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Da konnte man sehen, wie der Mörder Raskolnikow Prozesse durchläuft: den seines Gewissens, den Kriminalprozeß und einen geistig-gesellschaftlichen, der die Überfälligkeit sozialer und politischer Reformen erweist. Nach drei sehr unterschiedlichen Versuchen mit den Romanen des großen Russen – alle von mir in Ossietzky beschrieben und kommentiert – versucht sich das Ensemble der Berliner Volksbühne unter seinem Intendanten Castorf nun ebenfalls an »Schuld und Sühne« mit Martin Wuttke als Raskolnikow. Und ach: Wuttke, dieser ausgezeichnete Schauspieler, wirkt erschöpft und glanzlos, sein Held als Anti-Held – was sicher beabsichtigt ist –, als einer, dem sein ganzer Prozeß gleichgültig ist. Zu Beginn wird im Klosettbecken gewühlt, Erbrochenes aus einem Eimer gefressen. Figuren werden von vornherein kleingemacht – doch wie sollen sie dann dem sozialen Kosmos des Werkes gerecht werden? Sie können es nicht, sie werden es nicht, vermutlich sollen sie es ja nicht. Die philosophischen Dialoge werden nebenher gesprochen, als ob sie niemanden etwas angingen. Geistige Verwahrlosung. Doch warum dann Dostojewski, warum dieses Werk, wenn man es nicht braucht? Das arme Ensemble schreit sich heiser, wozu? Fünf Stunden lang, ohne daß etwas geschieht. Viele junge Leute im Zuschauerraum kannten das originale Werk nicht, wie ich Pausengesprächen entnahm. Sie hielten die Castorf-Variante für Dostojewski. Welch ein Irrtum! Und das Programmheft enthält zwar gute, kluge Beiträge, hat aber mit der Aufführung kaum etwas zu tun. Der nächste Anti-Held begegnet uns in Gestalt des Danton in Büchners »Dantons Tod«, inszeniert von Roberto Ciulli an den Städtischen Bühnen Istanbul. Was mag ihn und das Ensemble bewogen haben, das Revolutionsdrama aufzuführen? Zunächst befürchte ich, Kemal Atatürk hinter Robespierre entdecken zu müssen. Nichts davon. Doch vom ursprünglichen Gedanken ist eigentlich auch nichts mehr da. Die große Schar der Revolutionäre, die bei Büchner Strategiefragen erörtern, ist auf Danton, Camille Desmoulins, Lacroix und Robespierre, auf die drei Frauen Julie, Lucile und Marion sowie auf drei »Menschen« zusammengestrichen, und vom Text blieb auch nicht viel, einige Sätze von Büchner sind original, Sätze Saint-Justs kommen aus dem Off. Die Personen liegen oft auf dem Boden einer grauen, einfallslosen Bühne und reden vor sich hin. Aus einem Diskurs über Probleme der Revolution wird eine Farce läppischer Figuren, die mal Revolution gespielt haben. Kurz: Ich erlebe die Berliner Aufführung ganz anders als Monika Köhler die Hamburger ( Ossietzky 24/05) . Ist Friedrich Hofreiter ein Held oder ein Anti-Held? Hofreiter ist die männliche Hauptfigur in Arthur Schnitzlers »Das weite Land«(1910/11), um die sich alles und die sich um alles dreht, vor allem um Frauen. Hofreiter kommt, liebt, geht, scheitert, steht auf, kommt wieder, bricht wieder auf – aber wohin? Ins Seelische, also »das weite Land«, das Grenzenlose? Oder bleibt er doch immer in der K.-und-K.-Monarchie gefangen? Das ist der Teufelskreis Schnitzlers, des österreichischen Tschechow: Er konnte psychosoziale Verhältnisse genau darstellen – unüberwindbar. Das ist schon am Burgtheater schwer auf die Bühne zu bringen – wie erst am Berliner Maxim Gorki Theater, in einer Inszenierung des Intendanten Volker Hesse? Sie hat zwei Probleme, um nicht von Mängeln zu reden. Das eine: Wir erleben einen bemerkenswerten, ja bedeutenden Hauptdarsteller, Alexander Lang, der seit einiger Zeit wieder mehr als Schauspieler denn als Regisseur arbeitet – erfreulich. Ein starker, schroffer Hofreiter, bühnenbeherrschend. Doch kaum ein Ensemble um ihn. Vor allem fehlt die Partnerin gleich Gegenpielerin. Rosa Ensikat als Genia macht nicht begreiflich, warum sich Männer ihretwegen totschießen. Ich denke an Erika Pluhar – die brauchte im Wiener (zur Burg gehörigen) Akademietheater nur einmal über die Bühne zu gehen, und man begriff. Das andere Problem, immer das gleiche bei Stücken aus Wien: Wie bringt man die Wiener Sprachmelodie (nicht Dialekt) zum Klingen? Zum Glück bleiben wir hier vor nachgeahmtem, ungekonntem Wienerisch verschont. Aber norddeutsche Herbheit läßt Schnitzlers Figuren ohne Charme, damit arm. Schade! Hofreiter, trotz aller morbiden Züge bei Schnitzler ein Held des Lebens, wird hier eher ein Anti-Held. Leontes, König von Sizilien in Shakespeares »Das Wintermärchen«, ist anfangs ein ziemlich törichter Tyrann, der die treusten seiner Gefährten und schließlich auch die teure Gattin Hermione in Acht und Bann tut, alle verketzert und vertreibt. Assoziationen an Diktatoren späterer Zeiten sind erlaubt wie erkennbar, in dieser Inszenierung des Berliner Ensembles (Robert Wilson) freilich kaum herausgespielt. Alles ist furchtbar, doch es ist ein Märchen, und alles geht gut aus. Die Szene ist märchenhaft, paradiesisch hell, die Personen bewegen sich fast unwirklich, so sind sie stilisiert. Wenn auch wenig individuell. Sicher: Die Bildräume von Wilsons Lichtregie waren immer schön, doch oft langweilig. Seit »Black Rider« hat Wilson hinzugelernt. Er inszeniert Geschehen und führt Figuren (d. h. Darsteller und damit Menschen). So hatten wir einen guten Theaterabend. Leontes ist ein Held – Held und Botschafter der Humanität, ein Held von Shakespeare, wenn auch nur in Wilsonschem Licht. Draußen in Berlin ist es dunkel. Hier im Theater am Schiffbauerdamm hatten wir einen hellen Abend.
Erschienen in Ossietzky 25/2005 |
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