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Ich krame in meinem unordentlichen Zettelkasten und will mich bezüglich der May (weltbekannt auch als Gisela May) in positivem Klatsch versuchen. Star-Kult . Sie ist ein internationaler Star ohne Star-Kult. Kult-Stars treten niemals allein auf, sondern als fast unsichtbarer Mittelpunkt einer Geleit-Eskorte. Von diesen großen und auffällig unauffälligen Personenschützern hat man noch nie einen in Mays Nähe gesehen. Mehr oder weniger zufällig habe ich sie mal zum Bahnhof begleitet, und es fiel bestimmt keinem Menschen auf, daß ich erstens gar nicht schießen kann und zweitens (wenn überhaupt auf irgendwas) immer nur auf meine Brille aufpasse. Gisela May hat ihre Handtasche nicht mit Star-Postkarten gepolstert, und wenn, was natürlich oft geschieht, Autogramme erbeten werden, fleht sie höflich: »Hat hier jemand was zum Schreiben?« Disziplin . Wie viele Autoren, so hatte auch ich öfter Gelegenheit, mit M. zusammen aufzutreten. Sie war meistens zuerst am Veranstaltungsplatz. Sie kam niemals zu spät oder in der vorletzten Minute. Sie war zuverlässig und vorbereitet zur Stelle. (Was man nicht von jedem der Autoren sagen kann.) Während der Vorbereitungen auf ihr Chanson-Programm »Hoppla, wir leben« im Berliner Ka-barett »Die Distel« (1974) gab es plötzlich Probleme mit ihrer Stimme. Heiserkeit? Die gefürchteten Stimmband-Knötchen? Man bemühte, falls ich nicht irre, sogar den großen Spezialisten Professor T. von der Berliner Charité (der sich zwar auch für Stimmbänder, mehr noch aber für die Künstlerinnen als solche interessierte), und ich fungierte, warum auch immer, als Mittelsmann zwischen May und »Distel«. Endlich konnte grünes Licht gegeben werden. Die Diseuse war nicht etwa, um allgemein bewundert zu werden, mit einem zehn Meter langen Mohair-Schal auf der Friedrichstraße spazieren gegangen, sondern hatte sich streng dem ihr verschriebenen Salbeitee gewidmet. Hoppla, da lebten wir auf. Konzentration . »Übermorgen kann ich dich gern nach Dresden mitnehmen, Du müßtest mich aber bitte bei mir in der Friedrichstraße abholen, geht das?« Natürlich, ich wohnte in der Nähe. »Der Pianist kommt nämlich auch zu mir. Dann klettern wir in mein Autor, und ab geht die Post!« Man traf sich pünktlich. Wolfang Harich lag, weil er »sich sehr müde fühlte«, auf der Couch und verbarg unter der Decke eine der May-Katzen, welche dort etwas verrichtet hatte, was außer ihr und Harich keiner erfahren sollte. (Ich habe eine Nase für sowas.) Während die Chefin ihren Wagen nach Süden lenkte und gleichzeitig mit dem Pianisten allerlei Details besprach, saß ich hinten mit meinem Manuskript in der Tasche und betrachtete die Gegend, welche sich so merkwürdig verändert hatte. Wir fuhren nämlich nicht auf der Autobahn nach Dresden, sondern auf der nach Leipzig. »Hallo, ihr begnadeten Interpreten«, sagte ich fröhlich, »ich muß mal unterbrechen, denn...« Nach einer Weile ließen sie sich von mir aufklären. »Wer fährt«, sagte Gisela, »ist für die Richtung zuständig.« In ihrer intensiven Konzentration auf Wort und Musik war ihr zwischendurch entfallen, wer fuhr: nämlich sie. (Wir waren pünktlich in Dresden.) Dozieren heißt auf deutsch »an einer Hochschule lehren«, aber auch »in belehrendem Ton reden«. Unsereiner hat viele Lehrer erlebt, auch gute. Aber ich wünsche mir im nachhinein, sie hätten alle so gut gelehrt, ohne zu dozieren – wie Gisela May. Dies läßt sich nachvollziehen an einem G.-M.-Filmporträt, das Carrie de Swaan 1998 für den deutsch-französischen TV-Sender Arte und das Niederländische Fernsehen gemacht hat. Lampenfieber . Wieso hat man Lampenfieber? Vor vielen Jahren fand in Berlin ein Literaturball statt. Was ist ein Literaturball? Wahrscheinlich ein besserer Schwof, vor dessen Beginn die Veranstalter zur Aufwertung des Tanzvergnügens einige kulturelle Krümel aufs Parkett streuen. Als solche waren Gisela May und andere bedeutende Künstler sowie ich (als Ansager) verpflichtet worden. Meinen Text, da ich keinen auswendig lernen kann, schon gar nicht meinen eigenen, hatte ich in einen sogenannten Klemmdeckel gespannt, um ihn vorlesen und auch mich an diesem Klemmdeckel festhalten zu können. Kurz bevor es losging, sagte Gisela: »Kannst du mir einen Kognak oder einen Schoppen Wein besorgen?« Sowas konnte ich schon immer besorgen. Allerdings hatte ich die May stets nur mit Fruchtsaft oder Sodawasser gesehen – vielleicht mal mit einer Schale Sekt, die sie aber meistens nicht austrank. Sie erklärte mir: »Ich trinke nur wegen dieses Lampenfiebers.« Und das hatte sie ausgerechnet dort? Im »Saalbau Friedrichshain« (längst abgerissen, aber nicht wegen unseres damaligen Auftritts) vor lauter freundlichen Leuten? Lampenfieber bei einer Künstlerin, die schon in Tokio, New York, Moskau, London und sonstwo große Erfolge genossen hatte? »Ich habe immer Lampenfieber«, erzählte sie. Ich holte Getränke und dachte darüber nach, wozu Lampenfieber gut sein könne. Erhöht es vielleicht den Blutdruck und die Intensität der Darbietung? Und ist die May vielleicht durch ihr Lampenfieber niemals in jenen furchtbaren Routine-Trott geraten, der manche Routiniers so schrecklich langweilig macht? Das Gegenteil einer May-Miniatur ist jene einmalige große Kassette »die may«, welche kürzlich in einem Quartier der Akademie der Künste (am Hanseatenweg im Tiergarten) präsentiert wurde. Also eine Kassette ist es eigentlich nicht, es handelt sich um einen stabilen Karton, eine kleine Kiste im Langspielplatten-Format, eine Art von tragbarem Museum, was aber keine Vergangenheit bewahrt, sondern einen klingenden Querschnitt durchs Schaffen der Gisela May, fixiert auf acht CDs und einer DVD, sowie einen optischen und lesbaren Abriß ihres Lebens und Wirkens in einem 174 Seiten starken, großformatigen Album mit erstklassigen Fotos. Prächtig, aber nicht prachtvoll. Dieser Kasten verwahrt in sich – jederzeit abhörbar, ansehbar – den Ruhm, aber auch den praktischen Nutzen, Unterhaltungs- und Bildungswert dieser verhältnismäßig einmaligen Sängerin, Diseuse, Persönlichkeit, wobei ihre anderen großen Rollen auf dem Theater notgedrungen etwas zu kurz kommen. Diese Veröffentlichung, die zu rühmen ich nicht müde werde, wurde zusammengestellt, kommentiert und herausgegeben von Volker Kühn mit Textbeiträgen von Jürgen Schebera, Gisela May und vielen anderen, produziert von Bear Family Records in Zusammenarbeit mit der Günter-Neumann-Stiftung und der Akademie der Künste, Berlin. Gisela May war, blendend aussehend, geistreich und schlagfertig dabei, als man ihr applaudierte, ihr und denen, die ihr manches verdanken und denen sie manches verdankt: Kühn, Schebera, die Pianisten und Kapellmeister Henri Krtschil, Adam Benzwi und Willem Breuker. Dem Spiel des legendären Begleiters großer Gesangssolisten, Michael Raucheisen, rühmt man nach: Eleganz, Farbigkeit, Anschmiegsamkeit. Und genau das charakterisiert Gisela Mays bemerkenswerte Pianisten.
Erschienen in Ossietzky 25/2005 |
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