen nach Köhler alle jene bekommen, die sich zur Zeit in der von ihm diagnostizierten »Basisarbeitslosigkeit von vier bis fünf Prozent« befinden, wofür sie in Köhlers Sicht selbst verantwortlich sind: »Fast drei Millionen unserer Arbeitslosen fehlt die Qualifikation durch eine Berufsausbildung. Für sie muß trotzdem Arbeit da sein. Von einem marktbedingten Niedriglohn können sie nicht leben, also muß man ihr Einkommen aufstocken. Das ist staatliche Aufgabe.« Für sein Projekt eines »Grundeinkommens« verweist der Präsident auf die USA: »In Amerika gibt es etwas, was negative Einkommensteuer genannt wird: Wer nichts verdient, erhält eine Grundsicherung vom Staat.« Hier greift Köhler nicht nur zu einer Täuschung, er serviert uns eine glatte Lüge; denn in den USA bekommt jemand, der nichts verdient, nicht einen Cent durch Kombilohn oder negative Einkommensteuer. Auch der Bezug von Sozialhilfe oder von Arbeitslosenhilfe endet dort schon seit Clinton nach ganz kurzen Fristen und ist seitdem durch die »negative Einkommensteuer« ersetzt. Sie bedeutet, daß man zu jedem selbst verdienten Dollar zunächst einen Dollar vom Finanzamt dazu erhält. Der Zuschuß wird bei etwas größerem Verdienst kleiner, bis man ein fiktives Min- desteinkommen erreicht hat; wer darüber verdient, muß »positive Einkommensteuer« zahlen. Das bedeutet aber, daß in den USA diejenigen, die kein Einkommen nachweisen können, auch keine Zuschüsse aus der »negativen Einkommensteuer« erhalten, und wer sehr wenig verdient, bekommt auch vom Staat nicht genug, daß es zum Überleben reichen würde. Das Heer derer, die von Betteln, Prostitution oder Kriminalität leben, sowie jener, die als working poor mit mehreren Billigjobs ihre Familien noch legal über Wasser zu halten versuchen, ist im kapitalistischen Führungsland fünf- bis zehnmal so hoch wie (noch) hierzulande. Aber in der Weltsicht unseres gegenwärtigen Bundespräsidenten müssen wir von Amerika lernen, schließlich lag sein Amtssitz als geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds lange genug im dortigen Zentrum. Als Angela Merkel ihn vor anderthalb Jahren nach Berlin holen wollte, werden ihm seine Berater gut zugeredet haben. Bessere Möglichkeiten für gute neoliberale IWF-Lobbyarbeit als im Amt des Bundespräsidenten in Deutschland waren kaum zu finden.
Erschienen in Ossietzky 1/2006 |
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